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"Ihr seid Dreck" Sido hat fertig

Erst redet er sich um Kopf und Kragen, dann droht er.

Erst redet er sich um Kopf und Kragen, dann droht er.

(Foto: imago images/Future Image)

"Ich glaube nur, was ich mit eigenen Augen sehe", rechtfertigt Sido sein verschwörungstheoretisches Gestammel. Glaubt er also auch nicht mehr, dass er ein Gehirn hat?

Sido hatte es in den vergangenen Wochen sicher nicht leicht. Seine Ehe mit Charlotte Würdig ist im Eimer und er muss wieder Fuffies durch den Club werfen. Das mag er selbst als Entschuldigung für seine jüngsten Eskapaden vermutlich nicht hernehmen. Aber wenigstens wäre es eine gewisse Entschuldigung. Anders als seine eigenen Rechtfertigungsversuche in den vergangenen Tagen oder die derer, die ihren doch eigentlich mit einem gewissen IQ gesegneten Lieblingsrapper irgendwie aus der Patsche argumentieren wollten. Dem Musiker "schien nicht bewusst zu sein", was er da faselt, schrieb etwa der "Spiegel". "Das muss man in dem Fall anbringen", befand auch Musikjournalist Alex Barbian von rap.de.

Nicht nur in diesen Tagen muss jeder Politiker, jeder Virologe, jeder Journalist damit leben, dass jedes seiner Worte auf die Goldwaage gelegt wird. Sie müssen sich - berechtigt oder unberechtigt - harsche Kritik gefallen lassen, aber auch Schmähungen, Drohungen und mitunter sogar Gewalt. Wenn einer der erfolgreichsten Rapper des Landes, der durch zig TV-Shows tingelt und als Künstler eine Vorbildfunktion hat und haben sollte, aber Unsinn quasselt, heißt es: "Vielleicht hat er es ja nicht so gemeint …?" Flers mittlerweile geflügeltes Wort vom "Fanboy" bekommt so mit Blick auf Sidos Verteidiger eine ganz neue Bedeutung.

"Ist mir scheißegal"

Was genau ist geschehen? In einem Youtube-Interview mit Kollege Ali Bumaye war Sido ins Schwadronieren geraten und balancierte dabei gefährlich nah am Abgrund zu Verschwörungstheorien entlang. "Ich glaube schon daran, dass so etwas sein kann", befeuerte er etwa den "QAnon"-Quatsch von einem elitären, Blut saufenden Kinderhändlerring. Die antisemitische Rothschild-Legende griff er ebenso auf, wie er bekannte: "Ich glaube schon, die großen Medien, die sind unterwandert. Die gehören alle irgendeinem reichen Typen, und er wird immer dafür sorgen, dass er und seinesgleichen geschützt werden."

Der Aufschrei des Entsetzens auch eben jener Medien ließ nicht lange auf sich warten. Medien, die ausgerechnet von ihm solch gefährlichen Unfug nicht erwartet hätten. Medien, denen der unter anderem mit diversen Radiopreisen, MTV Awards oder Bravo Ottos ausgezeichnete Musiker ein Gutteil seiner Karriere zu verdanken hat. Und Medien, die er selbst nur zu gut von innen kennt. Schließlich hat er sich als alternder Rapper in den vergangenen Jahren ein dickes zweites Standbein in ihnen aufgebaut - sei es als "Popstars"-Juror bei RTL II, als Aushängeschild diverser Castingshows beim öffentlich-rechtlichen ORF oder als Jury-Mitglied bei der Pro7-Sat.1-Show "The Voice of Germany".

Doch statt das Entsetzen zu adressieren, knöpft sich Sido in seinen ersten Rechtfertigungen lieber gleich noch mal die Entsetzten vor. "Im Grunde ist mir scheißegal, ob die Leute wieder versuchen, mir irgendwas in den Mund zu legen oder nicht. Meine ganze Karriere über läuft das so", sagt er etwa hiphop.de und erhebt damit unterschwellig gleich noch einen "Fake News"-Vorwurf. Sein Interview mit Ali Bumaye kann sich jedoch jeder bei Youtube anschauen. Ab Minute 19 geht es los.

"Ich glaube niemandem"

Den Verschwörungstheorie-Vorwurf dreht er so um, dass er sogar auf einmal zum Opfer mutiert. Nein, er habe mit bekannten Wirrköpfen wie Attila Hildmann oder Ken Jebsen nichts zu tun und lache sich "kaputt über die", beteuert Sido. "Deswegen finde ich es jetzt einfach gerade richtig scheiße und gefährlich, dass mir diese Worte in den Mund gelegt werden und ich als Verschwörungstheoretiker verschrien werde", windet er sich, anstatt seine eigenen Interview-Aussagen zu erklären und vielleicht auch zu relativieren. Das ist in etwa so windelweich wie Xavier Naidoos öffentliches Facebook-Gewinsel, er wolle doch nur Liebe und Respekt in die Welt tragen, während er sich in verschlüsselten Chats zum rechtspopulistischen Sprachrohr aufschwingt.

Auch in einem Instagram-Statement legt Sido lieber noch einmal nach anstatt zurückzurudern. Er unterscheidet zwischen etablierten Medien und "alternativer Presse" und kommt zu dem Schluss: "Ich glaube niemandem. Ich glaube nur, was ich mit eigenen Augen sehe."

Mit anderen Worten: Sido scheint auch nicht mehr daran zu glauben, dass er ein Gehirn hat. Anders jedenfalls ist sein jüngster Ausraster schon gar nicht mehr einzufangen. Konkreter Adressat ist diesmal ein Kamera-Team der "Bild"-Zeitung, das auf dem Gehsteig vor Sidos Eigenheim bei Berlin herumlungerte. Der Streit darüber, ob es legitim ist, Prominenten in ihrem Privatleben so auf die Pelle zu rücken, ist wahrscheinlich so alt wie das Presserecht selbst. Oder wie die Pressefreiheit. Ganz wie man will.

Meine Straße, mein Zuhause, mein Block

Doch völlig egal, wie man dazu steht, Sidos Reaktion sprengt auf jeden Fall jeglichen rechtlichen wie freiheitlichen Rahmen. Und das schon mit seinen Worten. "Schämt ihr beide euch nicht, was ihr hier gerade macht. Bist du stolz auf deinen Beruf? Bist du stolz darauf, was du gerade machst?", herrscht er die Reporterin und ihren Kameramann über den Gartenzaun hinweg an. "Verpisst euch. Ihr seid Dreck. Ihr seid richtiger Dreck. Abschaum!", poltert der Rapper weiter. Und: "Verpiss dich jetzt und guck nicht noch so behindert." All das passt leider nur allzu gut in den allgemeinen Trend des Presse-Bashings, dem sich der Musiker schon mit seinen Äußerungen in den vergangenen Tagen angeschlossen hat.

Doch dabei bleibt es nicht. Meine Straße, mein Zuhause, mein Block - getreu diesem Motto wird Sido schließlich sogar handgreiflich. Er tritt aus seinem Garten auf den Bürgersteig und schlägt offensichtlich in Richtung der Journalisten, die nun tatsächlich die Flucht ergreifen. "Lasst uns alle froh sein, dass nur das Mikrofon kaputt gegangen ist!!!", räumt er wenig später in einer Schrifttafel auf seiner Instagram-Seite ein, dass er in seiner ersten Wut wohl auch schlimmere Konsequenzen in Kauf genommen hätte.

Bushido, Fler, Kollegah und Farid Bang … Der deutsche Hip-Hop hat nicht erst jetzt ein Problem - sei es mit sexistischen, homophoben, rassistischen oder verschwörungstheoretischen Inhalten, sei es mit Gewaltverherrlichung oder kriminellen Machenschaften. Zugleich verkauft sich keine Musik mehr wie geschnitten Brot, mit kräftiger Unterstützung von großen Plattenfirmen, Streamingportalen und just den Medien, die Sido nun allesamt für unterwandert erklärt.

Vielfach wurde die Frage aufgeworfen, welche Lehren aus der Corona-Krise gezogen werden, wie das künftige Miteinander aussehen soll und ob die Maxime weiter nur heißen kann und darf: "Geld regiert die Welt." Nein, Sido ist sicher bei weitem nicht der schlimmste Finger im deutschen Rap-Business. Und sollte er noch einmal zu sich kommen, glaubhaft Einsicht und Bedauern ausdrücken, wäre man bei ihm wohl mehr als bei jedem anderen geneigt, das zu akzeptieren. Doch wenn nicht, wäre es in einer aufgeklärten, kritischen, gewaltfreien und pressefreiheitlichen Gesellschaft eigentlich konsequent zu sagen: Er hat fertig.

Quelle: ntv.de

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