Aufatmen dank Wackel-Haushalt Das Ende der Ampel ist abgewendet - vorerst


Erleichterung nach gefundenem Kompromiss: Lindner, Habeck und Scholz nach durchwachter Nacht.
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Es war lang, es war knapp: In einer erneuten Nachtsitzung finden SPD, Grüne und FDP einen vorläufigen Kompromiss für den Haushalt 2025 und für mehr Wachstum. Nicht einmal der Kanzler wagt Triumph-Gesten nach dem Blick in den Abgrund. Auch weil seine Partei am lautesten mosert.
Der Bundesfinanzminister ist für die Zahlen zuständig. Mehr als 80 Stunden habe er mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Haushaltsgesprächen gesessen, sagt Christian Lindner vor der versammelten Hauptstadtpresse. Und siehe da: Am Ende einer durchwachten Nacht steht tatsächlich nicht nur so etwas wie ein Haushaltsentwurf. Das Spitzentrio hat auch ein Paket zum Anschub des Wirtschaftswachstums geschnürt.
Das Ampel-Bündnis kann weiterregieren, vorerst. Erste Voraussetzung ist, dass der Schlafentzug keine tieferen Spuren hinterlassen hat. Lindner blinzelt im Sekundentakt. Des Kanzlers Stimme ist angeschlagen, er gerät beim Vortrag der Verhandlungsergebnisse zuweilen ins Stocken. Zweite Voraussetzung ist, dass die Summe an Vorhaben tatsächlich so durchs Parlament geht und die gefundenen Lösungen zur Schließung der letzten Haushaltslücken sich als umsetzbar erweisen. Bis zum 17. Juli will Lindner einen Entwurf vorlegen, den dann auch das Kabinett abnicken soll. Anschließend ist der Bundestag am Zug.
Kanzler zufrieden, aber triumphiert nicht
Vermutlich hat nicht einmal der Zahlen-affine Lindner die Summe aller bisherigen Showdowns dieser Koalition parat. So heiß wie in jener Julinacht war es aber noch nie: ein Bruch der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP stand ernsthaft im Raum. Noch am Donnerstag war unklar, wie eine Lösung aussehen könnte. Ein niedriger zweistelliger Milliardenbetrag war noch offen im Haushalt 2025. Lindner hatte aber eine Aussetzung der Schuldenbremse genauso kategorisch ausgeschlossen wie eine Mehrbelastung von Bürgerinnen und Bürgern.
Noch bis Mitternacht wussten die Beteiligten nicht sicher, ob sie eine alternative Lösung finden würden. In Gesprächen, aus denen man nicht zitieren darf, betonen mehrere Sozialdemokraten und Grüne: Ein Ende der Regierung sei verdammt nahe gewesen. Und ist auch immer noch nicht ausgeschlossen. Nach der Nachtsitzung ist noch eine bis zu 16 Milliarden Euro große Lücke zu stopfen: 8 Milliarden sollen über eine veränderte Finanzierung bundeseigener Gesellschaften wie der Autobahn GmbH zustande kommen. Ob der Kniff gelingt, ist unsicher. Dazu kommen 8 Milliarden, die die Ministerien noch einsparen müssen, sollten alle ihnen zugeteilte Mittel vollumfänglich abfließen.
"Ein sehr beeindruckendes Gemeinschaftsprodukt", sei den Dreien gelungen, sagt Scholz. "Ich bin überzeugt, dass das eine sehr gelungene Lösung ist." Triumph-Gesten gegenüber den Journalisten und Journalistinnen, die über ein Platzen seiner Regierung spekuliert hatten, spart sich der Kanzler diesmal. Auch er kann den Ernst der Lage nicht leugnen. Vielleicht ist er aber am Freitagvormittag auch nur zu platt dafür. Als er am frühen Morgen die Vereinbarungen seiner SPD-Fraktion präsentiert, hält sich der Enthusiasmus dort in Grenzen. Die sozialdemokratischen Abgeordneten hatten sich mit Verve für eine Aussetzung der Schuldenbremse ausgesprochen.
SPD-Fraktionschef keilt gegen FDP
Einige Abgeordnete sind mit Reisegepäck zu den Sondersitzungen von SPD und Grünen im Bundestag erschienen. Für sie geht es an diesem Tag heim. Die zweimonatige parlamentarische Sommerpause beginnt. Es sei wichtig für die Abgeordneten, "Klarheit" bekommen zu haben, bevor sie zurück in die Wahlkreise reisen, lobt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Diese Klarheit sei das Verdienst seiner Fraktion, die beim Kanzler auf Informationen bis zu diesem Freitag gepocht hatte.
Vom Ergebnis aber wirkt Mützenich noch nicht ganz überzeugt. "Es geht darum, wie wir das bewerten, deshalb behalte ich mir dieses Instrument auch weiterhin vor", sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende über die Aussetzung der Schuldenbremse. "Wenn es notwendig ist, werden wir diese Frage auch weiterhin in die Diskussion mit unseren Koalitionspartnern einbringen."
Dicke Kröten für die Kanzlerpartei
Es seien "eine Menge Kunstgriffe" nötig gewesen, um den Haushalt zu einigen, sagt Mützenich. Er attackiert Lindner und die FDP scharf: Der Bundesfinanzminister sei seinen Aufgaben nicht nachgekommen, weshalb sich der Kanzler in die Haushaltsverhandlungen habe einschalten müssen. Mützenich lenkt den Frust seiner Genossen in Richtung des Koalitionspartners, weg von Scholz. Dabei hat der nie zu erkennen gegeben, dass er die Schuldenbremse gerne aussetzen würde.
Für die SPD enthält das Papier ein paar dicke Brocken: Das deutsche Lieferkettengesetz soll möglichst schnell durch die Umsetzung der neuen EU-Richtlinie zum selben Thema ersetzt werden. Im Zuge dessen sollen laut Lindner zwei Drittel der bürokratisch aufwendigen Dokumentationspflichten für Unternehmen wegfallen. Auch die vereinbarten Verschärfungen beim Bezug des Bürgergelds entsprechen nicht den Vorstellungen der Kanzlerpartei. Zudem bekommt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius statt der geforderten 6,7 Milliarden Euro mehr nur 1 Milliarde Euro. Dafür aber konnte sich Lindner bei der kalten Progression durchsetzen: Das Nettoeinkommen soll nicht durch die Inflation aufgefressen werden. Die Steuersätze werden entsprechend angepasst.
Lindner betont vor der Presse zudem, dass die SPD eine Erhöhung des Mindestlohns ebenso wenig bekommen habe wie die FDP eine vollständige Streichung des Solidarbeitrags auch für die obersten zehn Prozent der Einkommen. Gemessen an den zuvor veröffentlichten Positionen steht die SPD als Verlierer dieser Verhandlungen da, die FDP als Gewinner. Lindner kann sagen: Ein Haushalt, der zahlreiche Investitionen vorsieht, ist auch ohne Umgehung der Schuldenbremse möglich.
Sehr viele Unsicherheiten
Der Beweis aber ist noch längst nicht erbracht. Das Paket ist so ambitioniert wie unsicher in der Umsetzung: 0,5 Prozentpunkte zusätzliches Wirtschaftswachstum soll die sogenannte Wachstumsinitiative bringen. Diese besteht aus nicht ausschließlich neuen 49 Maßnahmen. Neu sind Steuererleichterungen und Forschungsförderung für Unternehmen, leichterer Arbeitsmarktzugang für Ausländer, Arbeitsanreize für Rentner und steuerfreie Überstunden. Auch der Umgang mit dem Lieferkettengesetz gehört dazu, weiterer Bürokratieabbau ist anvisiert. Aber: All das muss erstmal durch den Bundestag und durch den Bundesrat kommen. Längere und umfangreichere Abschreibungen gehen schließlich auch zulasten der Steuereinnahmen der Länder.
Die eingepreisten Nettomehreinnahmen über 5 Milliarden Euro sowie die Minderausgaben beim Bürgergeld müssen so erst einmal zustande kommen. Auch die Herausnahme der EEG-Ausgleichszahlungen an Produzenten erneuerbarer Energien in den Haushalt ist eine Variable, weil die Entwicklung der Strompreise volatil ist. Läuft es schlecht, muss die Ampel im Frühjahr einen umfangreichen Nachtragshaushalt verhandeln. Und das im dann schon tobenden Bundestagswahlkampf.
"Wirtschaft, Klima, Kinder"
Anders als in den meisten Phasen der Ampel-Koalition verlief der Konflikt deutlich weniger zwischen FDP und Grünen als zwischen FDP und SPD. Habecks Partei hatte sich in den vergangenen Wochen öffentlich bewusst zurückgehalten. Die Forderungen von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nach mehr Geld waren zwar Teil des Haushaltskonflikts. In der Nacht aber konnte man sich darauf verständigen, dass ihr die geforderten Gelder für humanitäre Hilfen im Rahmen eines Nachtragshaushaltes 2025 gewährt werden, sollte es dann humanitäre Katastrophen geben. Noch so eine variable Größe.
Ebenfalls einstecken musste Bundesfamilienministerin Lisa Paus: Die Kindergrundsicherung kommt erst mal nicht, wie von ihr geplant. Ob die bis zu 5000 neuen Stellen für eine eigene Bearbeitung der Kindergrundsicherung kommen werden, ist völlig offen. Die Grünen aber hatten wegen des Widerstands aus FDP und SPD während der vergangenen Wochen bereits den Vorschlag einer gestreckten Einführung der Kindergrundsicherung unterbreitet. Nun wird zusammen mit dem Kindergeld auch der Kindersofortzuschlag um 5 Euro erhöht, den armutsgefährdete Kinder bekommen können. Zudem rechnen sich die Grünen an, 2 Milliarden Euro für den Ausbau und die Verbesserung der Kindergärten rausgeschlagen zu haben. Die SPD betrachtet das ebenfalls als ihren Erfolg.
Das Trio setzt auf Sieg
"Wirtschaft, Klima, Kinder" laute das Motto dieses Haushalts, sagt Habeck. Der Vizekanzler zeigt sich zufrieden, auch weil der Klima- und Transformationsfonds nur gering gekürzt wird. Die Gelder für den Umbau der Wirtschaft auf erneuerbare Energien bleiben größtenteils erhalten. Mit zusätzlichen Abschreibungen für E-Autos in Dienstwagenflotten und der Vereinbarungen zum Ausbau der Ladeinfrastruktur passiert in seinem Bereich sogar noch ein wenig mehr als erwartet.
So kann der Minister am Abend entspannt das Europameisterschaftsspiel gegen Spanien sehen. Scholz fliegt am Nachmittag eigens nach Stuttgart. Lindner guckt wohl nur, wenn er bis dahin etwas Schlaf bekommen hat. Gegen Ende ihrer Pressekonferenz geben die drei ihre kraftvoll vorgetragene Einigkeit auf. Der Kanzler tippt ein 1:0 für Deutschland, Lindner sagt 2:1 und der an diesem Vormittag so enthusiastische Habeck gar 3:1. Anderseits ist das ja auch eine Form der Einigkeit: Gemeinsam setzt das Ampel-Spitzentrio auf Sieg. Das war vor Kurzem so nicht zu erwarten. Weder von der DFB-Elf, noch von der Bundesregierung.
Quelle: ntv.de