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Kinder, Karriere, Karawanken Frauen, die es wagen, nicht perfekt zu sein

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Mal gucken, was die anderen Frauen so machen ...

Mal gucken, was die anderen Frauen so machen ...

(Foto: IMAGO/imagebroker)

Frauen, die sich für oder gegen Kinder entscheiden, die ihre Karrieren vorantreiben, die sich verlieben und für ihre Liebe kämpfen. Vier Romane, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber eines gemeinsam haben: Sie sind echter Lesegenuss für den Sommer.

Kinderfreie Frauen

Romane, in denen von Glück und Frustration rund um das Thema Mutterschaft erzählt wird, gibt es stapelweise. In denen es also um Frauen geht, die ins "Mutterland" verschwinden, wie es bei Stefanie de Velasco heißt. Aber über genau die schreibt die Berliner Autorin in ihrem Roman "Das Gras auf unserer Seite" eben nicht. Sie wirft stattdessen einen Blick auf eine in der Literatur bisher eher vernachlässigte Gruppe: Frauen, die sich bewusst dafür entscheiden, keine Kinder zu bekommen.

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Mit ihren Protagonistinnen Grit, Kessie und Charlie - alle in ihren Vierzigern - zeichnet die Autorin nach, wie schwierig, aber auch befreiend es sein kann, ein anderes Leben zu leben, als es die Gesellschaft für Frauen vorsieht. Alle drei müssen Entscheidungen treffen: Grit fliegt aus ihrer WG, möchte aber nicht mit ihrem Freund zusammenziehen und einen auf Pärchen machen. Als die schon seit Längerem allein lebende Kessie in ihre Heimatstadt reist, um ihre Mutter bei der Eingewöhnung in einem Pflegeheim zu unterstützen, trifft sie dort auf ihre Jugendliebe. Und Schauspielerin Charly bekommt endlich mal wieder ein Rollenangebot und stellt gleichzeitig fest, dass sie schwanger ist, weiß aber nicht, von welchem der beiden Männer, mit denen sie sich trifft.

Und irgendwie gibt es auch noch eine vierte Protagonistin: Berlin, wo die drei Freundinnen leben. Auch sprachlich zieht sich viel Hauptstadt-Atmosphäre durch den Roman, Berliner Schnauze mit Herz und Witz sozusagen. Und sogar Hundefans kommen voll auf ihre Kosten, die Vierbeiner spielen eine entscheidende Rolle in dem Roman: Ohne sie würde es die enge Freundschaft der drei Frauen nicht geben. (kse)

Frauen, Kinder und Karrieren

Frauen mit unterschiedlichen Lebenskonzepten, das ist auch in "Das Gegenteil von Erfolg" von Eleanor Elliot Thomas, übersetzt von Claudia Voit, die Grundkonstellation. Lorrie und Alex sind schon lange Freundinnen, Lorrie hat zwei Kinder, ist verheiratet und Angestellte bei der Stadtverwaltung. Alex hat eine Affäre nach der anderen und versucht, ein Dokumentarfilmprojekt auf die Beine zu stellen, als sie sich ausgerechnet in die Ehefrau von Lorries Jugendliebe Ruben verliebt. An diesem Freitag hofft Lorrie befördert zu werden, während Alex die entscheidenden Aufnahmen für ihren Film bekommen könnte.

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Für beide Frauen geht es um einiges, dahinter steht die Frage, wie ein erfolgreiches Leben für Frauen Ende 30 aussieht. Gehören Kinder dazu, eine Liebesbeziehung, eine Karriere? Lorrie kämpft außerdem noch mit ihrem Körperbild, zu dem eines ihrer Kinder sagt: "Dein Po hängt, dein Bauch hängt, deine Brüste hängen."

Die frühere Anwältin Thomas weiß offenbar, wie es sich anfühlt, all die verschiedenen Bälle im Leben einer Frau in der Luft zu halten. Glücklicherweise kann sie diesem Dilemma noch immer Humor abgewinnen. Während dieser Freitag sein ganzes Chaos entfaltet und Lorrie und Alex von einer Katastrophe in die nächste stolpern, kommen sie nicht umhin, ihr Verständnis von Erfolg und Lebenssinn zu überdenken. Und Lorrie kommt zu dem Schluss: "Im Großen und Ganzen hatte sie einen Scheiß erreicht, aber glücklich war sie." Das mag keine bahnbrechende Erkenntnis sein, ist aber vergnüglich zu lesen. (sba)

Leben in einer tiefbraunen Dorfgemeinschaft

Einer der Romane mit dem abgefahrensten Titel kommt in diesem Bücherjahr eindeutig von Julia Jost: "Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht". Genau dort - im österreichischen Kärnten mit Blick auf eben jenen Gebirgsstock, der die Grenze zu Slowenien bildet - zieht 1994 eine Familie weg von ihrem Berghof. Neben dem Titel ist auch die von Jost gewählte Erzählperspektive sehr besonders: Die Erzählperson ist elf Jahre alt, spielt mit ihrer Freundin Luca ein letztes Mal Verstecken und hockt unter einem LKW. Von immer mehr Nachbarn, die beim Umzug helfen, sieht das Kind die Beine vorbeilaufen und ihm gehen Begebenheiten durch den Kopf, die mit diesen Menschen verbunden sind.

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Jost lässt die Erzählperson durch ihre Erinnerungen mäandern und allmählich formt sich das Bild einer Dorfgemeinschaft, in der Bigotterie zum Alltag gehört. Ein Mädchen, das lieber ein Junge sein möchte und sich in ein Mädchen verliebt, hat es dort schwer. Politisch ist das Dorf tiefbraun gefärbt, ein Messer mit der Gravur "Meine Ehre heißt Treue" ist mit einem Trauma, dem roten Faden des Buches, verknüpft: Ein zugezogener Junge kam beim Spielen ums Leben, als besagtes Messer in einen Brunnen gefallen war und die anderen Kinder ihn hinabseilten, damit er es wieder hinaufholte.

Häufig gibt es Momente, in denen sich Lesende fragen können, ob Sprache und Wissen wirklich zu einem elfjährigen Kind passen. Antwort: definitiv nein. Aber irgendwie ist das egal, die Sätze und der Wortfluss sind einfach zu stilsicher, beißend und witzig. Zudem verleiht Jost ihrem Roman einen besonderen Touch und lässt immer wieder Ausdrücke im Kärntner Dialekt einfließen. Aber keine Sorge: Für Menschen ohne Austriazismus-Kenntnisse werden sie wie nebenbei erklärt. Ein beeindruckender (und ja, manchmal auch ein bisschen sperriger) Debütroman über Queerness, eine Familie, die endlich bürgerlich werden will, und eine Dorfgemeinschaft, an der sich nachvollziehen lässt, wie die in den 90er-Jahren nie abgeebbte Nazi-Verklärung zum Nährboden des aufstrebende Rechtspopulismus (Stichwort: Jörg Haider) wurde. (kse)

Gegenwart trifft auf Mythos

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Leute von früher: Roman | Eine Liebe auf der Insel Strand im nordfriesischen Wattenmeer
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Eine queere Liebe ist auch Thema in "Leute von früher". Autorin Kristin Höller allerdings verquickt sie mit der Klimakrise und auch ein wenig in die Gegenwart geholtem Mythos - und das sehr gekonnt. Hauptfigur ist die Endzwanzigerin Marlene, die gerade ihr Studium beendet hat, nicht genau weiß, wie es für sie im Leben weitergehen soll und erstmal einen Job in einem Erlebnisdorf auf der Nordseeinsel Strand annimmt. Dort schmeißt sie sich jeden Morgen mit Dutzenden anderen Saisonkräften in kratzige Kostüme und inszeniert für Touristen und Touristinnen das Leben auf der Insel um 1900. Bei ihrer Arbeit lernt sie Janne kennen, die auf der Insel aufgewachsen ist. Je mehr sie sich in die junge Frau verliebt, desto häufiger nimmt Marlene seltsame Vorfälle wahr. Und sie merkt, dass Janne und die anderen Einheimischen ein Geheimnis verbindet, das mit der Vergangenheit der Insel zu tun hat. Gleichzeitig wird das Wetter immer extremer.

Für ihren zweiten Roman wählt Höller einen klugen Kniff: Sie lässt ihre in der Gegenwart angesiedelte Handlung auf einer Insel spielen, die es nicht gibt - aber früher einmal gab. Nach mehreren Sturmfluten wurde Strand im 17. Jahrhundert auseinandergerissen, übrig blieben Pellworm und Nordstrand. Hauptort von Strand war das sagenumwobene Rungholt, von dem Marlene im Watt Überreste entdeckt. Diese Mischung von Gegenwart und den Katastrophen der Vergangenheit verleiht "Leute von früher" eine ganz besondere, geheimnisvolle Stimmung und gipfelt in einem effektvollen Schlussakkord. (kse)

Quelle: ntv.de

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