Gemeinsame Mehrheit mit AfD Thüringens CDU erliegt der Versuchung


Thüringes CDU-Chef bringt auch Friedrich Merz in Erklärungsnot.
(Foto: dpa)
Die CDU Thüringen macht mal wieder bundesweit Schlagzeilen. Mit Hilfe der AfD bringt sie ein Gesetz zur Grunderwerbssteuer durch den Thüringer Landtag. Ist die Brandmauer nach rechts damit eingerissen? Parteichef Merz verneint dies. Doch damit macht er es sich sehr leicht.
Die Nachricht, dass Thüringen die Grunderwerbssteuer senkt, hätte unter normalen Umständen kaum zu der Breaking News geführt, die ntv.de unmittelbar nach der Entscheidung des Landtags in Erfurt versendete. Doch die Umstände sind alles andere als normal. Denn die Mehrheit für diesen Antrag kam von CDU, FDP und AfD. Sie überstimmten damit die Regierungsfraktionen von Linken, SPD und Grünen, die keine eigene Mehrheit haben.
CDU, FDP und AfD gemeinsam? Was ist denn da los? Hatte die CDU, besonders Parteichef Friedrich Merz, diesen Sommer nicht noch klipp und klar gesagt, seine Partei werde auf Landes- und Bundesebene nicht mit der vermeintlichen Alternative zusammenarbeiten? Die politische Konkurrenz ist in heller Aufregung, von Ministerpräsident Bodo Ramelow bis hin zu Kevin Kühnert. Vom "Pakt mit dem Teufel" ist die Rede und davon, dass Merz keine Autorität in Thüringen habe.
Aber war das überhaupt eine Zusammenarbeit? Für Merz und Mario Voigt, den thüringischen Landesvorsitzenden der CDU, ist klar: Nein, das war es nicht. "Die Brandmauer steht", sagte Merz am Morgen im "ntv Frühstart". Die Argumentation: Die CDU hat einen Gesetzentwurf in den Landtag gebracht, von dem sie selbst überzeugt ist. Wenn die AfD dem zustimmt, ist das keine Zusammenarbeit. Voigt sagte im Landtag, es sei Sachpolitik, es gehe um die Entlastung von Familien, Mittelstand und Handwerk. Und: "Wir sollten nicht so hohe moralische Rösser bereiten." Aber damit machen es sich Merz und Voigt sehr einfach.
Kaum inhaltliche Brisanz, aber ein Tabubruch
Der Düsseldorfer Politikprofessor Stefan Marschall bringt es so auf den Punkt. "Formal war das keine Zusammenarbeit, in dem Sinne, dass man sich gemeinsam hingesetzt und etwas erarbeitet hat. Man hat auch keinem Antrag der AfD zugestimmt", sagt er ntv.de. Insofern sei die CDU noch auf der sicheren Seite der Brandmauer. Aber: "Es bleibt ein Geschmäckle." Denn angesichts der Mehrheitsverhältnisse war klar, dass nur so eine Mehrheit zustande kommen würde. Und es war ebenso klar, dass die CDU niemand gezwungen hat, diesen Antrag zu stellen. Sie wollte das.
Inhaltlich gibt es wenig Brisanz. In Thüringen sollen nun 5 statt 6,5 Prozent der Kaufsumme als Grunderwerbssteuer fällig werden. Ob man das nun richtig findet, das kann man so oder so sehen. Man kann es inhaltlich für falsch halten, wie die SPD-Abgeordnete Janine Merz. Man kann auf die knappen Kassen verweisen, wie Ministerpräsident Ramelow - oder verfassungsrechtliche Bedenken anführen, wie Finanzministerin Heike Taubert. Oder, wie CDU-Chef Voigt, die Vorzüge des Eigentums preisen. So weit, so normal.
Doch gerade wegen der Inhalte sitzt der Frust bei CDU und FDP tief. Sie würden vieles anderes machen als Linke, Grüne und SPD. Die rot-rot-grüne Koalition hat nicht einmal eine eigene Mehrheit. So ist die gemeinsame Mehrheit mit AfD und FDP eine stete Versuchung gewesen. Nun ist die CDU ihr erlegen.
Aber ausgerechnet in Thüringen! Der von Björn Höcke geführte AfD-Landesverband ist der am weitesten rechts stehende und in weiten Teilen gesichert rechtsextrem. Da auch nur den Anschein einer Zusammenarbeit zu erwecken, ist fatal für die Brandmauer-Taktik. Denn auch wenn es formal keine Zusammenarbeit war, so war es doch möglicherweise ein erster Schritt in Richtung einer informellen Zusammenarbeit.
Macht dieses Beispiel Schule, würden CDU, FDP und AfD zu einer Schattenregierung im Thüringer Landtag. Es wäre eine informelle Koalition und damit die Zusammenarbeit auf Landesebene, die angeblich niemand wollte. Irgendwann wäre es dann ganz normal, dass CDU und AfD für das Gleiche stimmen. Dass die CDU überhaupt gar nicht mit der AfD - wie auch immer - zusammenarbeitet, das gilt fortan nur noch mit dem Zusatz: Es sei denn, sie beschaffen uns eine Mehrheit.
Gefahr für Merz
All das erinnert an 2020, als CDU, FDP und AfD gemeinsam den FDP-Landesschef Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählten. Nach dem bundesweiten Aufschrei trat er schließlich wieder zurück - ebenso wie wenig später die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, denn ihre Autorität erschien hernach irreparabel beschädigt.
Insofern ist dieser Vorgang auch eine große Gefahr für den heutigen Parteichef. Bei ntv sagte Merz, der Thüringer Parteichef Voigt habe seine Pläne vorher mit ihm besprochen. So wirkt er zumindest eingeweiht und nicht so machtlos und überrascht wie einst seine Vor-Vorgängerin. Aber den Schaden hat er trotzdem.
Erst im Sommer hatte er mit seinen missverständlichen Äußerungen zur Zusammenarbeit mit der AfD ein fulminantes Eigentor geschossen. Wieder und wieder musste er klarstellen, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD auf Landes- und Bundesebene gebe. Immerhin gibt es ja auch einen Parteitagsbeschluss dazu. Wenn er schon vorher mit Voigt über das Thema gesprochen hat, warum hielt er ihn nicht davon ab? Wollte er nicht oder konnte er nicht?
In einem Jahr wird gewählt
Längst bestimmt die Landtagswahl in einem Jahr Denken und Handeln aller Beteiligten. Umfragen zufolge könnte die AfD stärkste Kraft werden. Da mag sich Voigt etwas davon versprechen, mit der Senkung der Grunderwerbssteuer Wahlkampf zu machen. Außerdem würgt die CDU mit dem Gesetz der von den Linken geführten Regierungen einen rein. Bei seinen Wählern muss Voigt die Brandmauer-Debatte nicht fürchten.
Er will ja gerade AfD-Wähler zurückgewinnen. Für die sind die Übergänge nach rechts ohnehin fließend, mit dem Konzept der Brandmauer dürften sie wenig anfangen können. Wer ohnehin offen zur AfD ist, auf den wird Voigts Manöver gar pragmatisch wirken. Außerdem setzt er ein Zeichen gegen die Behauptung, alle anderen Parteien abseits der AfD seien irgendwie Einheitsbrei, so wie es die Höcke-Truppe gern darstellt.
Die AfD kann sich währenddessen als "lachender Dritter" zurücklehnen. "Die AfD profitiert von solchen Debatten", sagt Professor Marschall. Die anderen Parteien streiten darüber, wie sie es mit den Rechten halten, während die AfD als pragmatische Ermöglicherin einer Steuersenkung für Familien dasteht.
Quelle: ntv.de