
Nur 18 Prozent der Zuschauer halten Baerbock nach dem zweiten Triell für am kompetentesten.
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Ein Wahlkampf mit einer Kanzlerkandidatin - in Deutschland eigentlich nichts Neues. Doch die Umfragewerte nach dem letzten Triell legen nahe: Auch nach 16 Jahren Merkel könnte die gläserne Decke Baerbock noch im Weg stehen.
Sonntag, zwei Wochen vor der Bundestagswahl, das Fernsehen zeigt Triell statt "Tatort". Die Sendung beginnt mit Schwung und Emotionen - Thema ist die Hausdurchsuchung der Staatsanwaltschaft Osnabrück im von Olaf Scholz geführten Bundesfinanzministerium. Dennoch fallen die Umfragewerte am Ende für den SPD-Mann am besten aus: Die befragten Zuschauer halten ihn für den kompetentesten der drei Kanzlerkandidaten. Verliererin ist eindeutig Annalena Baerbock: Für die Kompetenteste halten sie nach der Sendung nur 18 Prozent, wie die repräsentative Umfrage von der ARD zeigt. An diesem Sonntag ist das letzte der drei Trielle, die Geschichte könnte sich wiederholen.
Die Ergebnisse sind nicht unbedingt überraschend. Schon vor dem Triell gingen die Umfrageergebnisse in eine ähnliche Richtung: Die SPD vorn, gefolgt von der CDU und den Grünen. Doch eine zweite Umfrage am Triell-Abend zeigt Annalena Baerbock in einem Punkt vorne: Die Zuschauer fanden die grüne Kanzlerkandidatin zwar am wenigsten kompetent, aber dafür am sympathischsten. 39 Prozent der Befragten sagten dies.
Mit Kompetenz überzeugen
Wie kann es sein, dass Baerbock in einer Umfrage so weit oben und in einer anderen gleichzeitig so weit unten gesehen wird? Lena Hipp, Professorin für Sozialstrukturanalyse, hat eine Vermutung. "Natürlich muss man für ein solches Amt wie für jede Führungsposition kompetent sein", sagt sie, "aber gleichzeitig wird erwartet, dass Frauen sympathisch und nett sind." Letzteres gelang Baerbock am vergangenen Sonntag von allen Kandidaten am besten.
Der erste Punkt, nämlich den Zuschauern als kompetent zu erscheinen, ist ihr dagegen nicht gelungen. Nur, ganz inkompetent kann Baerbock nicht sein - egal was man von ihrer Politik hält, hat sie immerhin die Spitzenkandidatur für ihre Partei übernommen. Vorgefasste Stereotypen könnten eine Erklärung sein. "Männliches Aussehen wird eher mit Kompetenz in Verbindung gebracht als weibliches Aussehen", sagt Hipp, die am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung über soziale Ungleichheit forscht.
Studien haben gezeigt, dass diese Stereotypen andersherum auch funktionieren: Wenn jemand von vornherein als kompetent bezeichnet wird, wird die Person oft "männlicher" wahrgenommen. Fähigkeiten, die für das Amt, für das Baerbock, Laschet und Scholz kandidieren - gut mit Geld umgehen zu können, eine starke Führungspersönlichkeit zu sein -, werden auch meist mit Männlichkeit verbunden. Nicht gerade hilfreich für eine Kanzlerkandidatin.
"Nett sein und Kompetenz schließen sich gegenseitig aus"
Nach dem Triell gab es einen Aufschrei in den sozialen Netzwerken. "Besser als diese Umfrage kann man einen sexistischen Bias kaum zeigen", schrieb eine Twitter-Userin. Gemeint ist die Annahme, dass Frauen in Führungspositionen oft mit anderen Standards gemessen werden als Männer. Demnach muss eine Kandidatin Baerbock nicht nur mehr Überzeugungsarbeit leisten, um Zuschauer und Zuschauerinnen von ihrer Kompetenz zu überzeugen. Sondern Wählerinnen und Wähler erwarten auch, dass sie dabei freundlich bleibt. "Unsere Erwartungen, wie sich Männer und Frauen zu verhalten haben, sind sehr stereotyp", sagt Hipp. Wenn Kandidaten diese Stereotypen nicht erfüllen - etwa wenn Männer zu emotional sind oder Frauen zu aggressiv wirken -, schadet das oft ihren Zustimmungswerten.
Natürlich haben es Frauen auch oft geschafft, mit ihren Fähigkeiten zu überzeugen und in Führungspositionen zu gelangen. Immerhin hatte Deutschland 16 Jahre eine Bundeskanzlerin. Aber es ist nicht einfach. "Nett sein und Kompetenz schließen sich bei Frauen gegenseitig aus", sagt Hipp. "Das ist schwer miteinander zu vereinbaren."
Merkels gläserne Decke
Baerbocks Weiblichkeit dürfte nicht allein dafür verantwortlich sein, dass sie als sympathisch empfunden wurde. Der Moment, in dem sie sagte: "Der Fairness halber muss man sagen, dass man die Uhr von Herrn Scholz stoppen sollte", oder die Tatsache, dass Baerbock sich wenig in den Streit der anderen Kandidaten einmischte - all das trägt dazu bei, Sympathiepunkte zu sammeln.
Interessanterweise sind es gerade diese Momente, die in Erinnerung bleiben. Baerbock war zwar nicht so kämpferisch wie Laschet oder auch Scholz. Sie hat aber durchaus ein paar Mal zurückgeschlagen. Vor allem beim Thema Klimaschutz, aber auch bei der Digitalisierung griff sie Laschet und Scholz an. Das reichte offensichtlich nicht aus.
In Deutschland geht gerade eine Ära zu Ende. Eine, in der eine Frau das Land 16 Jahre lang regiert hat. Hat Angela Merkel nicht bereits die gläserne Decke für Frauen wie Baerbock durchbrochen? Wenn es nach den Umfrageergebnissen nach dem Triell geht, ist noch ein Stückchen Decke übrig.
Eine andere Umfrage vom ZDF deutet jedoch darauf hin, dass sich der Trend umkehrt. Baerbock schnitt nicht nur bei den Sympathiewerten am besten ab. Auch bei den jüngeren Wählern triumphierte sie im Triell deutlich. Bei den Wahlberechtigten bis 34 Jahre sahen 52 Prozent der Zuschauer Baerbock nach dem Triell vorne. Bei den älteren Wählern sahen nur 21 Prozent Baerbock als Gewinnerin. Es könnte sein, dass stereotype Zuschreibungen für die jüngere Generation nicht mehr so wichtig sind.
Quelle: ntv.de