Politik

Wirecard und Cum-Ex Scholz' Ignoranz trifft auf Laschets Halbwissen

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In Umfragen zur Bundestagswahl liegt Scholz vor Laschet.

(Foto: picture alliance/dpa/Revierfoto)

Der Kanzlerkandidat der Union hat seinem SPD-Kontrahenten Unredlichkeit und Schönrednerei bei Finanzskandalen vorgeworfen. Was ist dran an den Anschuldigungen? Einiges. Aber manches läuft ins Leere - oder trifft auch die Union.

Es war Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Grünen, die ihrem SPD-Konkurrenten im Triell eine wichtige Frage stellte: "Wird das Protokoll jetzt noch offengelegt vor der Wahl?" Aber - zum Glück für den Bundesfinanzminister - bestanden die Moderatoren an der Stelle darauf, die Diskussion über die Finanzskandale Wirecard und Cum-Ex zu schließen, ehe Scholz antworten konnte. Aufschlussreich war die Debatte trotzdem. Sie offenbarte, wie Scholz und Armin Laschet, Kanzlerkandidat der Union, Fakten für sich zurechtlegen, dass sie zu ihrer jeweiligen Agenda passen.

Baerbock bezog sich auf ein als geheim eingestuftes Dokument, in dem die Aussagen von Scholz im Finanzausschuss des Bundestages im Sommer 2020 festgehalten sind. Wären sie öffentlich, könnte sich die Bevölkerung leichter ein Bild von der Rolle des Ministers im Cum-Ex-Skandal machen, der in seine Zeit als Hamburger Regierungschef zurückreicht. Und sie könnte besser beurteilen, wie glaubwürdig die Erinnerungslücken sind, die der Minister bei entscheidenden Details zu haben vorgibt.

Dass die Finanzdebakel bisher fast spurlos an Scholz vorbeigingen, hat drei wesentliche Gründe. Erstens: Sie sind hochkomplex und deshalb für Außenstehende schwierig zu bewerten. Zweitens: Es gibt maximal Indizien, die den Sozialdemokraten belasten - und das auch nur aus Sicht von Opposition und Union. Drittens: Scholz hat eine clevere Verteidigungsstrategie, wie im Triell sichtbar wurde. Wobei es ihm Laschet mit seinen teils berechtigten, teils übertriebenen Aussagen recht leicht machte, sich zu verteidigen. Umgekehrt hat auch Scholz überzogen, als er die Interpretationen des CDU-Mannes als böswillige Lügen hinstellte.

Laschets Attacken in Bezug auf Wirecard und Cum-Ex - hier verzichtete das Land Hamburg auf Millionen Steuergelder zu Gunsten der Warburg-Bank - konterte Scholz allein mit Verweisen auf seine "ganz beeindruckende Leistung" bei der Behebung von Unzulänglichkeiten in der Finanzaufsicht Bafin und der Anti-Geldwäsche-Einheit FIU. Obwohl beide an das Finanzministerium angebunden sind, sah Scholz vor Millionenpublikum erneut keinen Anlass, etwaige Verantwortung für Fehler zu übernehmen. Das Prinzip Scholz geht so: Er lobt sich für Verbesserungen - mit Problemen seiner Behörden will er nichts zu tun haben.

"Viel Geld verloren"

Das Sondergutachten von Grünen, Linke und FDP zum Wirecard-Untersuchungsausschuss spricht eine andere Sprache. Es bescheinigt dem Bundesfinanzministerium (BMF) jahrelangen Tiefschlaf samt "Strategien zur Arbeitsvermeidung". Durch das von der Bafin veranlasste Leerverkaufsverbot von Wirecard-Aktien, das Anleger nur als Vertrauensbeweis für den Konzern verstehen konnten, wusste das Ressort von drastischen Vorwürfen gegen das Unternehmen spätestens seit dem 20. Februar 2019 - fast eineinhalb Jahre vor dem offiziellen Eingeständnis, pleite zu sein. "Und dennoch wurde das BMF nicht tätig."

Das Oppositionspapier unterstützt grundsätzlich Laschets These, dass die Scholz unterstellten Behörden mit dafür sorgten, dass im Zuge der Wirecard-Pleite "Millionen Kleinanleger viel, viel Geld verloren (haben)", wie es der CDU-Chef formulierte. Was Laschet allerdings unterschlug: Die Aufsichtsbehörde APAS, die die Bilanzprüfer kontrolliert und bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier - ebenfalls ein Christdemokrat - angebunden ist, trägt genauso Mitverantwortung an dem Debakel wie die Staatsanwaltschaft München im CSU-regierten Bayern.

Altmaier sagte als Zeuge vor dem U-Ausschuss, er habe "keine Erkenntnis, dass die APAS nicht ausreichend oder zu spät tätig geworden wäre". Auch hier widerspricht die Opposition kollektiv. Die Einschätzung sei "angesichts erheblicher Defizite" bei der Rechtsaufsicht, der personellen Ausstattung und Organisation sowie den Kontrollerfolgen der APAS falsch. "Es zeigt sich das Gesamtbild eines Ministers, der der Abschlussprüferaufsicht in seinem Ressort nur wenig Aufmerksamkeit widmet" und kaum Einsicht für Fehler und Konsequenzen daraus gezeigt habe.

Der FIU bescheinigt die Opposition "zweifelhafte Funktionalität". Bekannt ist, dass die beim Zoll angesiedelte Einheit Verdachtsmeldungen gegen Wirecard unbearbeitet liegen ließ. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft München hatte die FIU mehr als 300 von der Commerzbank gelieferte Verdachtsmomente erst Ende Juli 2020 - nach der Pleite - an das Landeskriminalamt Bayern weitergeleitet. Bekannt ist ebenfalls, dass der FIU etwa ein Dutzend Hinweise vor der Wirecard-Insolvenz vorlagen. Sie blieben folgenlos.

"Ganz bewusst verdreht"

Daher kreidete Laschet seinem Kontrahenten "Schönrednerei" an. Den - inhaltlich richtigen - Angaben von Scholz, die FIU personell von einst 160 auf 500 und demnächst 700 Leute aufgestockt zu haben, hielt der CDU-Vorsitzende entgegen, dafür sei die FIU wenig erfolgreich. Das Urteil wird von Experten geteilt. Allerdings stiegen auch die Meldungen an die FIU rasant an: von 50.000 auf 150.000 im Jahr.

Gegen Mitarbeiter der FIU ermittelt die Staatsanwaltschaft Osnabrück wegen Strafvereitelung im Amt. Sie sollen Verdachtsmeldungen einer Bank über Zahlungen nach Afrika von mehr als einer Million Euro nicht an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt haben. Die Anklagebehörde prüft nach eigener Aussage, ob und inwieweit die Leitungsebenen der SPD-geführten Bundesministerien für Finanzen und Justiz in FIU-Entscheidungen eingebunden gewesen seien.

Laschet verquickte die Ermittlungen mit Behauptungen, die sich gegen Scholz und dessen direkt unterstellte Beamte richteten: Es werde "so wenig" aufgeklärt, dass "eine Staatsanwaltschaft in Ihr Ministerium kommt und Untersuchungen durchführt". Der CDU-Chef deutete damit an, dass die Staatsanwaltschaft das Vertrauen in die Kooperationsbereitschaft des Ministers und seiner Leute als gering einschätze, Scholz gar ein - fahrlässiger oder aktiver - Vertuscher sein könnte.

Insofern ist es nachvollziehbar, wenn Scholz zurückgab, Laschet habe "ganz bewusst verdreht", und auf den Unterschied zwischen Untersuchung und Durchsuchung verwies: "Es hat keine Untersuchung" in seinem Ministerium gegeben, sagte der SPD-Politiker klar, um dem TV-Publikum klarzumachen, dass nicht gegen ihn oder Beamte seines Ressorts ermittelt werde.

Scholz erklärte: "Wir haben eine Aufsicht, allerdings nicht über die Einzelentscheidungen." Was damit gemeint sein sollte, blieb offen, die Moderatoren fragten nicht nach. "Alle wissen, dass ja an den verschiedenen Vorwürfen sich niemals herausgestellt hat, dass was dran ist." Mit "alle" kann er nur die SPD, aber nicht die Opposition und die Union gemeint haben. Die Hamburger CDU im dortigen Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex, der noch mindestens bis zum Frühsommer tagt, ist sich sicher: Scholz wisse mehr als er zugebe.

Im Triell fragte ZDF-Talkerin Maybrit Illner über Wirecard, Cum-Ex und die Ermittlungen gegen FIU-Beschuldigte: "Was soll das beim Steuerzahler auslösen, wenn er sieht, wie Sie damit umgehen?" Scholz antwortete: "Ganz einfach. Dass er guckt, was gemacht worden ist."

Quelle: ntv.de

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