Politik

Jusos: "Olaf, mach was draus" SPD-Nachwuchs lässt Scholz erstmal gewähren

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Zum Abschied schenkte Rosenthal Scholz eine Juso-Flagge, die er ja im Kanzleramt aufhängen könne.

(Foto: picture alliance/dpa)

Für Parteivorsitzende und SPD-Regierungschefs war ein Besuch des Juso-Bundeskongresses nur selten angenehm. Ganz anders in diesem Jahr: Der SPD-Nachwuchs empfängt den kommenden Kanzler Scholz herzlich, aber auch mit viel Selbstbewusstsein.

Der Saal ist Pandemie-bedingt an diesem Samstag recht leer und dennoch ist der Applaus laut und langanhaltend: Der auf dem Juso-Bundeskongress in Frankfurt am Main versammelte SPD-Nachwuchs bereitet dem für sein Festhalten an der Großen Koalition lange geschmähten Olaf Scholz einen denkbar warmherzigen Empfang. Eine volle Stunde nimmt sich der designierte Bundeskanzler Zeit, um sich Lob, Kritik und Forderungen der Jungsozialisten anzuhören.

Bei aller Unzufriedenheit über Einzelaspekte des Ampel-Koalitionsvertrags erzählt die neue Harmonie zwischen den sonst so forschen Jusos und dem eher konservativen Scholz viel über die anhaltende Geschlossenheit der SPD. Frühere Bundesvorsitzende und Regierungsmitglieder ließen sich oft gar nicht oder nur widerwillig bei der aufmüpfigen Jugend blicken.

"Wir verstehen das als Wertschätzung unserer Arbeit", dankt die am Freitag im Amt bestätigte Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal Scholz für sein Kommen. Mit 49 Abgeordneten machen die Jusos ein Viertel der neuen SPD-Bundestagsfraktion aus. Die 29-Jährige ist eine von ihnen. Schärfere Kritik überlässt Rosenthal den Delegierten und fragt Scholz stattdessen, ob er das Gefühl habe, die Finanzierung aller Koalitionsvorhaben sei gesichert? Scholz zeigt sich - wenig überraschend - "zuversichtlich". Rosenthals Zurückhaltung mag in der Natur der Sache liegen: Sie und ihr Amtsvorgänger Kevin Kühnert, der Scholz 2019 als Parteivorsitzenden verhindert und Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans durchgesetzt hatte, gehörten zum Verhandlungsteam der SPD in den Koalitionsgesprächen.

Selbstbewusst, nicht zahmer

Andererseits ist der Bundeskongress getragen von dem Selbstbewusstsein der Jusos, dass der SPD-Wahlerfolg zu einem nicht geringen Anteil von den Jungsozialistinnen und Jungsozialisten herbeigeführt wurde. Programmatische Kernanliegen wie eine Überwindung von Hartz IV und eine Ausbildungsplatzgarantie schafften es erst in das SPD-Wahlprogramm und nun auch in den Koalitionsvertrag.

"Unsere Handschrift ist im Koalitionsvertrag drin", sagt Rosenthal nah Scholz' Auftritt zu ntv.de und erklärt: "Wir sind nicht zufällig in dieser Machtposition, sondern weil wir uns das vorgenommen haben." Die Jusos hatten mit Unterstützung des kommenden Parteivorsitzenden, Generalsekretär Lars Klingbeil, zahlreiche Wahlkreiskandidaturen und Listenplätze errungen und waren mit vielen ihrer Kandidatinnen erfolgreich. Auch das Trio Esken, Walter-Borjans und Kühnert, das die Partei in den vergangenen Jahren geprägt hat, war eine von den Jusos mitgetragene Allianz.

Dass die Jusos unter der Ampel zahmer werden könnten, glaubt Rosenthal nicht: "An unserem Grundverständnis hat sich überhaupt nichts verändert", sagt die Bundestagsabgeordnete aus Bonn zu ntv.de. "Wir haben nur mehr Mittel zur Verfügung und die werden wir nutzen." Sie kündigt an: "Wir werden die Regierungsarbeit kritisch-solidarisch begleiten und die offenen Stellen, die es im Koalitionsvertrag gibt, weiter in unsere Richtung bewegen."

Konflikt um höhere Regelsätze

Scholz tut also gut daran, den im Parlament so starken Nachwuchs auch als Bundeskanzler ernst zu nehmen. Er verspricht, er habe nicht vor, "das Gespräch abzubrechen und nie wieder aufzutauchen". Dazu geben ihm die folgenden Redner auch keinen Anlass, weil noch die härteste Kritik mit Lob und Dank für Scholz' Besuch einhergeht.

Simon Witsch vom gastgebenden Juso-Verband Hessen Süd bezeichnet das Ampelpapier als "relativ gute Grundlage" und appelliert an Scholz: "Also mach was draus!" Kritik üben die Jusos vor allem am neuen Bürgergeld, das als Grundsicherungsleistung Hartz IV ablösen soll. Die Redner fordern höhere Regelsätze und nicht die vereinbarte temporäre, sondern dauerhafte Abschaffung von Sanktionen. "Wer nicht bereit ist, die Regelsätze anzuheben, hat nicht das Recht von einer Überwindung von Hartz IV zu reden", sagt ein Delegierter.

Der Juso Marco Albers aus Hannover findet die von der Ampel geplante "Rückführungsoffensive "einfach nur Scheiße". Groß ist auch die Enttäuschung darüber, dass die SPD keine schärferen Instrumente zur Begrenzung der Mietpreise durchgesetzt hat, etwa ein Mietenmoratorium, wie es noch im Wahlprogramm stand. Dass an der FDP ein höherer Spitzensteuersatz und eine Vermögenssteuer gescheitert sind, werfen die Redner weniger Scholz als Christian Lindern vor - dem neuen Lieblingsfeindbild vieler Jusos, nachdem die ungeliebte Union im Bund entmachtet ist.

"Nehmt das mal nicht zu klein"

Scholz ist wichtig, den Jungspunden die historische Bedeutung des Moments zu vermitteln: Die Ampel könne ein "neue gesellschaftliche Mehrheit repräsentieren" und so die Union dauerhaft an die Seitenlinie verbannen. Scholz vergleicht seine Wahl nach 16 Merkel-Jahren mit dem Wahlsieg von Willy Brandt 1972, als die SPD erstmals stärkste Kraft im Bundestag wurde und so den "CDU-Staat" erobert habe - nicht nur die Jugend zeigt sich an diesem Samstag selbstbewusst.

In der Sache ermuntert der geschäftsführende Bundesfinanzminister die Kritiker: "Nehmt das mal nicht zu klein, was da drinsteht." Beim Bürgergeld gehe es um mehr als nur einen Namenswechsel, das Ministerium für Bauen und Wohnen in SPD-Hand könne noch mehr als das schon Vereinbarte erreichen. Auch die Kritik beim Thema Migration lässt Scholz nur bedingt gelten und verweist auf die SPD-Erfolge beim Staatsbürgerrecht und dem geplanten Aufenthaltsrecht für 200.000 bis 300.000 bislang nur geduldete Menschen.

Ein neues Verhältnis

Rosenthal verabschiedet Scholz mit den Worten: "Wir freuen uns, dich im Bundestag zum Kanzler zu wählen." Ein Satz, den sich der damalige Juso-Vorsitzende Kühnert während seiner "No Groko"-Kampagne im Winter 2018 sicher nicht hätte vorstellen können. "Es hat sich etwas im Verhältnis geändert, weil sich der Umgang geändert hat", sagt Rosenthal zu ntv.de. "Wenn wir auf Augenhöhe behandelt und eingebunden werden, sind wir auch bereit, konstruktiv mitzuarbeiten." Sie bezeichnet Scholz' Zusage, auch als Bundeskanzler den Jusos zuzuhören, als "wichtigen Moment" und kündigt an: "Daran werden wir ihn messen."

Inhaltlich wollen die Jusos weiter Druck in fast allen Themenbereichen machen. Der Bundeskongress forderte unter anderem Anstrengungen, für Deutschland schon 2040 statt 2045 Klimaneutralität zu erreichen sowie einen Schuldenschnitt für die Kommunen anzugehen. Weitere Forderungen: Resoluter gegen Chinas Menschenrechtsverletzungen vorgehen, sich mit Taiwan solidarisieren, das Afghanistan-Desaster aufklären und eine Unterkunft für alle obdachlosen Menschen sicherstellen. Zudem wollen die Jusos für 2025 eine umfassende und vor allem umverteilende Steuerreform erarbeiten.

Zum ersten Prüfstein, wie belastbar das neue Verhältnis zwischen Jusos und Bundespartei ist, dürfte das Gesetzgebungsverfahren zum Bürgergeld werden. "Ich bin da optimistisch. Keiner hat Lust darauf, dass sich die Jusos in dieser Frage nicht repräsentiert fühlen", sagt Rosenthal. Sollte sie Recht behalten, dürfte Scholz auch im nächsten Jahr herzlich empfangen werden von den Jusos. Oder aber er ist, wie schon andere SPD-Kanzler vor ihm, terminlich verhindert - "leider".

Quelle: ntv.de

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