Politik

Krieg in der Ukraine "Einfrieren? Momentan ist das keine Option"

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Putin in einem Fernsehinterview, das am 13. März in Russland ausgestrahlt wurde.

Putin in einem Fernsehinterview, das am 13. März in Russland ausgestrahlt wurde.

(Foto: AP)

Die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff sagt, das Einfrieren des Kriegs in der Ukraine sei keine Option. Sie widerspricht damit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich. Aber sie gibt Mützenich in einem anderen Punkt auch recht: "Natürlich können wir nicht immer nur auf die Dimension der militärischen Unterstützung schauen, sondern wir müssen den Blick offenhalten und immer prüfen, ob sich Gelegenheiten ergeben."

ntv.de: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat am 14. März im Bundestag gefragt, ob es nicht an der Zeit sei, "dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann". Was bedeutet es, einen Krieg "einzufrieren"?

Prof. Dr. Nicole Deitelhoff ist Chefin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt/Main.

Prof. Dr. Nicole Deitelhoff ist Chefin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt/Main.

(Foto: Uwe Dettmar)

Nicole Deitelhoff: Mit "eingefrorenen Kriegen" sind Kriege gemeint, in denen beide Parteien die Waffen ruhen lassen, obwohl der Konflikt nicht abgeschlossen ist. Meist ist die Waffenruhe nicht vollständig, sondern es gibt weiterhin Gewalt, aber die systematische Gewaltanwendung pausiert. Gleichzeitig gibt es kein Friedensabkommen, keinen dauerhaften Waffenstillstand, normalerweise auch keinen politischen Prozess, mit dem man zu einem Frieden gelangen kann. Letztlich wird der komplette Konflikt nur stillgelegt.

Gibt es Beispiele für eingefrorene Kriege? Mützenich selbst nannte in der "Rheinischen Post" Zypern, Südossetien, Transnistrien und Korea als Beispiele.

Das Konzept des Einfrierens von Konflikten wurde in den 1990er Jahren populär, nach dem Zerfall der Sowjetunion. Man hat es zuerst auf die Konflikte bezogen, die damals in Russlands Nachbarschaft im Kaukasus entstanden. Dazu gehören die beiden Konflikte um die georgischen Territorien, Südossetien und Abchasien, auch Bergkarabach, das zwischen Armenien und Aserbaidschan umstritten ist, aber auch die von Moldau abtrünnige Region Transnistrien. Obwohl die Konflikte in Zypern und Korea älter sind, wird der Begriff "Frozen Conflict" erst in den 1990er Jahren populär.

Ist ein "Einfrieren" des Kriegs in der Ukraine eine realistische Option?

Nein, momentan überhaupt nicht. Das Konzept des Einfrierens basiert darauf, dass beide Konfliktparteien bereit sind, die Kampfhandlungen einzustellen - oder keine Alternative dazu haben. Das ist in der Ukraine nicht der Fall. Wir haben das in den letzten Wochen und Tagen von Putin gehört: Er hat sehr deutlich gemacht, dass er kein Interesse daran hat, diesen Konflikt einzustellen.

Sie meinen seine Äußerung in einem Fernsehinterview, das am 13. März in Russland ausgestrahlt wurde.

Er sagt darin, es wäre "lächerlich", wenn Russland verhandeln würde, "nur weil ihnen die Munition ausgeht". Das zeigt, wie die Motivationslage auf der russischen Seite ist. Gleichzeitig sehe ich nicht, dass irgendwer in der Lage wäre, Druck auf Russland auszuüben, sodass es bereit wäre, einem Einfrieren zuzustimmen - vielleicht nicht einmal China, das aber ohnehin keinerlei Neigung zeigt, Russland unter Druck zu setzen. Das ist das Problem: Wir können ein Einfrieren nicht herbeizaubern, sondern das müsste von beiden Konfliktparteien gewollt werden.

Putin sagte in dem Interview auch, Russland sei zu Verhandlungen bereit.

Putin, sein Sprecher Peskow oder Außenminister Lawrow sagen andauernd, dass Russland selbstverständlich zu Verhandlungen bereit sei. Aber sie machen auch immer deutlich, dass die Ukraine vorher die russischen Bedingungen akzeptieren muss. Dazu zählt eine Anerkennung der Annexionen, die Russland widerrechtlich vorgenommen hat, außerdem weiterhin die "Entnazifizierung" der Ukraine, also ein Eliten-Austausch, und die Entmilitarisierung und damit faktisch die Aufgabe der ukrainischen Eigenständigkeit. Mit solchen Vorbedingungen kann von offenen Verhandlungen keine Rede sein. Friedensverhandlungen bedeuten, dass die Parteien sich an einen Tisch setzen und Kompromisse suchen, wie sie dauerhaft in Frieden leben können. Wenn die eine Seite der anderen diktiert, wie das zu geschehen hat, dann sind das nicht Friedensverhandlungen, dann ist das eine Kapitulation.

Mützenich sagte am Dienstag, er wolle "jeden ermutigen, wenn es die Gelegenheit dazu gibt - die sehe ich wegen Präsident Putin zurzeit noch nicht -, ein Fenster der Gelegenheit zu nutzen, die dann auch hilft, lokale Waffenruhen, humanitäre Feuerpausen möglicherweise auch in die Abwesenheit von militärischer Gewalt zu überführen". Was könnte ein solches Fenster der Gelegenheit sein?

Da hat er vollkommen recht: Solange Putin da ist oder solange wir eine Situation haben, in der Russland militärisch im Vorteil ist und - wenn auch unter massiven Verlusten - nach und nach vorrückt, wird es kein Gelegenheitsfenster geben. Aber dieser generelle Punkt, den Mützenich gemacht hat, der ist richtig: Natürlich können wir nicht immer nur auf die Dimension der militärischen Unterstützung schauen, sondern wir müssen den Blick offenhalten und immer prüfen, ob sich Gelegenheiten ergeben. Das können innenpolitische Verwerfungen in Russland sein, durch die sich etwas öffnet, sodass man mit einer diplomatischen Initiative vorstoßen könnte. Aber das passiert auch die ganze Zeit. Es gab die Gespräche im saudi-arabischen Dschidda, dann in Davos, die Schweiz bereitet mit der Ukraine weitere Friedensgespräche für den Sommer vor. Das läuft noch nicht mit russischer Beteiligung, aber es ist der Versuch, die internationale Staatengemeinschaft jenseits des Westens hinter einer Friedensinitiative zu versammeln, um vorbereitet zu sein für den Fall, dass sich ein Gelegenheitsfenster auftut.

Putin hat erneut "Sicherheitsgarantien für die Russische Föderation" gefordert, er hat aber nicht verraten, welche das sein könnten. An was könnte er da denken? Oder ist das nur ein Bluff?

Ich weiß auch nicht, ob dahinter eine substanzielle Idee steckt oder ob das eine Art Verlegenheitsargument ist. Mit Sicherheitsgarantien für die Russische Föderation könnten Pufferzonen zwischen Russland und der NATO gemeint sein, die Zusicherung, dass die Ukraine niemals der NATO beitreten wird oder die Wiederaufnahme von vertrauensbildenden Maßnahmen. Putins Vorstellungen, dass sich die NATO-Osterweiterungen faktisch zurückdrehen lassen, oder die komplette Demilitarisierung der Ukraine - das könnten der Westen und die Ukraine nicht ernsthaft zusichern. Denn alles deutet darauf hin, dass Russland die Ukraine dann einfach überrennen würde.

Putin droht immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen. Wie ernst muss die NATO das nehmen?

Russland ist die größte Atommacht der Welt, wenn es um die Zahl der gefechtsbereiten Sprengköpfe geht, das muss man immer ernst nehmen. Das nimmt die NATO auch ernst. Sie prüft beispielsweise ständig, ob sich etwas an der Position der Raketenrampen ändert, ob generell etwas Unerwartetes bei den russischen Atomstreitkräften oder den russischen Atom-U-Booten passiert. Bis jetzt ist da aber nichts zu sehen. Stattdessen hat sich eine gewisse Routine dieser nuklearen Drohungen eingestellt, mit denen Putin immer wieder versucht, Angst zu erzeugen. Bislang sieht es nicht so aus, als würden dem Taten folgen. Das heißt nicht, dass man das ignorieren kann. Wir wissen, dass es auch innerhalb der russischen Streitkräfte Gespräche über den Einsatz nuklearer Waffen gegeben hat, aber das betrifft zumeist das Ausleuchten von Szenarien, das machen alle Streitkräfte. Denken Sie etwa an das abgehörte Gespräch zur Lieferung von Taurus. Aber es ist auch nicht so, dass die Gefahr zuletzt immens gestiegen wäre.

Mit Nicole Deitelhoff sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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