CDU-Haushälter Middelberg "Da kommt eine riesige Lücke auf uns zu"
10.07.2024, 15:27 Uhr Artikel anhören
Die Ampel wird nicht die Kraft haben, ihre Einigung vollständig umzusetzen - davon geht CDU-Haushaltspolitiker Mathias Middelberg aus.
(Foto: picture alliance / Flashpic)
Für die Ampel-Koalition heißt es nach der Haushaltseinigung am Freitag: durchatmen. Doch die Opposition ist von den neuen Plänen nicht beeindruckt - um es vorsichtig zu formulieren. CDU-Haushälter Middelberg sieht vor allem den Grundkonflikt der Koalition nicht gelöst.
ntv.de: Herr Middelberg, die Ampel hat noch einmal die Kurve gekriegt und sich auf einen Haushalt geeinigt. Wie fällt Ihr Urteil aus? Daumen hoch oder Daumen runter?
Mathias Middelberg: Das war eine typische Schein-Einigung. So wie wir es schon häufig von der Ampel erlebt haben. Der Maßstab waren nicht die Bedürfnisse des Landes, sondern die Bedürfnisse der Ampel-Partner. Sie haben sich ja auch nur auf Eckpunkte geeinigt. Sobald die jetzt in konkrete Gesetzentwürfe gegossen werden, wird der Streit in der Ampel-Koalition wieder ausbrechen.
Warum? Als Kanzler Scholz, Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Habeck das Ergebnis präsentierten, wirkten sie doch recht zuversichtlich. Die Botschaft war: Wir haben's geschafft.
Für mich sah das sehr bemüht aus. Die Frage der Einhaltung der Schuldenbremse ist überhaupt nicht vom Tisch. Das hat SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich noch am Tag der Einigung deutlich gemacht. Jetzt stellen schon wieder einzelne Ampel-Politiker Punkte aus der Wachstumsinitiative infrage. Bei den Grünen sagen manche, die Anpassung der Steuern an die Inflation sei nicht leistbar. Dabei geht es laut Lindner um 23 Milliarden Euro über mehrere Jahre.
Die Verschärfungen beim Bürgergeld müssten Ihnen doch gefallen.
Es ist richtig, Sanktionen, Meldepflichten und die Regeln zu Zumutbarkeit und Schonvermögen zu verschärfen. Ich bin aber gespannt, ob die Koalitionsfraktionen das am Ende im Bundestag auch so passieren lassen.
Da haben Sie Zweifel?
Ja. Das Entscheidende ist, Bürgergeldempfänger zu motivieren, eine Arbeit aufzunehmen. Dafür muss das ganze Paket in seiner ganzen Konsequenz kommen. Das traue ich der Ampel aber nicht zu. Beim entscheidenden Punkt - dem Lohnabstand zwischen dem Netto des Geringverdieners und der Höhe des Bürgergeldes - macht die Ampel übrigens gar nichts. So wird es schwer werden, mehr Bürgergeldempfänger in Arbeit zu bringen.
Lindner sagte, man habe sich auf eine neue gemeinsame Grundlage des Regierungshandelns verständigt.
Das sehe ich anders. Man versucht einfach nur, die Gräben zwischen SPD und Grünen auf der einen und FDP auf der anderen Seite mit Geld zuzukippen. Man schöpft die Schuldenbremse restlos aus. In den zwei Jahren mobilisiert man fast 100 Milliarden Euro neue Schulden. Dazu kommen alle möglichen Rechentricks. Der Schuldendienst wird neu berechnet und auf mehrere Jahre gestreckt. So spart man pro Jahr vier Milliarden Euro. Man verschiebt Rücklagen von einem Haushalt in den nächsten. Man lässt die 30-Milliarden-Lücke bei der Bundeswehr völlig offen. Dazu kommt die globale Minderausgabe von 16 Milliarden Euro. Alle diese "Kunstgriffe" - SPD-Fraktionschef Mützenich hat das zu Recht so benannt - werden mobilisiert, um am Ende sagen zu können: Wir haben uns geeinigt.
Was verbirgt sich hinter der "globalen Minderausgabe"?
Das ist ein schöner Name für Geld, das man nicht hat. Wenn Sie im Restaurant für 50 Euro essen, aber nur 34 Euro in der Tasche haben, haben Sie eine globale Minderausgabe von 16 Euro.
Die Zahl 16 passt, weil die globale Minderausgabe im Haushalt 16 Milliarden Euro beträgt. Wie passt das zusammen, zu sagen: Wir haben uns geeinigt, aber uns fehlen noch 16 Milliarden Euro?
Das passt gar nicht zusammen. Christian Lindner weiß nicht, woher er das Geld nehmen soll. Zur Hälfte soll dieses Loch über die Autobahngesellschaft und die Bahn geschlossen werden. Diese sollen sich mit acht Milliarden Euro außerhalb der Schuldenbremse verschulden dürfen. Aber die anderen acht Milliarden? Das ist völlig offen. Er hofft einfach darauf, dass die Ministerien ihre Etats nicht voll verausgaben - ein schlichter Hoffnungswert. Aber, und das ist das Erschreckende, an keiner Stelle im Haushalt wird wirklich gespart. Die Zeitenwende findet nicht statt, nicht bei Verteidigung, aber auch nicht bei anderen Themen. Kein Neusortieren der Prioritäten. Stattdessen wird der ganze längst überholte Kram aus dem Koalitionsvertrag weiterfinanziert.
Muss die globale Minderausgabe beseitigt sein, wenn der Haushalt zum Gesetz wird?
Das nicht. Es hat schon häufig globale Minderausgaben gegeben. Aber dass wir so eine gewaltige Minderausgabe von 16 Milliarden eingeplant hätten, den Fall kenne ich nicht.
Das Kabinett soll den Gesetzentwurf am 17. Juli beschließen, ab Anfang September verhandelt der Bundestag über das Haushaltsgesetz. Geht es da nur noch um Kleinigkeiten?
Im Bundestag wird es noch einmal um das große Ganze gehen. Wenn die sogenannte Wachstumsinitiative gleich wieder beschnitten wird, dann wird das erwartete Wachstum von 0,5 Prozent nicht eintreten. Die Maßnahmen beim Bürgergeld, die steuerliche Mini-Entlastung für die Unternehmen und der Inflationsausgleich für die arbeitende Bevölkerung sind ja richtig. Wird das jetzt aber nicht alles vollständig umgesetzt, dann wird sich beim Wachstum nichts tun und die Steuereinnahmen werden weiter einbrechen. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass die Ampelfraktionen - wie bisher - wieder alles zerreden, ist groß.
Wenn man sagt, unsere Maßnahmen bringen 0,5 Prozent mehr Wirtschaftswachstum - ist das dann mehr als das Prinzip Hoffnung?
Das ist allein das Prinzip Hoffnung. Es könnte auch anders kommen, wenn gewisse, als positiv vorausgesetzte Effekte in der Praxis ausbleiben. Bisher war das Wachstum bei dieser Ampel immer schwächer als vorhergesagt.
Der Verteidigungshaushalt wächst zwar, aber nur um gut eine Milliarde. Das ist so etwas wie ein Inflationsausgleich. Aber ab 2028 soll er sprunghaft anwachsen.
Das ist das nächste Milliardenloch. Da kommt eine riesige Lücke auf uns zu. Im Jahr 2028 werden wir 80 Milliarden Euro in den Verteidigungsetat einstellen müssen, das hat der Kanzler selbst gesagt. Derzeit sind es 53 Milliarden. Wo die fehlenden 27 Milliarden herkommen sollen, steht in den Sternen. Diese Regierung bucht nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.
Herr Scholz hat am Freitag gesagt: Ich bewerbe mich darum, "diesen Handlungsbedarf" zu lösen. Was bedeutet das?
Das bedeutet: Das Problem muss die nächste Regierung lösen. Das ist genau der Punkt. Diese Koalition ist nicht in der Lage, sich auf Einsparungen zu verständigen.
Wo würde die Union sparen?
Wir sehen die größten Einsparmöglichkeiten beim Bürgergeld. Das macht mittlerweile rund 50 Milliarden Euro aus, mehr als jeder zehnte Euro aus dem Bundeshaushalt. Wir müssen mehr Menschen aus dem Bürgergeld in Arbeit bringen. Auch bei den Themen Asyl und Fluchtursachenbekämpfung sehen wir Potenzial. Mit einer stringenten Begrenzung der Asylzuwanderung ließe sich viel Geld sparen. Punkt drei sind die Förderprogramme des Bundes. Davon gibt es mehr als 400. Manche wie "Demokratie leben" sind besonders ineffizient und sollten gestrichen werden. Doch all diese Punkte werden von der Koalition überhaupt nicht angegangen. Die Grünen wollen die Asylzuwanderung nicht begrenzen, die SPD will das Bürgergeld nicht wirklich anfassen.
Sie haben auch vorgeschlagen, den Digitalpakt Schule zu streichen. Werden Sie versuchen, das noch im Bundestag in den Haushalt hineinzuverhandeln?
Nein. Beim Stichwort "Digitalpakt Schule" ging es mir nicht darum, die Investitionen in Bildung zu verringern. Es ging auch nicht um kurzfristiges Sparen. Aber wir müssen uns die Aufgabenaufteilung zwischen Bund und Ländern einmal sehr kritisch ansehen. Die Länder haben mittlerweile höhere Steueranteile als der Bund. Früher war das immer umgekehrt. Gleichzeitig wird immer wieder nach Finanzspritzen des Bundes gerufen auch in Bereichen, in denen der Bund gar keine Zuständigkeit hat. Darüber müssen sich Bund und Länder wieder sehr grundsätzlich verständigen.
Neuwahlen sind jetzt erstmal vom Tisch. Aber trotzdem, mit wem würden Sie lieber über eine Koalition verhandeln, falls die Union nach der nächsten Bundestagswahl stärkste Kraft wird? Mit Grünen oder SPD?
Wir brauchen in diesem Land eine echte Wende, einen wirklichen Umschwung. Das müssen wir den Menschen deutlich machen. Wir brauchen mehr Wachstum und weniger Bürokratie. Den Sozialstaat müssen wir zielgenauer ausrichten. Ich glaube, für ein solches "Deutschland steht wieder auf"-Programm können sie viele Menschen gewinnen. Und die Botschaft muss sein: Dafür braucht es eine starke CDU. Mit wem wir dann zusammenarbeiten, wird sich ergeben.
Mit Mathias Middelberg sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de