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Habeck im Interview mit ntv.de "Gibt einen Unsicherheitsfaktor, den der Haushalt noch nicht abbildet"

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"Mit der Wachstumsinitiative haben wir ein sehr gutes Paket geschnürt", sagt Habeck im ntv.de-Interview.

"Mit der Wachstumsinitiative haben wir ein sehr gutes Paket geschnürt", sagt Habeck im ntv.de-Interview.

(Foto: picture alliance / Bonn.digital)

Die Bundesregierung habe mit den Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft "ein sehr gutes Paket" geschnürt, wehrt sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Interview mit ntv.de gegen Kritik. Die Bundesregierung setze vielfältige Anreize, damit mehr Menschen in Deutschland mehr arbeiten. Die umstrittenen Lohnsteuerrabatte für ausländische Fachkräfte seien nur ein kleiner Teil des Ganzen. Die Regierungsfraktionen warnt Habeck zudem davor, die Änderungen beim Bürgergeld infrage zu stellen. "Das sollte man nicht aufschnüren", sagt der Grünen-Politiker. Die Debatte über eine Aussetzung der Schuldenbremse sei "erledigt". Beim mühsam geeinten Haushalt 2025 gebe es aber einen Unsicherheitsfaktor namens Donald Trump.

ntv.de: Sie berichten gerne aus Ihren Gesprächen mit Unternehmern, auch mit den kleineren. Haben Sie schon Rückmeldungen zur Wachstumsinitiative bekommen?

Robert Habeck: Mit der Wachstumsinitiative haben wir ein sehr gutes Paket geschnürt, das gut für die Wirtschaft ist: Bürokratieabbau, Steuervorteile, Anreize für mehr Arbeits- und Fachkräfte. Ich habe unsere Vorhaben noch am Tag der Haushaltseinigung einer Runde mit den 40 Dax-Unternehmen vorgestellt. Die haben das positiv aufgenommen. Am Montag habe ich Mercedes in Stuttgart besucht. Die haben sich besonders über die Sonderabschreibungen für Elektroautos in Firmenflotten gefreut und über die Anhebung des Preisdeckels der Autos, für die diese Förderung greift. Und im Gespräch mit der Handwerkskammer Koblenz gab es viel Lob dafür, dass künftig eine Arbeitserlaubnis für Geflüchtete als erteilt gilt, wenn die Ausländerämter nicht binnen zwei Wochen widersprechen. Das ist alles schon angekommen in der Wirtschaft und wird sehr, sehr positiv aufgenommen.

Immer wieder ist Ihnen die Klage über das deutsche Lieferkettengesetz begegnet. Sie wollen dieses Bürokratiemonster nun so lange nicht mehr forcieren, bis weniger aufwendige Vorgaben im Rahmen des EU-Lieferkettengesetzes gelten. Wie schnell kann die EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden?

Die allermeisten Gesetze zur Wachstumsinitiative sollten bis Ende des Jahres umgesetzt werden. Ein Teil wird als Begleitgesetz zum Haushalt kommen, der im November verabschiedet werden soll. Für das Lieferkettengesetz wird es ein eigenes Verfahren geben. Das ist zwar komplex, wir können bei der Umsetzung aber auf das deutsche Gesetz aufbauen. Deswegen hoffe ich, dass es zügig geht.

Dass die Nichteinhaltung des deutschen Liefergesetzes bis dahin nicht mehr sanktioniert wird, braucht kein eigenes Gesetz? Gilt das ab sofort?

Wir werden das EU-Gesetz noch in dieser Legislaturperiode so bürokratiearm wie möglich umsetzen, damit sind nur noch rund ein Drittel und damit weniger als 1.000 Unternehmen der unter das deutsche Lieferkettengesetz fallenden Unternehmen direkt erfasst. Ab 1. Januar können die Unternehmen die Berichte dann durch die aufgrund der vom EU-Recht neu vorgesehenen Berichte ersetzen. Bis dahin wird von einer Sanktionierung bei Verstößen gegen Berichtspflichten abgesehen.

Haben Sie einmal durchgezählt, wie viele Gesetze für die Wachstumsinitiative kurzfristig novelliert oder neu geschrieben werden müssen?

Das Paket umfasst knapp 50 Punkte. Davon sind aber nicht alle gesetzesrelevant, etwa die Hälfte wird durch Gesetzesänderungen umgesetzt.

Ein Aspekt gerät jetzt schon in die Mühlen der Ampel: Aus der SPD kommt Kritik an der Idee, ausländischen Fachkräften für eine gewisse Zeit einen Teil der Lohnsteuer zu erlassen. Die Idee dahinter erschließt sich tatsächlich nicht unbedingt.

Das Grundproblem ist ja, dass überall Arbeits- und Fachkräfte fehlen, Betriebe Aufträge nicht mehr annehmen können oder Öffnungszeiten gekürzt werden müssen, manche müssen ganz aufgeben. Dieser Arbeits- und Fachkräftemangel gefährdet den Wohlstand und die Wachstumsperspektive des Landes. Deshalb legen wir mit unserem Paket einen Schwerpunkt darauf, wie wir möglichst viel Arbeitskraft im Inland mobilisieren können: Anreize für mehr Überstunden, weniger Teilzeitarbeit, Arbeit im Alter, Aktivierung von Bürgergeldempfängern. Ein zeitlich befristeter Steueranreiz zum Beispiel für IT-Spezialisten aus dem Ausland, um die der Weltmarkt hart konkurriert und die dringend gebraucht werden, ist nur ein sehr kleiner Teil davon, und kam als Anregung aus der Wirtschaft. Wir müssen eben sehen, dass mehr als ein Dutzend unserer europäischen Partner solche Vorteile gewähren und damit einen Wettbewerbsvorteil uns gegenüber haben.

Es klingt dennoch nach Bevorzugung von Ausländern, wenn diese für dieselbe Arbeit mehr Geld erhalten sollen als Menschen mit deutschem Pass. Ist das mit Blick auf die gereizte Stimmung im Osten eine gute Idee, so kurz vor den Landtagswahlen?

Ich sehe dieses Argument durchaus. Es ist ausdrücklich vorgesehen, dass man nach einiger Zeit überprüft, ob solche Steueranreize funktionieren. Wenn nicht, lässt man es wieder.

Eine Entscheidung von größerer Tragweite ist sicherlich, Ausländern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die Zwei-Wochen-Widerspruchsfrist kommt einem Paradigmenwechsel gleich.

Ja. Und ich möchte mich bei den Handwerkern und den Handwerksmeistern bedanken, die das Thema immer wieder mit großer Dringlichkeit vorgetragen haben. Wie oft ist mir das begegnet, dass beispielsweise ein Kfz-Betrieb jemanden einstellen wollte, der die Arbeit konnte und auch machen wollte. Und dann kam die Ausländerbehörde und hat beim Qualifizierungsnachweis noch in Spalte X, Fußnote Y ein Problem entdeckt. Oder die Sprachkenntnisse wurden als nicht ausreichend eingestuft. Da haben mich die Meister gefragt, wozu sie denn Meister seien, wenn sie nicht selbst entscheiden könnten, wann jemand fähig ist, für sie zu arbeiten? Die Zwei-Wochen-Frist kann viel Bürokratie und Ärger ersparen. Und Geflüchtete können schneller finanziell auf eigenen Beinen stehen.

Spannend wird auch zu sehen sein, wie viele Menschen von den Anreizen für eine Weiterarbeit über das Rentenalter hinaus Gebrauch machen.

Das ist eine gute Lösung, die niemanden zwingt, sondern ein Angebot ist an diejenigen, die noch länger arbeiten wollen und können. Wer das Renteneintrittsalter überschritten hat, bekommt die Sozialabgaben, die die Arbeitgeber noch zahlen müssen, als Lohn ausgezahlt. Bei einem Durchschnittslohn sind das etwa 250 Euro mehr pro Monat. Da kommt schon was zusammen.

Geht die Rechnung wirklich auf? Bei der Altersteilzeit sehen wir, dass gerne die früher aufhören, die es sich leisten können. Wer sich das nicht leisten kann, arbeitet meist bis zum letzten Tag und kann dann nicht mehr, weil schlechtere Löhne oft mit körperlich fordernder Arbeit einhergehen.

Ich habe Respekt vor der hohen Leistung jener, die 45 Jahre lang hart und unter körperlicher Belastung geschuftet haben und dann sagen, mehr geht nicht. Deshalb war ich auch dagegen, die Rente mit 63, die ja jetzt eine Rente mit fast 65 ist, abzuschaffen. Und deshalb bin ich so ein großer Freund des Anreizsystems: Wir brauchen alles Wissen, alles Können, alle Erfahrung und alle Expertise. Es gibt viele Menschen, die ihre Arbeit mit großer Leidenschaft machen, egal wie hoch das Einkommen oder die Rente ist. Aber der finanzielle Anreiz kann für viele Menschen Motivation sein, ein Jahr oder zwei Jahre länger zu machen. Wichtig ist das Signal: Arbeit lohnt sich. Deshalb schaffen wir auch Arbeitsanreize für besondere, aber nicht außergewöhnliche Lebenssituationen, etwa bei der Hinterbliebenenrente. Hier sind es meist Witwen, deren Hinterbliebenenrente mit ihrem Lohn verrechnet würde, sodass sich das Arbeiten kaum lohnt. Das ändern wir. Wir drehen allüberall ein Stück weit an den Schrauben.

Auf Zuschläge für Überstunden sollen die Steuern entfallen. Das wäre aber auch nur ein zweistelliger Betrag mehr im Monat. Versprechen Sie sich davon einen starken Effekt oder geht es Ihnen um die Signalwirkung "Deutschland krempelt die Ärmel hoch"?

Das sind für viele Menschen durchaus relevante Beträge und hat mit Symbolik nichts zu tun. Überstunden sind anstrengend und belastend. Wer sie macht und dafür einen Zuschlag als Ausgleich für die Mehrbelastung bekommt, soll ihn auch ganz behalten können.

Sie bezuschussen damit auch Überstunden, die ohnehin schon in großem Umfang geleistet werden.

Es geht zunächst nur um die Zuschläge für die Überstunden. Aber es ist doch auch gut, wenn Menschen, die jetzt schon Überstunden machen, dafür auch die finanzielle Anerkennung bekommen. Das hat was mit Respekt zu tun. Insgesamt wird die Summe der Maßnahmen das Arbeitsvolumen anheben. Man kann immer Einzelfälle finden, die gegen eine Idee sprechen und Regelungen unendlich kompliziert und aufwendig machen, um jeden Einzelfall zu berücksichtigen. Es ist aber keine Lösung, gar nichts tun und den Arbeitsmarkt zu belassen, wie er ist. Das haben die vergangenen Regierungen so gemacht. Dann bleibt auch das Wirtschaftswachstum auf seinem niedrigen Niveau. Oder wir sagen "Nein, uns reicht das nicht!" und versuchen, mehr Menschen in mehr Arbeit zu kriegen.

Das Arbeitsvolumen will die Ampel auch anschieben, indem Bürgergeldsanktionen schneller kommen, das Schonvermögen nur noch ein halbes Jahr Bestand hat und Arbeitnehmern mehr Tätigkeiten zugemutet werden können. Haben Sie damit die Möglichkeiten zur Verschärfung des Bürgergelds ausgeschöpft?

Für Langzeitarbeitslose schaffen wir jetzt mit der Prämie für eine Arbeitsaufnahme Anreize, damit sie wieder ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können. Gleichzeitig wird die Verweigerung von zumutbarer Arbeit härter sanktioniert. Die Praktiker, mit denen ich gesprochen habe, betonen immer wieder, dass die regelmäßige und enge Betreuung gut für die Menschen ist. Wird ein Termin verpasst, kann das ebenfalls zu stärkeren Sanktionen führen. Das ist jetzt eine gute Regel. Mir ist wichtig: Es ist eine Errungenschaft, dass wir mit dem Bürgergeld als Staat solidarisch sind mit den Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Für die wenigen, die das Bürgergeld ausnutzen, muss es aber auch eine Antwort des Staates geben. Das sind wir den Menschen schuldig, die hart arbeiten und mit ihren Steuern auch das Bürgergeld finanzieren. Sanktionen haben aber natürlich verfassungsrechtliche Grenzen - und das ist auch gut so.

Stimmen Sie sich auf Widerstand aus den Fraktionen von SPD und Grünen ein?

Wir haben zusätzlich zu den Prämien noch weitere Erleichterungen vereinbart: Wir führen etwa den Kindersofortzuschlag für Kinder aus armen Familien nicht nur fort. Wir erhöhen ihn auch um fünf Euro, analog zum Kindergeld. Das durchzusetzen, war nicht leicht. Die Maßnahmen sind gut austariert, es ist ein Gesamtpaket, das müssen wir alle im Blick haben. Das sollte man nicht aufschnüren.

Sie haben die Vergünstigungen für Elektroautos in Dienstwagenflotten angesprochen. Diesen Markt haben sich die Autofirmen mit Rabattschlachten selbst kaputt gemacht. Es wirkt wenig marktwirtschaftlich, dass der Staat diese Hersteller nun mit Zuschüssen bedenkt.

Als Bundeswirtschaftsminister habe ich eine besondere Verantwortung für die deutsche Automobilindustrie. Die deutschen Hersteller, die besonders stark in den Dienstwagenbereich verkaufen, brauchen jetzt Unterstützung. Die Treffgenauigkeit dieser Maßnahme zugunsten der deutschen Autobauer sollte passen und sie ist auf Zulassungen bis ins Jahr 2028 begrenzt.

Dennoch springt der Staat ein, weil die deutschen E-Autos für die Masse nicht erschwinglich sind.

Man kann natürlich jetzt sagen: "Hätten die doch konsequenter auf Elektromobilität gesetzt und schneller günstige E-Mobile in den Markt gebracht." Das ist alles richtig, aber nützt nichts. Ich könnte jetzt klagend danebenstehen und zugucken. Aber es geht um Standorte, viele Arbeitsplätze, Wirtschaftskraft. Deshalb präsentiere ich lieber Lösungen, damit wir den Herstellern wieder einen Anschub geben. Die deutschen Hersteller holen auf und werden auch in Zukunft konkurrenzfähige Autos produzieren.

Alles in allem sollen die Maßnahmen zu 0,5 Prozentpunkten mehr Wachstum führen, das in dem ohnehin auf Kante genähten Haushalt 2025 schon eingepreist ist. Der Haushalt steht damit auf ziemlich wackligen Füßen.

Richtig ist: Es ist ein solider Haushalt. Wir hatten in der Koalition keine Mehrheit dafür, die Schuldenbremse unter Verweis auf eine Notlage auszusetzen. Deshalb haben wir die Kreditmöglichkeiten des Staates voll ausgeschöpft und mehrere Maßnahmen vereinbart, die zusammen die gleiche Summe bringen. Und natürlich leben wir in hochdynamischen Zeiten. Die Prognosen zur Entwicklung der Konjunktur, der Arbeitslosigkeit und der Steuereinnahmen waren in den vergangenen Monaten wechselhaft.

In einem Brief an die Grünen-Bundestagsfraktion haben Sie deutlich gemacht, dass Sie in diesen Zeiten deutlich mehr staatliche Investitionen für geboten halten. Warum gehen Sie dann einen Weg mit, der Ihren Überzeugungen widerspricht?

Alle großen Institutionen in Wirtschaft und Wissenschaft halten die deutsche Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form für ein zu enges Korsett. Wir müssen mehr in unsere Wettbewerbsfähigkeit, in Bildung, in Verteidigung, in die innere Sicherheit und in unsere Infrastruktur investieren. Aber ich halte mich an unsere im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Verabredungen, auch wenn der Rahmen zu eng ist. Im nächsten Wahlkampf jedoch werden wir die Auseinandersetzung führen müssen, wie wir die Investitionen stemmen.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich behält sich eine erneute Debatte über die Aussetzung der Schuldenbremse ausdrücklich vor. Ist diese Option seit Freitag für Sie vom Tisch?

Wenn nichts Weiteres passiert, halte ich die Frage der Notlage mit dem Haushaltsentwurf, den wir vorgestellt haben, für erledigt.

Die SPD wollte unbedingt Klarheit vor der Sommerpause und hat damit diesen Haushalts-Showdown in der vergangenen Woche ein Stück weit erzwungen. Haben Sie Sorge, dass bis zu den Landtagswahlen im Osten wieder zerredet wird, was so mühsam geeint wurde?

Nein. Wir fassen am 17. Juli den Haushaltsbeschluss als Kabinett, dann ist das Parlament am Zug. Wenn die ökonomischen Daten im November noch einmal anders sind, passen wir an. Es gibt einen Unsicherheitsfaktor, den der Haushalt noch nicht abbildet. Das ist die Präsidentschaftswahl in den USA. Die findet etwa zwei Wochen vor der Verabschiedung des Haushalts im Bundestag statt, also kurz vor knapp. Wenn dann Donald Trump gewinnen sollte, kann sich noch einmal etwas richtig Fundamentales ändern. Wie wir damit umgehen würden, lässt sich heute noch nicht sagen.

Annalena Baerbock hat Ihren Verzicht auf eine erneute Kanzlerkandidatur erklärt. Hat Sie der Schritt überrascht? Treten Sie an?

Ich bin immer im engen Austausch mit der Außenministerin, die einen großartigen Job in schwierigen Zeiten macht. Dank ihr ist Deutschland ein verlässlicher Partner in der Welt. Und über Fragen der Wahlaufstellung werden wir wie immer gemeinsam mit dem Parteivorstand entscheiden - und das zu gegebener Zeit.

Mit Robert Habeck sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

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