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Gute Ideen und ganz viel Pokern Was soll man von diesem Haushalt halten?

Haben viel vereinbart, aber noch viel Arbeit vor sich: Scholz und Habeck nach der Vorstellung der Haushaltseinigung.

Haben viel vereinbart, aber noch viel Arbeit vor sich: Scholz und Habeck nach der Vorstellung der Haushaltseinigung.

(Foto: picture alliance/dpa)

Auf den letzten Drücker kommt die Ampel zu einer Einigung über Haushalt und Konjunkturhilfen. Letztere enthalten richtig gute Ideen, die das Land nach vorne bringen könnten. Doch die Quadratur des Kreises gelingt nur, indem viele Variablen offen gelassen werden. Ein Risiko für Land und Regierung.

Was für ein hausgemachtes Drama! Über den weiteren Weg der Bundesrepublik Deutschland befinden drei müde Männer im Morgengrauen. Jenseits der SPD-Forderung nach Klarheit für die Bundestagsabgeordneten noch vor der parlamentarischen Sommerpause gab es keinen objektiven Zwang zur Haushaltseinigung in dieser Woche. Nur aufgrund dieses SPD-Ultimatums hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner als Vertreter ihrer Parteien unbedingt in der Nacht zum 5. Juli einigen müssen.

Und siehe da: In den frühesten Morgenstunden gelang der Durchbruch. Ein Paket voller guter Ideen hält die Ampel am Leben und birgt viele gute Chancen. Das auch dem Zeitdruck geschuldete Risiko einer Bruchlandung aber bleibt.

Zunächst einmal zum Positiven: Die Wachstumsinitiative besteht aus 49 Vorschlägen, von denen einige auch schon alt und längst auf dem Weg sind. Vieles aber ist neu und stellt einen echten Paradigmenwechsel dar oder zumindest eine aus Einsicht erfolgte Kurskorrektur. Hervorzuheben ist etwa der deutlich vereinfachte Zugang zum Arbeitsmarkt für Fachkräfte und Geflüchtete, die künftig zwei Wochen nach Antrag auf Erlaubnis auch arbeiten dürfen - wenn die Ausländerbehörde bis dahin nicht widerspricht. Arbeitnehmerzuschläge für Überstunden sollen steuerfrei werden. Wer nach Erreichen des Rentenalters weiterarbeitet, soll die Arbeitgeberanteile an die Sozialversicherungen ausgezahlt bekommen. Auch die Möglichkeit zusätzlicher Rentenpunkte ist angedacht. Und damit sich Arbeit lohnt, sollen Langzeitarbeitslose bei einer Arbeitsaufnahme zusätzliche Zuschüsse erhalten.

Ein Konjunktur-Boost von einem halben Prozentpunkt

Die Vorschläge für mehr steuerliche Abschreibungen für Unternehmen auf Investitionen sowie für mehr Forschungszuschüsse ordnen Ökonomen in ersten Einschätzungen als gewichtig ein. Hinzukommen weitere Vereinbarungen zur Forcierung des Bürokratieabbaus und eine Entschlackung des Lieferkettengesetzes. Unternehmer ächzen unter den Dokumentationspflichten. Einen Datenschutzbeauftragten erst ab 50 statt schon bei 20 Mitarbeitenden beschäftigen zu müssen, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls ein Fortschritt für kleinere Unternehmen. Es scheint, die Ampel hat die Klagen der Wirtschaft über unverhältnismäßig viele Fesseln endlich erhört.

All diese und weitere Maßnahmen zusammengenommen, traut sich die Ampel eine Steigerung des Wirtschaftswachstums von 0,4 auf 0,9 Prozent zu. Das ist stark. Und da beginnen die Probleme: Denn natürlich sind die sich aus einem höheren Wirtschaftswachstum ergebenden Mehreinnahmen genauso im Haushalt eingepreist wie eine angenommene Senkung der Anzahl der Bürgergeldbezieher. All die damit verbundenen Gesetze müssen aber erst einmal im Eiltempo die Parlamente passierend, auch den Bundesrat. Dort müssen gerade bei den Unternehmensabschreibungen auch die Länder mitspielen, denen bei ebenfalls knapper Kassenlage hohe Einnahmen entgehen.

Geht die SPD da mit?

Es wird auch spannend, ob die SPD-Fraktion die vereinbarten Bürgergeldverschärfungen mitträgt. Oder ob der Groll über die von Scholz nicht durchgeboxte Aussetzung der Schuldenbremse die Bereitschaft zu Zugeständnissen erschwert. Zumal die eigenen Minister besonders enttäuscht aus den Verhandlungen hervorgehen: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und die für Entwicklungshilfe zuständige Svenja Schulze bekommen für ihre Ressorts weit weniger, als sie gefordert haben. Das Spitzentrio hat zudem offengelassen, wo die 28 Milliarden Euro herkommen sollen, die ab 2028 zusätzlich aus dem Bundeshaushalt an die Bundeswehr fließen. Dann nämlich ist das Sondervermögen aufgebraucht. Die Pflicht zur Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO gilt aber weiter.

Ebenfalls eine Variable: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat Kürzungen nur deshalb zugestimmt, weil sie bei einer humanitären Notlage Gelder aus einem Nachtragshaushalt bekommen soll. Ungewiss ist zudem, wie sich die Überführung der EEG-Ausgleichszahlungen aus dem Klima- und Transformationsfonds in den Haushalt auswirkt: Das Kompensationsversprechen an Produzenten Erneuerbarer Energien ist eine volatile Größe. Sinken die Strommarktpreise deutlich, reichen die eingestellten 17 Milliarden Euro nicht. Der Haushalt aber ist diesmal auf Kante genäht. Größere Reserven sind offenbar nicht vorgesehen.

Hält Haushalt der Wahrheitsprüfung stand?

Last but not least besteht weiterhin eine Lücke über 16 Milliarden Euro. Acht Milliarden bleiben offen in der Hoffnung, dass nicht alle bereitgestellten Gelder in den Ministerien auch abfließen. Weitere acht Milliarden Euro sollen gedeckelt werden, indem Zuschüsse an Bundesgesellschaften wie die Autobahn GmbH künftig in Form von Darlehen fließen. Diese Art Schulden fiele wohl nicht in den Geltungsbereich der Schuldenbremse. Ob das aber so ist, zeigt sich frühestens bei der geplanten Verabschiedung des Haushalts am 17. Juli.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erinnerte nach der Vorstellung des groben Haushaltsentwurfs durch den Kanzler vor der versammelten Fraktion an die Haushaltshoheit des Bundestags. Dieser werde den Vorschlag des Kabinetts auf "Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit" prüfen. Er meinte, schon jetzt viele "Kunstgriffe" entdeckt zu haben. Botschaft: keine Tricks und Mogeleien! Mützenich behält sich eine erneute Diskussion über die Aussetzung der Schuldenbremse explizit vor. Dann wäre alles auf Anfang, gute Ideen hin oder her.

Quelle: ntv.de

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