Düsterer Heimatroman "Die Schwarzgeherin" und der Preis der Freiheit


Vor dem Panorama der rauen Bergwelt Tirols entfaltet Regina Denks Roman einen erzählerischen Sog.
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Theres Lachermeyer erwartet im 19. Jahrhundert in einem abgelegenen Tiroler Tal ein Leben als Mutter und Ehefrau, schon lange ist sie dem Sohn des reichsten Bauern des Dorfes versprochen. Doch Theres will dieses Leben nicht, sie will frei sein, um beinahe jeden Preis.
Ein seltsam altmodisches Buch hat Regina Denk geschrieben, schon der Titel scheint erklärungsbedürftig. "Die Schwarzgeherin" heißt der Roman der Autorin, die unter Pseudonym bereits bayrische Dorfkrimis veröffentlicht hat. Von deren komödiantischen Anflügen hat die Schwarzgeherin indes gar nichts. Es ist eher ein Ausflug in die Entbehrungen der Vergangenheit. Auf den ersten Seiten hilft Denk ihren Leserinnen und Lesern: "Schwarzgehen", das ist ein alter, regionaler Begriff für Wildern.
Diese Schwarzgeherin, das ist Theres Lachermeyer, einzige Tochter und einzig überlebendes Kind ihrer Familie. Ihre aus Italien stammende Mutter ist schon vor Jahren gestorben, bei einem weiteren gescheiterten Versuch, einen Erben zu gebären, ebenso wie alle ihre Brüder. Mitte des 19. Jahrhunderts bleiben der jungen Theres in dem abgelegenen Tiroler Tal nur wenige Möglichkeiten.
Da erscheint es wie ein Segen, dass sie ausgerechnet dem Sohn des reichsten Bauern des Dorfes schon seit Kindheitstagen als künftige Frau versprochen ist und jener Leopold Xantner ihr längst ein enger Freund ist. Das Problem ist nur, dass Theres dieses gottgefällige Leben als Ehefrau und Mutter wie ein Gefängnis erscheint. Sie sehnt sich nach Freiheit, nach Selbstbestimmung und Eigenständigkeit. Außerdem macht die zu erwartende lieblose und herrische Schwiegermutter ein Leben auf dem Xantner-Hof zu einer schier unerträglichen Vorstellung.
Gegen alle Regeln
Die Hochzeit ist schon verkündet, das wendet sich das Blatt. Theres lässt sich mit einem Fremden ein, einem Wilderer, der sich offenbar seiner Anziehung nur allzu bewusst ist und nicht nur die junge Frau, sondern schnell das ganze Dorf in Aufruhr versetzt. Aber Theres wird weder die Frau ihres Jugendfreundes, noch geht sie in die Fremde, sondern landet als ledige Mutter in einem kleinen Haus, außerhalb des Dorfes am Berg, führt ein Leben als ledige Mutter, Schwarzgeherin, Heilerin, Hebamme, Outlaw.
Die Tochter Maria wächst mit jeder Menge Unausgesprochenem auf. Sie weiß nicht, wer ihr Vater ist, nicht, was die Mutter mit Leopold Xantner verbindet und auch nicht, was zwischen der Mutter und dem Großvater vorgefallen ist. Doch so wie die Mutter das Leben im Dorf als unerträglich empfand, ist für die Tochter ein ganzes Leben in der Einsamkeit ihrer Kindheit unvorstellbar. Nach zwanzig Jahren oben auf dem Berg stehen dramatische Veränderungen an.
Auf 400 Seiten entwickelt Denk ihre Geschichte, immer wieder zwischen der Kindheit von Theres, ihrer Jugend und dem Erzähljetzt wechselnd. Den Rahmen bildet die Erzählung einer schwangeren Bäuerin, die einem fremden Mann in ihrer Küche von den Ereignissen berichtet.
Doch über allem steht die Idee, wie schwer ein selbstbestimmtes Leben in dieser Zeit zu bekommen ist, ganz besonders für Frauen, aber auch für Männer. Die Autorin nutzt dafür immer wieder Einschübe, in denen ein Adlerweibchen über dem Dorf und den Bergen kreist. Das Männchen, mit dem es sein Leben verbracht hat, ist tot, und auch die Tage des Weibchens sind gezählt. Die Parallelen zu Theres, die ihr hartes Leben früh hat altern lassen, sind unübersehbar.
Eine unmenschliche Enge
Dabei gelingen der Autorin vielschichtige und spannende Figuren. Nicht nur Theres und ihre Tochter Maria, sondern auch der Vater oder Leopold sind an die ihnen zugewiesenen oder zugewachsenen Plätze in der Dorfgemeinschaft gebunden. Sie versuchen, den Menschen unter ihrem Dach gerecht zu werden und gleichzeitig die sozialen Regeln so weit einzuhalten, dass die Dinge nicht aus den Fugen geraten.
Immer wenn Theres als Heilerin oder Hebamme an ein Krankenbett gerufen wird, wird trotzdem der schmale Grat deutlich, auf dem sie als unverheiratete Frau wandelt. Wird ein gesundes Kind geboren? Überlebt die Mutter? Dann sind Naturalien zu erwarten, die Theres und Maria wieder für eine Weile ernähren werden, besonders dann, wenn das Baby ein Junge ist. Aber kann sie einen Patienten nicht retten, dann ist es wichtig, möglichst wenig unternommen zu haben, um nicht für den Tod verantwortlich gemacht zu werden. Theres weiß das und lässt in diesen Fällen nach dem Doktor schicken, auch wenn der den Tod ebenso wenig aufhalten kann wie sie. Sie würde auch dieses Wissen an ihre Tochter weitergeben, wenn diese es denn lernen wollen würde.
Doch Maria ist ihr in einem Punkt ähnlicher, als der Mutter lieb ist: Sie hat eine eigene Vorstellung von ihrem Weg, will ein Leben in einer Familie, im Dorf, Zugehörigkeit, all das, was die Mutter ablehnte. Und rebelliert damit, so wie es schon Theres gemacht hat.
Den jungen Männern geht es nicht viel besser, sie würden gern ihrem Herzen folgen, aber was, wenn die Frau nicht will oder die Familie Geheimnisse hat, die bestimmte Verbindungen unmöglich erscheinen lassen. Aus Theres' Sicht mag es leichter sein, ein Mann zu sein. Die Männer zahlen für die moralische und räumliche Enge des Tales aber wohl einfach nur einen anderen Preis.
Dass die oft düstere Geschichte trotz des zunächst eher schlicht erscheinenden Plots Tiefe und Schönheit entfaltet, liegt an Denks Beschreibungen, die dem Dorf und seinen Menschen eine Lebendigkeit verleihen, die einen beim Lesen über viele Seiten trägt. Dabei gibt es gerade so viel Mundart, dass man sich in die Küchen, Wirtschaften und Wälder versetzen kann, ohne das Gefühl zu haben, in einem Heimatroman gelandet zu sein. Und am Ende liefert Denk ein furioses Finale, da ist Theres längst so frei, wie sie es immer sein wollte.
Quelle: ntv.de