"Panem"-Regisseur im Interview "Mir war klar, dass es ein Risiko sein wird"
17.11.2023, 15:02 Uhr Artikel anhören
Der Film "The Ballad of Songbirds & Snakes" entstand mit einem internationalen Cast.
(Foto: Lionsgate/ LEONINE Studios)
Bei "The Ballad of Songbirds & Snakes" schwingt Regisseur Francis Lawrence zum vierten Mal in einem "Die Tribute von Panem"-Film das Zepter. Dennoch ist dieses Mal alles anders. Mit ntv.de spricht er über die Arbeit ohne Jennifer Lawrence, den Dreh in Deutschland und seine Sorgen vor Künstlicher Intelligenz.
ntv.de: Sie sind US-Amerikaner und in den USA aufgewachsen. Geboren wurde Sie allerdings in Wien. Haben Sie eigentlich - abseits ihrer Arbeit als Regisseur - noch Verbindungen nach Österreich, Europa oder vielleicht sogar Deutschland?

In Wien geboren, aber in den USA aufgewachsen und zu Hause: Regisseur Francis Lawrence.
(Foto: picture alliance / Vianney Le Caer/Invision/AP)
Francis Lawrence: Nein, nicht wirklich. Ich wurde in Wien geboren, weil mein Vater dort an einer Universität gearbeitet hat. Meine ersten Worte waren deutsch. Aber dann bin ich weggezogen, als ich drei Jahre alt war. Ich bin in Los Angeles aufgewachsen, habe all das Deutsche verloren und keine wirkliche Verbindung mehr, auch wenn ich Wien als Stadt liebe.
Schade, sonst hätte ich jetzt Ihre Deutschkenntnisse abgefragt …
Tut mir leid, ich spreche kein Deutsch mehr. Ich wünschte, ich würde es tun.
Wie schon bei "Die Tribute von Panem: Mockingjay" wurden Teile von "The Ballad of Songbirds & Snakes" in Deutschland gedreht - in Berlin, Köln und sogar Duisburg. Sie haben sich ganz begeistert über die Arbeit hier geäußert. Was war für Sie daran so positiv?
Wir haben lange recherchiert, was die besten Orte sein könnten, um diesen Film zu drehen. Wir fragten uns: Wo können wir die Art von Architektur finden, die wir wollen und brauchen? Wir stießen auf eine tolle Arena in Westpolen und kamen schnell zu dem Schluss, dass ein Großteil des restlichen Films in Berlin gedreht werden könnte, das die richtigen Straßen und die richtigen Strukturen für unsere Bedürfnisse hat. Uli, unser Produktionsdesigner (Uli Hanisch, Anm. d. Red.), stammt zudem aus Westdeutschland, aus der Nähe von Duisburg. Er zeigte mir dort einige Drehorte, die für die Darstellung von Distrikt 12 einfach unglaublich waren. Ich wünschte mir, wir wären dort auch schon für die anderen "Panem"-Filme gewesen.
Hatten Sie auch Zeit, sich zum Beispiel Berlin etwas näher anzusehen?
Ja, zumindest für ein paar gute Mahlzeiten. Außerdem fährt man ja ständig viel von Ort zu Ort. Da bekommt man schon ein Gefühl für die Stadt, ihre Parks und Sehenswürdigkeiten, die Gebäude und Restaurants.
"The Ballad of Songbirds & Snakes" ist der vierte "Panem"-Film, bei dem Sie Regie geführt haben. Hat es das für Sie einfacher gemacht oder hat es sich eher wie bei "Catching Fire", Ihrem ersten Streifen der Reihe, angefühlt? Schließlich ist es diesmal eine ganz eigene Story und ein komplett neuer Cast …
Nein, wie bei "Catching Fire" war es nicht. Damals habe ich schon mehr Druck verspürt, weil ich ganz neu dabei war, mir alle noch fremd waren und ich den Erwartungen, einen tollen Job zu machen, gerecht werden wollte. Jetzt fühle ich mich definitiv wohler. Ich bin ein Fan der "Panem"-Filme und liebe es, mit Autorin Suzanne Collins und all den anderen zusammenzuarbeiten. Trotzdem stellt einen natürlich jeder Job - ob es nun um einen weiteren "Panem"-Film oder was anderes geht - vor einzigartige Herausforderungen, egal, wie viele Erfahrungen man auch schon gemacht haben mag.
Angesichts des großen Erfolgs, den die "Panem"-Reihe bisher hatte, dürften die Erwartungen an Sie aber auch diesmal sehr hoch sein. Macht Sie das gar nicht nervös?
Nur bis zu einem gewissen Punkt. Als ich erfahren habe, dass ein neues Buch herauskommt, wusste ich, dass es 64 Jahre vor den Originalgeschichten spielt. Da war mir schon klar, dass es ein gewisses Risiko sein wird, diesen Film zu machen, in dem Katniss Everdeen (die Heldin der ursprünglichen "Panem"-Filme, Anm. d. Red.) und mit ihr Jennifer Lawrence nicht vorkommen werden. Aber dann habe ich mich einfach in die Geschichte verliebt. Das ist, worum es mir geht: Ich muss mich in etwas derart verlieben, dass ich bereit bin, ihm zwei Jahre oder mehr meines Lebens zu widmen.
Was hat die Geschichte für Sie so besonders gemacht?
Eine ganze Reihe von Dingen. Vor allem ist da der historische Aspekt, in der Geschichte Panems an einen Punkt nicht lange nach dem Ende des Krieges zurückzugehen, während es sich in einer Art Wiederaufbauphase befindet. Es ist interessant, wie rudimentär alles noch ist. Wir kehren an den Ursprung so vieler Dinge zurück - den Ursprung von Präsident Snow, den Ursprung des "Hanging Trees" und der Spiele. Das fand ich alles faszinierend.
Wir haben schon über Jennifer Lawrence gesprochen, mit der Sie weder verwandt noch verschwägert sind …
(lacht) Nein, bin ich nicht.
Sie haben mit ihr auch schon bei "Red Sparrow" zusammengearbeitet. Aber es waren definitiv die "Panem"-Filme, die sie zum Superstar gemacht haben. Wenn Sie sich jetzt den Cast von "The Ballad of Songbirds & Snakes" ansehen, zu dem auch einige deutsche Schauspieler gehören - wessen Karriere könnte der Film ähnlich befeuern?
Also Rachel zum Beispiel (Rachel Zegler, Anm. d. Red.) hat natürlich bereits einen großartigen Karrierestart hingelegt. Ich hoffe sehr, dass es auch für Tom (Tom Blyth, Anm. d. Red.) ein Sprungbrett sein könnte. Ich finde, er macht einen großartigen Job in diesem Film. Das Gleiche gilt für Josh (Josh Andrés Rivera, Anm. d. Red.), der Sejanus Plinth spielt. Auch er ist ein außergewöhnlich talentierter Schauspieler. Auch Hunter (Hunter Schafer, Anm. d. Red.), die bereits in der Modewelt sehr groß ist, hat ein riesiges Potenzial für verschiedene Arten von Filmen. Ich bin sehr gespannt, was mit ihnen allen passiert.
Wie war es für Sie, einen Film mit einer so internationalen Besetzung zu inszenieren?
Großartig! Dabei fand das Casting großenteils via Zoom statt, was viele sicher nicht so prickelnd finden. Ich würde dem aber entgegenhalten, dass es dadurch viel einfacher wird, international zu casten. So können wir ein wirklich großes Netz auswerfen, um Leute aus Australien ebenso zu casten wie aus München, aus Berlin, aus London oder eben den Vereinigten Staaten. Das bringt die Menschen zusammen. Das finde ich toll.
Der Film bietet durchaus Anknüpfungspunkte, um auch diese Geschichte weiter fortzusetzen. Bisher gibt es dafür aber keine Romanvorlage von Suzanne Collins. Sie sprechen ja viel mit ihr. Denken Sie, sie wird noch ein weiteres "Panem"-Buch schreiben?
Ich weiß es nicht. Wirklich nicht! Ich habe mit ihr auch nicht darüber gesprochen, ob sie gerade an etwas in dieser Art arbeitet oder Pläne dazu hat. Ich würde sie nie unter Druck setzen wollen und finde es gut, wenn sie darauf wartet, dass sich die Dinge organisch entwickeln. Genau das hat sie auch bei "The Ballad of Songbirds & Snakes" getan. Nach dem Ende der "Mockingjay"-Filme wartete sie ein paar Jahre, um sich von neuen Themen inspirieren zu lassen, um die herum sie dann eine neue Geschichte aufbaute. Ich bin mir sicher: Sollte sie wieder etwas zu "Panem" zu sagen haben, wird sie eine weitere Geschichte in dieser Welt erschaffen.
Sollte das geschehen, wären Sie als Regisseur wieder mit an Bord …
Oh ja, das wäre toll. Natürlich müsste ich es erst lesen. Aber ich wäre auf jeden Fall aufgeregt und super gespannt.
Zuletzt wurde in Hollywood viel gestreikt - für angemessene Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und gegen den überbordenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Was ist Ihre Haltung dazu?
Wir leben definitiv in einer schwierigen Zeit. Das mit dem Streaming ist sehr schwierig und es ist schwer nachzuvollziehen, wie diese Unternehmen Geld verdienen. Es muss ein Weg gefunden werden, die Abrufe zum Beispiel in der Form des Spotify-Models zu verfolgen und die Menschen fair zu entlohnen.
Bereitet Ihnen die Künstliche Intelligenz Sorgen?
An den Punkt werde ich wahrscheinlich erst noch kommen. Im Moment bin ich in erster Linie noch fasziniert davon. Ich denke, wenn KI richtig eingesetzt wird, kann sie sehr nützlich sein. Ich nehme mal das Beispiel Referenzbilder. Wenn wir Drehbücher einreichen, könnten wir nun Referenzbilder erstellen, die sich wie Standbilder aus diesem Film anfühlen, obwohl es ihn noch gar nicht gibt. Aktuell sehe ich darin auch eine Kunstform von Menschen, die die KI dazu bringen, so etwas zu produzieren. Aber die Entwicklung der Technologie ist rasant. Und ich möchte keine KI-Charaktere haben oder Filme und Drehbücher, die von ChatGPT geschrieben werden.
Mit Francis Lawrence sprach Volker Probst
"Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds & Snakes" läuft derzeit in den deutschen Kinos
Quelle: ntv.de