
Unvereinbare Realitäten: Kurt Pelda, Harald Kujat, Marwan Khoury, Gabriele Krone-Schmalz und Martin Schulz (v.l.) bei Anne Will (M.).
(Foto: annewill.de)
Russland-Skeptiker und Russland-Versteher haben nicht viel gemeinsam. Schon gar nicht, wenn über den Krieg in Syrien diskutiert wird.
Wenn es in Deutschland um Russland geht, gibt es zwei Realitäten. In der einen sieht es so aus: Man kann der russischen Regierung nicht trauen, Russlands Präsident Wladimir Putin verfolgt das Ziel, den Westen, vor allem Europa, zu spalten. In den Syrien-Konflikt hat Russland sich nur eingeschaltet, um zu demonstrieren, dass es eine Supermacht ist, und um seinen Militärstützpunkt am Mittelmeer zu sichern.

Will Putin den IS besiegen oder die russischen Militärbasen in Syrien schützen? Man weiß es nicht. Vielleicht beides?
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In der anderen Realität ist Frieden grundsätzlich nur mit Russland möglich. Putin ist ein Verhandlungspartner, den man ernst und beim Wort nehmen muss, der vom Westen über Jahre gedemütigt wurde und der einen legitimen Anspruch hat, Supermacht zu sein. In den syrischen Bürgerkrieg hat Putin eingegriffen, um die Terroristen des Islamischen Staats zu besiegen.
Es kann sein, dass man auf beiden Seiten zu dem Schluss kommt, dass man mit Russland reden muss, denn reden ist immer gut. Doch im Grunde sind diese Realitäten völlig unvereinbar.
Damit ist klar: Eine Talkshow, in der es um Syrien geht, muss an der Haltung der Gesprächsteilnehmer zu Russland scheitern. Bei Anne Will zu Gast am Sonntagabend waren drei Russland-Skeptiker und zwei Russland-Versteher, um beiden Gruppen einen Namen zu geben. Auf der einen Seite: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz von der SPD, der Schweizer Kriegsreporter Kurt Pelda und der syrische Arzt Marwan Khoury, der eine Praxis im oberfränkischen Hof hat und 2012 den Verein Barada Syrienhilfe gegründet hat. Auf der anderen Seite: der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, und Gabriele Krone-Schmalz, die ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, die Russland in zahlreichen Talkshows konsequenter verteidigt, als es die überzeugtesten Transatlantiker der CDU mit den USA tun.
Bloß keine Moral!
Kujat hatte am vergangenen Freitag folgendes gesagt: "Die Russen haben mit ihrem militärischen Eingreifen den Friedensprozess erst ermöglicht. Bis September 2015 hatten wir absoluten Stillstand. Weder die Amerikaner noch die Europäer hatten eine Strategie für ein friedliches Syrien und waren auch nicht bereit, sich massiv zu engagieren. Die Russen haben es gemacht und damit ein Fenster für eine politische Lösung aufgestoßen." Als Lob für Russland will Kujat das nicht verstanden wissen - überhaupt scheint die Devise des Abends vor allem auf dieser Seite des Realitätsgrabens zu sein, möglichst nicht mit einer moralischen Position erwischt zu werden.
Er wolle Schwarzweißmalerei vermeiden, nach dem Motto: Die Russen tun immer das Schlechte, der Westen tut immer das Gute, so Kujat. Es stimme, die Russen bombardierten die gemäßigten Kräfte. Aber die Türken bombardierten ja auch die Kurden. "Das wird bei uns nicht kritisiert."
Schulz widerspricht: Dass die syrischen Kurden von der Türkei angegriffen würden, werde im Westen sehr wohl kritisiert, auch "in meinem Parlament". Er kommt gerade von der Sicherheitskonferenz in München. Dort sei die Stimmung angespannt gewesen, weil Russland keinen Zweifel daran lasse, ein internationaler Akteur zu sein, der ernst genommen werden wolle. Auch Schulz will das nicht kritisieren: "Ich bewerte nicht, ich referiere." Russland betreibe eine "expansive Politik", so der SPD-Politiker weiter; das Land stoße in ein Vakuum vor, das die USA und Europa geschaffen hätten: die USA, weil Präsident Barack Obama sich international zurückhalte und es auch noch mit einem Kongress zu tun habe, in dem Republikaner die Mehrheit hätten, die einen weiteren Rückzug der USA von der internationalen Bühne befürworteten. Europa, weil es mit inneren Schwierigkeiten beschäftigt sei.
Feind oder Feindbild?
Das sieht der Schweizer Journalist ebenso - mit dem Unterschied, dass Pelda durchaus bewerten möchte. Er wirft Russland vor, das Assad-Regime bei ethnischen Säuberungen zu unterstützen. "Im Moment wird Nordsyrien von sunnitischen Arabern gesäubert, und die Kurden helfen dabei mit." Die "dummen Europäer" würden auch noch klatschen, weil Putin angeblich den Frieden bringe. Erst wenn die Flüchtlingswelle nach Europa komme, werde man sich wundern.
Pelda sagt, wer wirklich an einer Friedenslösung interessiert sei, müsse Assad, Russland und dem Iran klar machen, "dass sie diesen Krieg nicht gewinnen können". Heißt konkret: Der Westen müsse die "nicht-dschihadistische Opposition" militärisch stärken. Es sei besser, die Russen jetzt in Syrien zu stoppen als später in Osteuropa. Es ist eine radikale Position, aber letztlich auch nur der Gegenentwurf zu Krone-Schmalz. Sie pariert jeden Angriff gegen Russland, und sei es nur mit einer Frage. Wie schlecht sei es um unsere Gesellschaft bestellt, "wenn wir es nötig haben, ein solches Feindbild aufzubauen"? Es seien "nun wirklich nicht" die Russen, die den Kalten Krieg herbeiredeten. "Frieden in der Welt oder eine halbwegs funktionierende Welt wird man ohne Russland nicht hinkriegen." Die russischen Gesprächsangebote an den Westen seien nie aufgegriffen worden, "das rächt sich jetzt".
Vor einer Antwort, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Kritik an Russland "moralisiert" habe, drückt sich Krone-Schmalz - so sehr, dass man sich fragt, ob sie mittlerweile Politikerin geworden ist. Nur ganz abstrakt will sie sagen, dass jeder moralisiere, der einem Schwarzweißdenken das Wort rede.
Da widerspricht Schulz erneut: Eine Militärmacht handele in der Logik einer Militärmacht. "Eine effiziente Militärmacht hält aber auch humanitäre Korridore offen." Das müsse man kritisieren, "und deshalb moralisiert Frau Merkel nicht, sondern sie sagt an der Stelle die Wahrheit". Ausdrücklich gehöre er zu denen, die anerkennen, dass Russland ein wichtiges Land sei. Aber nicht jeder Akteur der internationalen Politik gefalle ihm. "Putin finanziert alle rechtsextremistischen Parteien in Europa", sagt Schulz, zum Beispiel den französischen Front National. Das russische Gerede über das dekadente, schwule Europa sei "Putinismus in Reinkultur". In der Realität von Krone-Schmalz findet sich dazu kein Gegenstück. "Ich glaube, wir sollten beim Thema Syrien bleiben", entgegnet sie nur.
Putin beim Wort nehmen. Nur wie?
Keine Probleme mit der Moral hat der Arzt Khoury. "Ich bin ein humanitärer Aktivist, bei mir spielt Moral eine große Rolle", schickt er, gewissermaßen als Warnung, vorweg. Seine Sicht: Die Russen wollen die Alternative zu Assad ausschalten - und das sei nicht der IS, sondern die gemäßigte Opposition. Russland wolle Syrien nicht befreien, sondern Assad an der Macht halten. Da lacht Krone-Schmalz.
Das Problem lässt sich nicht lösen. Kujat sagt, es sei "völlig klar", dass Assad nicht an der Regierung bleiben könne, das habe Putin schließlich gesagt, "und wir müssen ihn auch beim Wort nehmen". Kujat bezieht sich offenbar auf ein Interview Putins mit dem US-Sender CBS im September 2015. Darin hatte Putin gesagt, nur das syrische Volk habe das Recht zu entscheiden, wer ihr Land regieren soll - das meinte Kujat. Im selben Interview hatte Putin keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Assad-Regierung retten will.
Was also will Putin, wenn er selbst zwei gegensätzliche Realitäten als Möglichkeit darstellt? Kujat glaubt, es zu wissen: Die Russen seien nicht nach Syrien gegangen, um Assad an der Macht zu halten, sondern "weil sie strategische Interessen haben". Aleppo sei nur ein Zwischenziel. Mit der Eroberung der Stadt wollten sie die "Terroristen, wie sie es sagen", von der Versorgung aus der Türkei abschneiden. Wenn Aleppo eingenommen sei, würden die Russen sich nach Rakka wenden, der Hochburg des IS.
Kujat sieht durchaus ein Risiko bei dieser Strategie. Die Türkei habe bereits angefangen, die Kurden in Syrien anzugreifen, und sie drohe damit, noch stärker militärisch einzugreifen. "Das wäre der Supergau", denn wenn die Türkei in Syrien einmarschiere, "dann sind wir alle im Konflikt mit Russland". Um das zu verhindern, müssten "wir", also Deutschland, "auf unseren Verbündeten Einfluss" nehmen. Nicht Russland soll also das Risiko entschärfen, sondern der Westen.
Dass Khoury Russland eine ganz andere Strategie unterstellt, versteht sich von selbst: Russland habe in Syrien eingegriffen, um seine Militärbasis im Land zu behalten. Krone-Schmalz schafft es gerade noch zu sagen: "Da muss ich extrem widersprechen." Dann ist die Sendung zuende.
Wie gesagt: zwei völlig unvereinbare Realitäten.
Quelle: ntv.de