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Putins Krieg reicht bis Finnland Deutschland spielt um seine Eishockey-Zukunft

Wohin geht die Reise für das deutsche Eishockey?

Wohin geht die Reise für das deutsche Eishockey?

(Foto: imago images/Sven Simon)

Bei den Olympischen Winterspielen in Peking nimmt Deutschlands Eishockey-Nationalmannschaft die Goldmedaille in den Blick. Doch statt der großen Show gibt es die derbe Blamage – bei der WM soll alles besser werden. Die Vorzeichen sind nicht optimal, aber es gibt Hoffnung(en).

Der Schatten von Wladimir Putins Krieg reicht bis nach Finnland. Nicht nur, weil das Land nun schnell in die NATO aufgenommen werden möchte, um den Provokationen des Kremlchefs die Kraft des Bündnisses entgegen stellen zu können. Putins Krieg in der Ukraine nimmt auch Einfluss auf die Eishockey-Weltmeisterschaft, die ab Freitag in den Städten Helsinki und Tampere ausgetragen wird. Die "Sbornaja", die immer mächtige Nationalmannschaft Russlands, darf als Folge des Kriegs nicht an den Start gehen. Sie unterliegt dem internationalen Bann. Ebenso wie das Team aus Belarus. Weil Diktator Alexander Lukaschenko als Verbündeter von Putin gilt.

Für die deutsche Auswahl ist der Bann der Russen sportlich betrachtet eine gute Nachricht. Denn so findet sich in der Achter-Gruppe mit Kanada (gemeinsam mit Russland Rekordweltmeister) nur noch eine Top-Nation. Länder wie die Slowakei und die Schweiz gelten trotz des olympischen Debakels als Gegner auf Augenhöhe für Deutschland. Aber wo genau misst man die im Mai 2022? Eher nah dran an der absoluten Weltelite? Oder doch ein tüchtiges Stückchen weit weg? Die Antwort steht aus – und sie wird nach diesem Turnier formuliert werden.

Deutschland wankt mit der drückenden Last der Blamage von Peking und einer sehr komplizierten WM-Vorbereitung mit schwachen Ergebnissen, mäßigen Leistungen und personellen Problemen nach Helsinki. In der "Ice Hall" soll aber all der schwere Ballast der vergangenen Monate weggecheckt werden. Eigentlich sollte Deutschland seine Rückkehr in die Weltelite in der Hartwall Arena aufs Eis bringen, weil zwei russische Oligarchen aber Anteile an der Halle haben, wurde der Austragungsort gecancelt. Noch ein Schatten Putins auf diesem Turnier.

Team soll "eigene" Story schreiben

Zum Sportlichen: Das deutsche Eishockey hat in den vergangenen Monaten eine schmerzhafte Lektion gelernt. Im Rausch der sportlichen Glückseligkeit nach bemerkenswerten Auftritten bei den vergangenen Weltmeisterschaften und dem Deutschland-Cup im November 2021 waren Realität und Euphorie in eine fatale Schieflage geraten. In Peking sollte es um Gold gehen. Nach dem Coup von Pyeongchang vor vier Jahren eigentlich keine ganz absurde Ansage - doch die Selbstüberzeugung lähmte das Spiel des Teams. Noch vor dem Viertelfinale war Schluss. Es war der erste herbe Rückschlag unter der Regie von Bundestrainer Toni Söderholm. Seit Ende 2018 hatte der Finne den Weg von Marco Sturm überragend fortgesetzt und das Selbstbewusstsein seiner Cracks gestärkt.

Der deutsche WM-Kader

Torhüter: Dustin Strahlmeier (Grizzlys Wolfsburg), Philipp Grubauer (Seattle Kraken/NHL), Mathias Niederberger (Eisbären Berlin); Verteidiger: Dominik Bittner (Grizzlys Wolfsburg), Korbinian Holzer (Adler Mannheim), Kai Wissmann (Eisbären Berlin), Fabio Wagner (ERC Ingolstadt), Jonas Müller (Eisbären Berlin), Moritz Seider (Detroit Red Wings/NHL), Mario Zimmermann (Straubing Tigers), Moritz Müller (Kölner Haie); Stürmer: Maximilian Kastner (Red Bull München), Taro Jentzsch (Iserlohn Roosters), Stefan Loibl (Skelleftea AIK/Schweden), Tim Stützle (Ottawa Senators/NHL), Matthias Plachta (Adler Mannheim), Daniel Schmölz (Nürnberg Ice Tigers), Samuel Soramies (ERC Ingolstadt), Alexander Ehl (Düsseldorfer EG), Yasin Ehliz (Red Bull München), Marc Michaelis (Toronto Marlies/AHL), Daniel Fischbuch (Düsseldorfer EG), Leo Pföderl (Eisbären Berlin), Marcel Noebels (Eisbären Berlin), Alexander Karachun (Schwenninger Wild Wings);

Wohin die Reise nun gehen soll? Söderholm verweigert eine konkrete Zielvorgabe. Der Finne möchte dem Team die Chance geben, eine "eigene Story" aufzubauen. Die darf selbstverständlich mit dem Titel enden, sie (die Story) sollte aber nicht vom goldenen Ende gedacht werden. Was allerdings unter anderem Star-Goalie Philipp Grubauer bereits wieder tut. Formuliert aber eher als Antrieb, denn als Ziel. Nicht wie in Peking, als Deutschland das markige Wort von Kanada, den USA und der Slowakei gnadenlos um die Ohren gepfeffert worden war. "Ich denke, wir haben aus den Olympischen Spielen vielleicht ein bisschen gelernt, was dieses offensive Aussprechen der Erwartungen betrifft", sagt Kapitän Moritz Müller. Die Gefahr von eisigen Traumschlössern ist in Finnland auch nicht sonderlich groß. Anders als nach Peking reist das Team nicht mit einem entrückten Höhegefühl an.

Die Blamage von Peking ist übrigens aufgearbeitet und abgehakt. Platz zehn von zwölf Nationen war auch für den extrem ehrgeizigen Finnen hinter der Bande persönlich eine Niederlage. Über die Fehler in China mag Söderholm nun nicht mehr sprechen. Ihn beschäftigen andere Dinge, wie er im Interview mit der Deutschen Pressagentur bekannte: "Die wichtige Frage für mich ist, dass wir die Wie-Frage beantworten können. Wie gewinnen wir Spiele? Dass wir uns identitätsmäßig wieder im Spiegel anschauen können. Wir hatten eine hohe Erwartungshaltung, aber irgendwie ist das Wie-wir-gewinnen ein bisschen verloren gegangen." Der Einfluss der Spiele auf das Turnier nun? "Null. Was hat Olympia mit diesem Turnier zu tun?"

Einige großen Namen fehlen

Für Euphorie finden sich derzeit keine tragenden Argumente. Ebenso nicht für Abgesänge auf das deutsche Eishockey-Hoch der vergangenen Jahre. Und so wird diese WM zum Richter über den aktuellen Status. Der changierte binnen eines Jahres zwischen Weltspitze und eben Depp. Der Weg zum erfolgreichen Comeback im Kreis der besten Nationen ist jedenfalls geebnet. Und direkt zum Start in das Turnier darf sich die Mannschaft vergewissern, wo sie steht, wie viel Arbeit noch vor ihr liegt. Top-Favorit Kanada ist der Auftaktgegner von Deutschland (Freitag, ab 19.20 Uhr live bei Sport1 und im Ticker bei ntv.de) und kommt mit massiver NHL-Power. Zwar spielen nicht die Allerbesten der Besten, die duellieren sich weiterhin in den nordamerikanischen Playoffs, aber der Kader scheint mit etablierten Haudegen sowie aufstrebenden Top-Talenten um Nick Holden, Ryan Graves, Dawson Mercer oder aber Pierre-Luc Dubois clever konzipiert.

Die Zusammenstellung des Aufgebots ist auch großes Thema in Deutschland. Für den Bundestrainer wurde sie zum gigantischen Puzzle - mit zahlreichen Rückschlägen und Enttäuschungen. So muss er unter anderem auf die ehemaligen NHL-Spieler Tom Kühnhackl (er gewann zweimal den Stanley Cup) und Tobias Rieder verzichten. Die Gründe sind nicht bekannt. Auch Dominik Kahun ist nicht dabei, auch er hat bereits Erfahrungen in der NHL. Der 26-Jährige ist verletzt. Die Liste der prominenten Ausfälle lässt sich fortschreiben, so fehlen unter anderem auch Frederik Tiffels und Patrick Hager (beide Red Bull München).

Söderholm, der für seinen Pragmatismus bekannt ist, sieht die Sache eben so: "Es gibt mehrere Gründe. Wenn ein Spieler verletzt ist, dann ist er verletzt. Wenn ein Spieler keine Energie hat, dann hat er keine Energie. Wenn ein Spieler sich so fühlt, dass er der Mannschaft nicht helfen kann, dann hilft er der Mannschaft auch nicht und dann nehmen wir den nächsten. Da gibt es für mich nichts zu diskutieren." Und nun ist es ja auch so, dass die deutsche Auswahl immer noch gut besetzt ist, auch wenn sich die zarten Hoffnungen auf einen WM-Start von Superstar Leon Draisaitl, der mit seinen Edmonton Oilers in der NHL vor dem Aus steht, eher zerschlagen haben. Vom Deutschen Eishockey-Bund hießt es am Donnerstag, dass ein Einsatz "kein Thema" sei. Ob das für das ganze Turnier gilt, wurde aus dem Statement indes nicht offensichtlich.

Hoffnung auf Verstärkung aus Nordamerika

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Die Möglichkeit bleibt indes gegeben. Der Bundestrainer hält Kaderplätze offen, um eventuell noch Kräfte aus Nordamerika nachzunomieren. Etwa John-Jason Peterka, Leon Gawanke oder Lukas Reichel. Die Chancen auf Nico Sturm stehen dagegen eher schlecht, seine Colorado Avalanche sind in den Playoffs stark unterwegs. An Starpotenzial mangelt es dem DEB-Team dennoch nicht. Mit Grubauer hat Deutschland einen der stärksten Goalies der Welt (und mit Mathias Niederberger sowie Dustin Strahlmeier zwei herausragende Vertreter), auch wenn seine Saison bei den Seattle Kraken (einem neuen NHL-Team) nicht so überragend war. Anders dagegen als die Spielzeit von Moritz Seider. Der 21-Jährige gilt schon jetzt als einer der Top-Verteidiger in der Liga, bereitete unglaubliche 43 Tore für seine Detroit Red Wings vor! Seider steht übrigens seit Mittwoch auf der Shortlist für die Calder Trophy, ist also einer von nur noch drei Kandidaten für den Rookie des Jahres in der NHL. Die anderen beiden Kandidaten sind Stürmer. Und dann ist da noch Tim Stützle, dem eine Mega-Karriere zugetraut wird. Mit seiner Technik und Kreativität soll er die deutsche Offensive beflügeln.

"Das ist gut fürs deutsche Eishockey, weil die Strahlkraft der Jungs dem Sport in Deutschland hilft und uns mit der Qualität als Mannschaft enorm nach vorn bringt", sagt Kapitän Moritz Müller, der wie sein Veteranen-Kollege Korbinian Holzer, ebenfalls eine Führungsrolle übernehmen will und muss. Denn die Mannschaft ist jünger und unerfahrener als in den vergangenen Jahren. Mit Taro Jentzsch (Iserlohn Roosters), Alexander Ehl (Düsseldorfer EG) und Mario Zimmermann (Straubing Tigers) gibt es aufregende Debütanten. Das muss kein Nachteil sein. Denn Schnelligkeit, Robustheit und Gier waren Dinge, die dem deutschen Eishockey in Peking abhanden gekommen waren. Doch all das Philosophieren ist nichts für Söderholm, der bemüht nach der olympischen Lehrstunde die tugendhafte Demut: "Kaltschnäuzig, bodenständig, hart - so müssen wir arbeiten, damit wir uns in eine Position bringen, dass wir erfolgreich sein können. Mehr interessiert mich nicht."

Quelle: ntv.de

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