Als Kanzlerin Merkel im Bundestag ihre letzte Rede gehalten hat, geht der Wahlkampf gleich wieder los. Baerbock, Laschet und Scholz treten nacheinander ans Rednerpult. Vor allem bei zwei von ihnen zeigt sich, was sich künftig ändern wird.
Als Armin Laschet zu seiner ersten Bundestagsrede seit 23 Jahren ansetzt, holt er sehr weit aus. Der CDU-Chef kramt die Luftbrücke der Alliierten hervor, die an diesem Donnerstag vor 73 Jahren ihren Anfang nahm. Was die mit dem Ende der Kanzlerschaft Merkels und seinem Wahlkampf gegen Annalena Baerbock von den Grünen und SPD-Kandidat Olaf Scholz zu tun hat? Laschet kommt relativ schnell zum Punkt: Die Luftbrücke sei der Inbegriff der ausgestreckten Hand der USA, Großbritanniens und Frankreichs an (West-)Deutschland gewesen. "Wenn liberale Demokratien zusammenarbeiten haben andere keine Chance", sagt Laschet. Und damit ist er schon im Europa von heute gelandet, in der EU, die die Staaten gemeinsam stärker mache, als sie es alleine wären.
Denn Europa, das war laut Tagesordnung des Bundestages das offizielle Thema an diesem Morgen. Kanzlerin Angela Merkel gab eine Regierungserklärung zum Europäischen Rat ab. Inhaltlich gab es dabei wenig Neues, und doch war die Rede Top-Thema: Denn es war voraussichtlich Merkels letzte Regierungserklärung überhaupt. Daher bekam sie viele freundliche Worte mit auf den Weg. Dietmar Bartsch von der Linken sagte etwa, sie habe mehr schlaflose Nächte in Brüssel verbracht als mit den Ministerpräsidenten und manch ein Vorwurf ginge nicht auf ihr Konto. "Sie haben oft Schlimmeres verhindert", sagte er. Mehr parteiübergreifenden Respekt kann ein Linker kaum zeigen, der seinen Worten auch reichlich Kritik beimischte.
Christian Lindner wurde feierlich: "Sie haben in den vergangenen 16 Jahren Ihre Kraft und Ihre intellektuellen Gaben stets uneigennützig in den Dienst Europas gestellt und damit haben Sie sich große Verdienste erworben", sagte der FDP-Chef. Er lenkte die Aufmerksamkeit aber gleich auf das zweite inoffizielle Top-Thema des Morgens: Die Reden von Laschet, Baerbock und Scholz, die zum Ende der Sitzungsperiode erstmals alle gemeinsam in der gleichen Bundestagssitzung sprachen. Damit verschob sich die Blickrichtung von der Vergangenheit und Merkel auf die Zukunft und die Frage, wer künftig an der Spitze der Bundesregierung stehen wird - und wie sie es mit Europa halten.
Baerbock tritt energisch auf
Im direkten Vergleich zur wie immer sehr geschäftsmäßigen Amtsinhaberin wirkt selbst der ewig dröge Scholz beinahe erfrischend. Auch er bedankt sich bei der Kanzlerin "für die Zusammenarbeit in der Europapolitik", die dabei aber ausdruckslos auf ihr Handy blickt. Er verteidigt, dass die EU nun Schulden aufnimmt und bezeichnet dies als Teil eines "erfolgreichen Aufbauprogramms" nach der Corona-Krise. Auch betont er, wie sehr er von der europäischen Idee, als Kontinent der Rechtstaatlichkeit und der liberalen Demokratie überzeugt ist. Das klingt leidenschaftlich, ähnelt aber auch dem typischen Merkel-Sound, der sich nach 16 Jahren doch etwas abgenutzt hat.
Baerbock tritt besonders energisch auf, dankt Merkel ebenfalls ("dafür, dass Sie Europa in Krisenzeiten zusammengehalten haben"), hebt sich aber am deutlichsten von dem ab, was sonst so zu hören ist. Zwar wollen fast alle Parteien mittlerweile Klimaschutz, doch keine Partei will so viel so schnell wie die Grünen. So fordert Baerbock, Europas Versprechen zu erneuern und "klimagerechten Wohlstand" zu schaffen. Also Klima retten und gerade dadurch wirtschaftlich profitieren. Hatte Scholz es noch bei Andeutungen belassen, nennt sie in Sachen Menschenrechte Ungarn direkt und sagte: "Egal, wen ich liebe, ich habe meine Menschenrechte", und spielt damit auf das umstrittene Homosexuellen-Gesetz der Regierung Orbán an. "Erneuern wir Europa jetzt, machen wir es besser", ruft Baerbock ins Plenum und wirkt dabei überzeugt von sich und ihrer Botschaft - von Zweifeln angesichts sinkender Umfragewerte ist jedenfalls nichts zu spüren. Eher hat die Rede etwas von "Jetzt erst recht".
Schaut man auf die Umfragewerte, so kann sich Armin Laschet vielleicht nicht gerade zurücklehnen, aber zumindest ermutigt weiterstrampeln. Denn offenkundig gefällt vielen Wählern, wie er auftritt und was er zu sagen hat. Seit Wochen klettern die Werte der Union: Im aktuellen Trendbarometer von RTL und ntv erreichen CDU und CSU mittlerweile 29 Prozent und liegen damit 8 Prozentpunkte vor den Grünen. Dass CSU-Chef Markus Söder womöglich das bessere Wahlkampfzugpferd gewesen wäre, ist Schnee von gestern.
Erste Rede im Bundestag seit 1998
Laschet scheint noch bis zuletzt an seiner Rede zu arbeiten, die er auf dem Schreibtisch vor sich ausbreitet, während Merkel, Scholz und andere sprechen. Als er dann vor das Plenum tritt, ist es sein erster Auftritt seit 1998, als er noch Bundestagsabgeordneter für seine Heimatstadt Aachen war - und für die Sitzungen noch nicht nach Berlin, sondern nur ins benachbarte Bonn fahren musste. Nun ist er als CDU-Chef und NRW-Ministerpräsident wieder da und stimmt nach seinem Einstieg mit der Luftbrücke ein Hohelied auf Europa an. Sagt, dass die 27 Staaten zusammen stärker seien als jeder für sich. Dass wir an einem Epochenwechsel stünden, dass sich das große wirtschaftliche Machtgefüge ändere. Dass man auch den Klimawandel nur gemeinsam als Europäer angehen könne.
Wie Baerbock hebt er sich im Duktus klar von Merkel ab - er argumentiert leidenschaftlich, arbeitet mit der Stimme, geht auf Vorwürfe anderer Redner ein. So verteidigte er, dass die EU nun selbst Schulden aufnehmen kann und sagte an die Adresse Lindners, Europa dürfe nicht einen "Taschenrechner" als Vision haben. Der hatte darauf gepocht, dass die Länder, die nun Geld aus Brüssel bekommen, dies auch wieder zurückzahlen müssten. Dass das auch so ist, sieht der FDP-Chef als Verdienst der "Sparsamen Vier" Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden. Laschet fordert mehr Mehrheitsentscheidungen auf EU-Ebene, auch in der Außenpolitik. Es brauche Koalitionen der Gestaltungswilligen und es sei richtig, nun das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zu verlängern.
Inhaltlich dürfte Merkel vieles von dem teilen, was Laschet sagt. Doch ihm ist Tatendrang anzumerken - ebenso wie Baerbock und mit Abstrichen auch Scholz, bei dem aber der Funke trotz aller Kompetenz einfach nicht so recht zünden will. Aber es geht nicht nur um Personen, sondern um Programme und dabei hat auch dieser Morgen im Bundestag gezeigt, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man das Gefühl hat, es sei egal, wen man wählt. Die Parteien setzen klar unterschiedliche Akzente und ihr Spitzenpersonal kann das auch vermitteln. Wer nun auch immer das Rennen um die Kanzlerschaft gewinnt, den Bundestagsdebatten tut dieser frische Wind jetzt schon gut.
Quelle: ntv.de