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Signale für jeden Will Putin verhandeln?

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"Wir haben Verhandlungen nie abgelehnt": Putin am Donnerstag bei einem Gespräch im Kreml.

"Wir haben Verhandlungen nie abgelehnt": Putin am Donnerstag bei einem Gespräch im Kreml.

(Foto: picture alliance/dpa/Russian President Press Office)

Der russische Machthaber Putin und sein Umfeld signalisieren immer wieder, dass sie zu Verhandlungen bereit seien, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Was sie auch sagen: Die Ukraine solle zerlegt werden.

Seit Beginn des offenen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird immer wieder eine Verhandlungslösung angemahnt oder herbeigehofft. Zuletzt forderte der ehemalige Bundeskanzler und russische Gas-Manager Gerhard Schröder eine deutsch-französische Verhandlungsinitiative.

Verhandlungen, das klingt gut, schließlich enden zwar längst nicht alle, aber doch viele Kriege am Verhandlungstisch - im 20. Jahrhundert waren es dem Historiker Jörn Leonhard zufolge 40 Prozent. Aber die Forderung nach Verhandlungen mit Russland suggeriert häufig auch, dass es im Kreml eine Gesprächsbereitschaft gibt, die der Westen insgesamt und die Ukraine nicht nutzten. Ist das so? Will Putin verhandeln?

Abschließend ist diese Frage nicht zu beantworten - möglicherweise weiß Putin nicht einmal selbst, was er wirklich "will". Aber man kann seine Äußerungen daraufhin abklopfen, ob er Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Das tut er: Putin erklärt immer wieder, dass er zu Verhandlungen bereit sei. "Wir haben Verhandlungen nie abgelehnt", sagte er beispielsweise in einem TV-Interview, das in Russland wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl ausgestrahlt wurde.

Bei den Signalen ist für jeden was dabei

Das Interview enthält allerdings auch ganz andere Signale, es ist ein beständiges "Ja, aber". Putin sagt: "Sind wir bereit zu verhandeln? Auf jeden Fall. Aber wir sind auf keinen Fall bereit für Gespräche, die auf irgendeiner Art von 'Wunschdenken' beruhen, die davon kommen, dass man psychoaktive Drogen nimmt, sondern wir sind bereit zu Gesprächen, die auf den Realitäten beruhen, die sich auf dem Boden entwickelt haben." Für das russische Publikum ist der Verweis auf Drogen klar: Putin und die russische Propaganda unterstellen der ukrainischen Regierung und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj andauernd, drogensüchtig zu sein.

Putins Erwähnung der "Realitäten auf dem Boden" verweisen darauf, dass Russland keinesfalls bereit wäre, eroberte Territorien zurückzugeben. Schließlich hat der Kreml qua Verfassungsänderung die vier ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja bereits zu russischem Staatsterritorium erklärt, auch ohne diese vollständig zu kontrollieren. Nach Verhandlungsbereitschaft klingt das nicht. "Friedensverhandlungen bedeuten, dass die Parteien sich an einen Tisch setzen und Kompromisse suchen, wie sie dauerhaft in Frieden leben können", sagt die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff ntv.de. "Wenn die eine Seite der anderen diktiert, wie das zu geschehen hat, dann sind das nicht Friedensverhandlungen, dann ist das eine Kapitulation."

In dem Interview sagte Putin auch, dass es "lächerlich" wäre, wenn Russland verhandeln würde, "nur weil ihnen [den Ukrainern] die Munition ausgeht". Auf den Satz folgte dann gleich wieder der Hinweis, dass Russland natürlich offen sei für eine "ernsthafte Diskussion" und "alle Konflikte" friedlich lösen wolle - nur um sogleich wieder einzuschränken, dass eine "Pause" nicht dazu dienen dürfe, dass sich "der Feind" mit neuen Waffen ausrüste. Die gegensätzlichen Signale wechseln einander ab, für jeden ist etwas dabei. So treibt Putin den Keil tiefer zwischen jenen im Westen, die Verhandlungen für geboten halten, und denen, die das abwegig finden.

Unklar ist, was Putin unter "Sicherheitsinteressen" versteht

Doch worum könnte es in Waffenstillstands- oder gar Friedensverhandlungen gehen, wenn Putin zu Gesprächen bereit sein sollte? Wie in praktisch allen Äußerungen über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sprach der Kremlchef auch in seinem Vorwahlinterview darüber, dass der Westen die Sicherheitsinteressen Russlands seit Jahren ignoriere. Das schließt die NATO-Osterweiterung ein, die Putin schon vor dem Krieg zurückdrehen wollte.

Allerdings war der von Russland geforderte "Rückzug der militärisch-technischen Infrastruktur der NATO auf den Stand von 1997" für die betroffenen Staaten immer schon indiskutabel. Durch den Überfall auf die Ukraine ist ein Abzug von NATO-Truppen aus Polen, dem Baltikum, Rumänien, Ungarn, Tschechien und der Slowakei erst recht ausgeschlossen - das käme einer Preisgabe dieser Staaten gleich.

Trotzdem forderte Putin erneut "Sicherheitsgarantien für die Russische Föderation". Statt auszuführen, wie diese aussehen könnten, sagte Putin, er traue niemandem. "Ich weiß auch nicht, ob dahinter eine substanzielle Idee steckt oder ob das eine Art Verlegenheitsargument ist", sagt Deitelhoff über die Forderung nach Sicherheitsgarantien. Es könnte sein, dass Putin damit Pufferzonen zwischen Russland und der NATO meine, oder die Zusicherung, dass die Ukraine niemals der NATO beitreten werde oder die Wiederaufnahme von vertrauensbildenden Maßnahmen. "Putins Vorstellungen, dass sich die NATO-Osterweiterungen faktisch zurückdrehen lassen, oder die komplette Demilitarisierung der Ukraine - das könnten der Westen und die Ukraine nicht ernsthaft zusichern", so die Wissenschaftlerin. "Denn alles deutet darauf hin, dass Russland die Ukraine dann einfach überrennen würde."

"Propaganda-Geheimdienstsprech"

So sieht das auch der Sicherheitsexperte Nico Lange. "Es wird immer so getan, als müsste die Ukraine nur sagen: 'So, wir frieren jetzt ein.' Und dann gibt es einen Waffenstillstand und dann kann man miteinander sprechen", sagte Lange ntv. "Der Punkt ist doch aber: Wenn die Ukrainer nicht kämpfen würden, würde Putin einfach weitermarschieren."

Nach Veröffentlichung der Wahlergebnisse sagte Putin am Sonntagabend in einer Pressekonferenz, er schließe nicht aus, "in den heutigen Gebieten, die vom Kiewer Regime kontrolliert werden, eine Pufferzone einzurichten". Diese müsse so groß sein, dass es "schwierig wäre, sie mit den ausländischen Waffen, die dem Feind zur Verfügung stehen", zu überwinden. Gemeint ist nicht die von Deitelhoff angesprochene Pufferzone zur NATO, sondern zwischen den nicht besetzten Gebieten der Ukraine und Russland.

Der von Moskau installierte Chef der "Volksrepublik Donezk", Denis Puschilin, sagte nach russischen Medienberichten, die Grenzen dieser Pufferzone würden davon abhängen, welche Waffen die westlichen Länder an die Ukraine liefern. Für Nico Lange ist das Gerede über eine solche "Pufferzone" eine "russische Rechtfertigung in diesem typischen Propaganda-Geheimdienstsprech dafür, wieder in das Gebiet Charkiw in der Ukraine einzumarschieren und dort die Ukrainer zu vertreiben". Das sei "eine ganz gefährliche, aggressive Rhetorik".

Sprechen will Russland nur mit den "Herren" der Ukraine

Geografisch bleibt Putins Kriegsziel in der Ukraine dennoch unklar: Will er die Ukraine komplett einnehmen oder in einer Art Rumpf-Ukraine ein Satellitenregime installieren? Klar ist, dass die "Entnazifizierung der Ukraine", von der Putin bereits in seiner Kriegserklärung am 24. Februar gesprochen hatte, eine Chiffre für die Absetzung der demokratisch gewählten Regierung in Kiew ist.

Damit ist ohnehin unwahrscheinlich, dass Putin zu echten Verhandlungen mit der Ukraine bereit wäre; die von ihm geforderten "Sicherheitsgarantien", wie immer die aussehen würden, könnten ohnehin nur die USA und die NATO geben. Der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew sagte vor einem Jahr ganz ausdrücklich, Russland könne nicht "mit einem halbverfallenen Neonazi-Land" sprechen, das "unter fremder Herrschaft" stehe. Gespräche seien nur "mit seinen Herren möglich, nämlich mit Washington". Die Gleichsetzung der demokratisch gewählten ukrainischen Regierung mit "Faschisten" oder "Nazis" gehört seit zehn Jahren zum Standardrepertoire der russischen Staatspropaganda.

Am Ende soll die Ukraine zerlegt werden

Im TV-Interview überließ Putin es seinem Gesprächspartner, dem von ihm eingesetzten Fernsehpropagandisten Dmitri Kisseljow, zugleich Generaldirektor der staatlichen Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja, den alten Nazi-Vorwurf zu erheben. Kisseljow führte aus, "Nazi-Regime" würden sich nicht von selbst auflösen, sondern "infolge von militärischen Niederlagen verschwinden". Das sei in Deutschland, Italien und Japan so gewesen und werde auch mit dem "Bandera-Nazi-Regime" passieren.

Dass Putin die Ukraine als Territorium ansieht, das von den Nachbarländern zerlegt werden sollte, wird an anderer Stelle des Interviews deutlich. Falls polnische Truppen zur angeblichen Sicherung der belarussisch-ukrainischen Grenze in die Ukraine gehen sollten, um ukrainische Truppen zu entlasten, "dann werden die polnischen Truppen dort bleiben", erklärt Putin. Denn die Polen wollten den Teil der Westukraine zurückhaben, den Stalin ihnen genommen habe. Das ehemals deutsche Wroclaw (Breslau) etwa wurde von vielen aus Lwiw vertrieben Polen besiedelt, eine Rückkehr ist in Polen aber ebensowenig ein Thema wie die Verschiebung der deutschen Ostgrenze in Deutschland.

Offen ist nur, ob Putin und sein Umfeld glauben, was sie verbreiten. Erst Anfang März verkündete Medwedew, Vizechef des russischen Sicherheitsrates, die Ukraine sei "definitiv Russland". Er zeigte dazu eine Karte, in der die Ukraine zum größten Teil von Russland geschluckt wurde, zu kleineren Teilen auch von Polen, Ungarn und Rumänien. Von der eigentlichen Ukraine ist in dieser russischen Dystopie nur ein Fleckchen rund um Kiew auf der Westseite des Dnjepr übrig.

Das ist übrigens der Grund, warum auch die Ukraine Verhandlungen derzeit ablehnt. Putins Äußerungen und die systematischen Kriegsverbrechen der Russen in der Ukraine sind Beleg dafür, dass es in diesem Krieg für die Ukraine um ihre Existenz als Staat und als Gesellschaft geht.

Quelle: ntv.de

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