Almodóvars Annäherung an den Tod "The Room Next Door" erstickt an seinen Ansprüchen
24.10.2024, 18:42 Uhr Artikel anhören
Ingrid (Moore, l.) und Martha (Swinton) kommen sich nach vielen Jahren wieder näher.
(Foto: picture alliance/dpa/Warner Bros)
Pedro Almodóvar schreibt mit "The Room Next Door" seinen ersten englischsprachigen Spielfilm. Mit seiner Star-Besetzung ist die dramatische Komödie über selbstbestimmtes Sterben zwar ein Fest für die Augen, aber dafür leider ein schwerfälliges Erlebnis für den Geist.
Den Ruf als "Regisseur, der die Frauen versteht" hat sich Pedro Almodóvar hart erarbeitet. Und das nicht ohne Grund: Die Filme des Spaniers sind geprägt von komplexen, vielschichtigen weiblichen Charakteren, die meist im Mittelpunkt seiner Geschichten stehen. Frauen in Almodóvars Werken sind widersprüchliche Figuren - sie sind stark, verletzlich, leidenschaftlich und gebrochen zugleich. Zutiefst menschlich. Diese Mischung, die er ihnen zugesteht und mit denen er ihnen eine in Filmen so seltene Authentizität verleiht, hat ihm weltweit Anerkennung eingebracht.
In "The Room Next Door" versucht der spanische Regisseur nun erneut, diese charakteristischen Elemente in den Vordergrund zu rücken. Die renommierte Kriegskorrespondentin Martha, gespielt von Tilda Swinton, ist mit einem moralisch und emotional schwerwiegenden Dilemma konfrontiert: ihrer Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, bevor eine tödliche Krankheit ihr jegliche Autonomie raubt. Ausgerechnet ihre alte Freundin Ingrid (Julianne Moore), der sie nach jahrelanger Funkstille gerade erst wieder näher kommt und die mit "On Sudden Deaths" gerade einen Roman über ihre Angst vor dem Tod geschrieben hat, soll sie die letzten Tage in ihrem Leben begleiten, da sie nicht allein sterben möchte.
Auf seiner Muttersprache wäre die Auseinandersetzung mit der Komplexität der Protagonistinnen sowie der Handlung für Almodóvar sicherlich ein Kinderspiel gewesen. Eine besondere emotionale Intimität zwischen den Charakteren und dem Publikum gehören zu seiner Expertise. Doch in seinem ersten englischsprachigen Spielfilm scheitert er daran, diese für ihn typischen Aspekte überzeugend auf die Leinwand zu bringen, "The Room Next Door" fehlt genau diese Tiefe. Dass der 75-Jährige in Vorbereitung mit "The Human Voice" (2020, ebenfalls mit Swinton in der Hauptrolle) und "Strange Way of Life" (2023) bereits erste englischsprachige Kurzfilme inszeniert hat, lässt sich leider nicht erkennen.
Swinton überzeugt nur nonverbal
Zwar beleuchtet Almodóvar Marthas Entscheidung, frei über ihren Tod zu bestimmen, sensibel und ohne den Ballast leerer religiöser Fragen. Auf Englisch möchten seine präzisen, pointierten Dialoge aber nicht rüberkommen. Stattdessen wirkt das Drehbuch - eine Adaptation des Romans "Was fehlt dir" von Sigrid Nunez - in vielen Passagen überladen und hölzern. Besonders die erste Stunde zieht sich zäh dahin, voller unnatürlicher Gespräche, die keinen rechten Fluss finden. Man fragt sich unweigerlich, ob Almodóvar die Texte wortwörtlich aus dem Roman übernommen oder auf Spanisch verfasst und dann unglücklich ins Englische übersetzt hat. Gerade Tilda Swinton, die hier deutlich mehr Text als in vielen anderen ihrer Filme hat, kämpft mit ihren überlangen, oft gestelzt wirkenden Monologen. Ihre nonverbalen Momente hingegen, die subtilen Gesten und Blicke, sind deutlich überzeugender - perfekt eingefangen im Fokus der Kamera.
Auch die Erzählweise des Films schwächelt. Die vielen Rückblenden und Hintergrundgeschichten aus Marthas Leben wirken zu Beginn des Films wie unnötige Füllmaterialien, die den eigentlichen Fokus der Handlung verwässern. Statt den emotionalen Kern der Geschichte zu stärken, stören sie den Fluss der Handlung. Gerade als man erwartet, dass Almodóvar dem Film eine seiner typischen absurden oder überraschenden Wendungen verleiht, die andere Werke wie "Frauen am Rande eines Nervenzusammenbruchs" bis hin zu "Parallele Mütter" so unverwechselbar gemacht haben, endet "The Room Next Door" abrupt und hinterlässt das frustrierende Gefühl, dass hier eine Menge Potenzial verschwendet wurde.
Ein optisches Highlight
Zumindest visuell glänzt der Film jedoch in gewohnter Almodóvar-Manier: Kaum ein anderer Regisseur hat ein solches Gespür für Ästhetik und visuelle Sprache. Die stylischen Outfits der Protagonistinnen, ihre farbenfrohe Einrichtung und die Bildkomposition sind - wie in seinen früheren Filmen - ein optisches Highlight. Diese visuellen Elemente, gepaart mit dem Soundtrack von Almodóvars Lieblingskomponisten Alberto Iglesias, sind es, die dem Film dringend benötigte Energie verleihen und die oft langatmige Handlung auflockern.
John Turturro als Ex-Lover der beiden Frauen bietet hingegen keinen echten Mehrwehrt für die Handlung. Dass seine und Moores Chemie vor der Kamera stimmt, haben sie zwar bereits 2019 in "Gloria - das Leben wartet nicht" bewiesen. Doch seine Figur, der sich Ingrid anvertraut, bleibt farblos und trägt wenig bis gar nicht zum emotionalen Kern des Films bei. Seine politischen Kommentare zum Klimawandel und seinem verlorenen Glauben in die Menschheit wirken aufgesetzt und deplatziert.
Dass die dramatische Komödie bei den Filmfestspielen von Venedig den Goldenen Löwen gewann, bleibt ebenso wenig nachvollziehbar wie die rekordhaften 17-minütigen Standing Ovations für Julianne Moore und Tilda Swinton. Der Film schafft es nicht wirklich zu fesseln oder zu bewegen. Stattdessen bleibt "The Room Next Door" seltsam emotionslos und unnahbar; ein Film, der an seinen eigenen Ansprüchen erstickt. Ihm fehlen genau das Herz und die Seele, die Almodóvars sonstige Werke so auszeichnen: eine Balance zwischen Tragik und Komik, zwischen emotionaler Tiefe und stilistischer Extravaganz.
Quelle: ntv.de