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Habeck will Technik zulassen CCS: Etikettenschwindel oder pragmatischer Klimaschutz?

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Im dänischen Aalborg wird sein November 2023 in dieser Fabrik CO2 abgeschieden und im Anschluss gespeichert.

Im dänischen Aalborg wird sein November 2023 in dieser Fabrik CO2 abgeschieden und im Anschluss gespeichert.

(Foto: picture alliance / Ritzau Scanpix)

Neben der Reduktion von CO2, dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Transformation der Industrie setzen Staaten international zuletzt immer stärker auf CCS. Wirtschaftsminister Habeck will das Speichern von Treibhausgasen für Deutschland auch zulassen. Worum geht es bei der Technik genau?

Die EU-Kommission hat Großes vor. Bis 2040 sollen die Treibhausgasemissionen europaweit um 90 Prozent gegenüber 1990 sinken, zehn Jahre später sollen die EU-Staaten dann rechnerisch emissionsfrei sein. Ein Lösungsansatz für immer mehr Staaten ist das sogenannte CCS-Verfahren, als "Carbon Dioxide Capture and Storage". Die Technologie sei sicher und ziele auf Branchen ab, die nach aktuellem Stand nur schwer oder gar nicht klimaneutral werden könnten, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck. Er will die Technologie auch in Deutschland grundsätzlich erlauben. Aber was verbirgt sich hinter CCS, was sind Vor- und was mögliche Nachteile? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was ist CCS?

Viele Experten und Politiker gehen mittlerweile davon aus, dass CO2-Neutralität weltweit nicht ausschließlich durch die Reduktion von CO2-Emissionen zu erreichen sein wird. Es müssten auch Treibhausgase eingefangen und gespeichert werden. CCS soll hier das Mittel der Wahl sein.

Bei dieser Technologie wird Kohlendioxid in Industrieprozessen auf unterschiedliche Art und Weise abgeschieden. Das passiert etwa per nachgeschalteter Gas-, Carbonat- oder Amin-Wäsche. Dabei wird das CO2 mittels Chemikalien von anderen Abgasen getrennt und mit einer Spezialflüssigkeit verbunden. Im Anschluss wird diese verbrannt, bis das Gas in seiner reinen Form übrig bleibt. Für den Transport muss das Gas allerdings erneut verflüssigt sowie gekühlt und unter starkem Druck verdichtet werden. Das Abscheiden lohnt sich am ehesten bei energieintensiven Betrieben wie Kraftwerken, in der Eisen- und Stahlproduktion, der Zementindustrie oder in Öl- und Gasraffinerien, aber auch in der Abfallindustrie.

Im zweiten Schritt wird das Gas dann gespeichert oder für eine spätere Nutzung zwischengelagert. Naheliegende Speicherorte sind ehemalige Öl- und Gaslagerstätten, salzhaltiges Gestein sowie der Meeresboden. Letztlich wird es in Europa vor allem auf die Lagerung in der Nordsee hinauslaufen.

Was sind die Vorteile?

Das Erreichen von CO2-Neutralität einzig über den Weg der Treibhausgasreduktion scheint immer weniger zielführend. In den letzten Jahren haben die weltweiten Emissionen eher zu- als abgenommen. Selbst ein sofortiges Umsteuern aller Staaten weltweit würde nicht ausreichen, um das Maß an Treibhausgasen in der Atmosphäre zügig zu senken und eine Begrenzung der weltweiten Erwärmung effektiv aufzuhalten. Die sinnvollste Alternative scheint daher das Herausfiltern von CO2 aus der Atmosphäre, am besten dort, wo es entsteht, nämlich bei industriellen Prozessen. Das Herausnehmen von Treibhausgasen (negative Emissionen) aus der Atmosphäre kann die Nettoemissionen tatsächlich reduzieren. Durch intensive Öl- und Gasförderung sind etwa in der Nordsee viele Lagerstätten vorhanden.

Des Weiteren muss das CO2 nicht endgültig gespeichert, sondern kann in der Industrie später als Rohstoff verwendet werden. Der Kunststoff-Hersteller Covestro hat etwa CO2 als Ausgangsmaterial für Schaumstoffe verwendet, die in Matratzen, Möbeln oder in der Autoindustrie eingesetzt wurden.

Was sind die Nachteile?

Auch wenn es weltweit mittlerweile rund 200 Modellprojekte zur Speicherung von CO2 geben soll, steckt die Technologie noch in den Kinderschuhen. Sie ist entsprechend teuer. Das liegt unter anderem daran, dass für das Abscheiden des Treibhausgases sehr viel Energie notwendig ist. Dabei ist entscheidend, aus welchen Energieträgern diese gewonnen wird. Müssen dafür Atomkraft- oder Kohlekraftwerke Energie liefern, geht die Rechnung am Ende nicht auf.

Ein weiteres Problem ist, dass die potenziellen Lagerstätten für die Menge CO2, die aus der Atmosphäre gefiltert werden müsste, um einen gewichtigen Umwelteffekt zu erzielen, viel zu klein sind. Selbst Dänemark und Norwegen, die in Europa die Spitzenreiter in Sachen CCS sind, planen bisher eher überschaubare Mengen des Gases in den Nordseeboden zu verpressen. Dänemark will in seinem Projekt "Greensand" bis 2030 etwa acht Millionen Tonnen CO2 speichern, also etwa anderthalb Tonnen pro Jahr. Das Land hat seine jährlichen CO2-Emissionen in den letzten Jahrzehnten bereits spürbar gesenkt, 2022 lag die Menge jedoch noch immer bei gut 29 Millionen Tonnen. Da fallen acht Millionen Tonnen binnen sechs Jahren kaum ins Gewicht, zumal diese nicht ausschließlich aus Dänemark stammen, sondern unter anderem aus Belgien. Auch das norwegische Projekt "Longship/Northern Lights" kalkuliert mit jährlich rund 1,5 Millionen eingelagerten Tonnen CO2. Das sind für Norwegen und Dänemark schon eher kleinen Mengen, für Industrieländer wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien sind sie nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Deutschland hat laut Statistischem Bundesamt 2022 beispielsweise 657 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen.

Ein weiterer Punkt treibt vor allem Umweltverbände um. Sollte es zu Lecks in unterirdischen Speicherstätten kommen, könnten Umweltkatastrophen die Folge sein. So könnte etwa das Grundwasser durch das entwichene CO2 kontaminiert werden, warnt das Umweltbundesamt. Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt ist, dass mit dem verstärkten Setzen auf das Einfangen von CO2 weitere umweltpolitische Anstrengungen wie etwa der Ausbau erneuerbarer Energien oder der Umbau der Industrie zu mehr Energieeffizienz wieder weniger wichtig werden könnten.

Wer ist dafür, wer ist dagegen?

Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen befürwortet die Technologie mittlerweile, Vertreter der FDP sind ohnehin viel stärker für das Filtern und Speichern von CO2 als für die Reduktion von Treibhausgasen. Auch CDU-Klimapolitiker Andreas Jung macht der Ampelkoalition Druck, die Technik viel stärker zu erproben. EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra sowie die EU-Energiekommissarin Kadri Simson setzen sich ebenfalls intensiv für die Technologie ein. Um die Klimaziele zu erreichen, sei die Speicherung von CO2 neben Energieeffizienz und dem Ausbau der erneuerbaren Energien notwendig. Die Technologie werde "nicht nur Emissionen senken, sondern auch die Industrie sauberer und wettbewerbsfähiger machen", sagt etwa Simson. Branchenverbände wie Zukunft Gas oder der Verband der Gas- und Wasserstoffwirtschaft befürworten die Technik natürlich und loben den pragmatischen Ansatz.

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Auch aus der Wissenschaft gibt es Signale, dass ohne das Einfangen von Treibhausgasen Klimaneutralität nicht zu schaffen sein wird. Deutschland müsse bei der Umsetzung dieser Technologie schneller vorankommen, sagte der Geowissenschaftler Klaus Wallmann vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Die Gefahren von CCS hält er für überschaubar. Die Risiken seien in vielen wissenschaftlichen Projekten bereits seit Jahrzehnten intensiv untersucht worden. "Dabei hat sich gezeigt, dass die Risiken beherrschbar sind, wenn eine umfassende Überwachung und geeignete Regulierung erfolgt. Dann ist der Nutzen für den Klimaschutz deutlich höher als das Umweltrisiko", sagte Wallmann. Auch der deutsche Klimaforscher Ottmar Edenhofer betonte, ohne CO2-Speicherung werde Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen.

Traditionell haben die Grünen ein Problem mit dem einseitigen Fokus auf CCS. Klimapolitikerin Lisa Badum erklärt etwa: "Bevor wir keine echte Bauwende eingeleitet haben, brauchen wir über CCS in der Zementindustrie nicht zu reden. Echte Dekarbonisierung braucht Vorrang vor teuren und energieaufwendigen Abscheidetechniken. Wenn das nicht klar ist, schadet die Technik dem Klimaschutz". Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zeigt sich alarmiert über die jüngsten Regierungspläne zur Abscheidung und Speicherung von CO2 auf See. "Mit den Planungen zu CCS an Gaskraftwerken setzt Bundesminister Robert Habeck den Ausstieg aus den fossilen Energien aufs Spiel." Die angebliche Begrenzung der Anwendung von CCS sei ein "Etikettenschwindel", betonte BUND-Vorsitzender Olaf Bandt. "Denn mit dem heute verkündeten Freifahrtschein für CCS werden CO2-Leitungsnetze und Deponien für die Gaskonzerne zum Geschäft, das umso profitabler ist, je mehr CO2 entsteht."

Quelle: ntv.de, mit DJ

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