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"Morgen und für immer" Ein Höllenritt durch Albaniens Schreckenszeit

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Am Ende des Zweiten Weltkriegs lernt Kajan als Kind, was ihn durch sein Leben tragen wird: Deutsch, Klavier und dass Menschen grausam sind.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs lernt Kajan als Kind, was ihn durch sein Leben tragen wird: Deutsch, Klavier und dass Menschen grausam sind.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Albanien ist eines jener Länder, die am Rande Europas seltsam aus der Zeit gefallen scheinen. Es ist das Geburtsland von Ermal Meta, der in Italien eine neue Heimat gefunden hat und den Albanien dennoch nicht loslässt. Nun schenkt er Albanien ein Epos.

Eingefleischten ESC-Fans könnte der Name Ermal Meta etwas sagen. Der Singer-Songwriter vertrat zusammen mit Fabrizio Moro 2018 Italien und landete in Lissabon mit "Non mi avete fatto niente" ("Ihr konntet mir nichts anhaben") immerhin auf dem fünften Platz. In Italien ist der zweifache Gewinner des Festivals von San Remo längst ein Star.

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Inzwischen hat sich Meta, der 1994 aus Albanien nach Italien kam, auf längere Texte verlegt und seinen ersten Roman geschrieben. Während des ersten Lockdowns, "in dieser völligen Stille", habe er keine Lust gehabt, Musik zu machen. "Aber ich musste trotzdem schreiben", erzählte Meta der italienischen Ausgabe der Vanity Fair über den Beginn seiner Geschichte "Morgen und für immer", die nun in der Übersetzung von Peter Klöss auf Deutsch erschienen und auch als Hörbuch erhältlich ist.

Für seinen Roman taucht Meta in die Geschichte seines Herkunftslandes Albanien ein. Es ist das Jahr 1943. Der siebenjährige Kajan lebt mit seiner Familie und seinem geliebten Großvater Betim auf einem Bauernhof in dem kleinen Dorf Rragam im Norden des Landes. Seine Eltern sind Partisanen und kämpfen in den Bergen gegen die deutschen Nazibesatzer. Kajan löchert den Großvater mit Fragen: Wo sind die Eltern? Was ist der Krieg?

Doch noch berührt der Krieg Kajans Leben nicht wirklich, bis eines Tages der deutsche Deserteur Cornelius vor der Tür steht. Die Begegnung mit dem Deutschen soll Kajans Leben verändern. Denn von ihm lernt er nicht nur Deutsch, sondern Cornelius öffnet ihm die Welt der Musik, indem er ihn am Klavier unterrichtet. Und Cornelius rettet ihm das Leben, als versprengte Nazis den Bauernhof heimsuchen. Doch Betim stirbt.

Rädchen in der Maschine der Diktatur

Kurz darauf verlässt Kajan sein Heimatdorf für immer. Seine Eltern sind als frühere Partisanen nun Stützen der kommunistischen Diktatur unter Enver Hoxha. Das bringt ihnen scheinbar etwas Sicherheit in einer unmenschlichen Welt. Trotzdem bleibt die Familie von der grausamen Unberechenbarkeit des kommunistischen Machtapparates nicht verschont. Die Willkür trifft Kajans Cousins. Mit zerschlagenen Gesichtern liegen sie offenbar in der Leichenhalle, nur noch zu erkennen an den bunten Schnürsenkeln, die ihre Mutter ihnen in die Schuhe gefädelt hatte, weil das bunte Garn wenigstens nicht riss.

Kajan ist inzwischen Musikprofessor, hat Erfolg als Pianist und Komponist, und liebt Elizabeta, eine seiner Schülerinnen. Doch auch diese Liebe scheitert an den unmenschlichen Regeln der Diktatur, denn Elizabetas Vater war ein Regimekritiker. Elizabeta zieht die Konsequenzen und verlässt Kajan und Albanien. Dessen Leben geht scheinbar in sozialistischen Bahnen weiter, er spielt vor den Staatsgrößen und wird schließlich zu einem Auslandskonzert in die DDR entsandt.

Obwohl Kajan nicht unbedingt kritisch gegenüber den politischen Verhältnissen Albaniens eingestellt ist, wird ihm in Ost-Berlin klar, dass es in keinem sozialistischen Land ein erträgliches Leben gibt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mit der polnischen Vertreterin Dana endlich wieder Liebe in sein Leben kommt, wenn auch nur für wenige Tage. Erneut wird er von den Ereignissen überrollt, erst spielt er besser als der sowjetische Vertreter bei dem Konzert, dann wird er von mehreren Jugoslawen entführt und flüchtet eher unfreiwillig durch einen Tunnel nach West-Berlin. Wieder fallen Schüsse, Stasi und westliche Geheimdienste sind ihm auf den Fersen, während seine Mutter in Tirana vom albanischen Geheimdienst gefoltert wird.

Statt nach wenigen Tagen nach Albanien zurückzukehren, reist Kajan unter dem Namen eines ostdeutschen Toten nach Amerika. "Er würde nie mehr zurückkehren können, zumindest nicht als freier Mann." Als Jonas Keller taucht er 1962 in die Jazz-Szene von New Orleans ein. Wieder ist es die Musik, die ihm die nächste Tür öffnet und ihn nach New York bringt. Hier trifft er 1972, inzwischen 36-jährig, Dana wieder.

Für wenige Jahre kommt Kajans Leben zur Ruhe, ihr Sohn Ethan wird geboren. Doch auch dieses Leben ist nicht von Dauer, er überlebt nur knapp einen Autounfall, Dana und Ethan aber sterben. Und wieder nimmt Kajans Leben eine weitere Wende. Auf verschlungenen Wegen kehrt er Anfang der 1980er-Jahre nach Albanien zurück und bekommt eine Ahnung, welchen Preis die dort Gebliebenen für ihr Leben in der Diktatur gezahlt haben. Folterungen und Hoffnungslosigkeit, Verrat und Sterben, jedes Glück wird von immer neuer Dunkelheit verschlungen. Schließlich gerät er selbst in die Schreckensmühle.

Ein Roman wie ein Film

Meta schreibt wortgewaltig, aus vielen Zeilen klingt der Dichter. Selbst seine Nebenfiguren haben Geschichten, die der Autor mit wenigen Worten skizziert. Seine Hauptfigur Kajan durchlebt ein Schicksal, das fast zu viel für ein Leben erscheint und trotzdem weitgehend glaubwürdig ist. Rückschauend scheinen die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze der kommunistischen Diktatur auch kaum realistischer. Nicht immer ist Metas Geschichte vollkommen schlüssig, doch bei vielen Beschreibungen stellen sich Bilder dazu ein. Es ist kaum eine Überraschung, dass in Italien bereits Planungen für eine Fernsehserie laufen, die auf dem Roman basiert.

Max Urlacher gibt im Hörbuch Kajan und dessen Erzählung einen nachdenklichen Ton. Fast meint man, die Geschichte würde zum ersten Mal und nur hinter vorgehaltener Hand erzählt. Es scheint, als könne sich Urlacher dabei ebenso wie die Zuhörenden dem Sog der Geschichte kaum entziehen. Das ist zweifellos die Stärke von Metas Debütroman, der sogar für den Literaturpreis Premio Strega nominiert ist.

Quelle: ntv.de

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