Norris vor F1-WM-Titel ... oder?McLaren muss nur ein einziges Ergebnis ganz dringend vermeiden
Torben Siemer
McLaren droht in dieser Formel-1-Saison ein erneuter Kollaps in der Fahrer-WM. Der sicher geglaubte Titel ist zwei Rennen vor Schluss plötzlich wieder in Gefahr. Das weckt Erinnerungen an das verheerende Finale der Saison 2007.
Gut möglich, dass Zak Brown seine Worte in wenigen Tagen bereut. Zumindest dann, wenn das vom McLaren-Boss beschriebene Szenario für das Saisonfinale der Formel 1 tatsächlich eintritt. Das ist deutlich wahrscheinlicher geworden, seit er den folgenden Satz gesagt hat: "Sollte das Gleiche passieren wie 2007, dann habe ich lieber diesen Ausgang als all die anderen Möglichkeiten, weil wir einen von beiden Fahrern favorisieren würden."
Die "beiden Fahrer" sind selbstverständlich Lando Norris und Oscar Piastri. Das McLaren-Duo dominiert die laufende Saison seit dem Auftakt in Australien im März. Von den ersten 15 Grand Prix gewinnen sie 11, fahren dabei sieben Doppelsiege ein, in der gesamten Saison führt außer ihnen niemand die Fahrerwertung an. Erst liegt Norris vorn, dann Piastri, jetzt wieder Norris. Der Engländer hätte am vergangenen Sonntag in Las Vegas sogar schon Weltmeister werden können. Doch stattdessen wurden beide im Ziel disqualifiziert. Wodurch die Chance, dass sich der McLaren-Albtraum von 2007 wiederholt, massiv gestiegen ist.
Auch damals, vor 18 Jahren, lautet die Frage über weite Strecken der Saison zumeist nur, welcher McLaren-Fahrer am Ende Weltmeister wird. Lewis Hamilton, der mit neun Podiumsplatzierungen in seinen ersten neun Rennen den besten Start eines Formel-1-Neulings jemals abliefert? Oder doch Fernando Alonso, der nach zwei Titeln mit Renault eine neue Herausforderung angetreten hat und sich mit seinem jungen Teamkollegen ein unerbittliches internes Duell liefert?
Der Große Preis von Japan, das drittletzte Rennen der Saison, scheint die Entscheidung für Hamilton zu bringen: Er siegt auf dem Fuji Speedway und steht dadurch bei 107 Punkten, während Alonso auf nasser Strecke ausscheidet und bei 95 Punkten verbleibt. Ein Sieg bringt damals noch 10 Punkte und so liegt, bei nur noch 20 zu vergebenden Punkten, der Vorteil klar beim Rookie. Es wirkt zugleich aus wie das WM-Aus für Ferraris Kimi Räikkönen, der mit 90 Punkten und somit 17 Punkten Rückstand ein Wunder (aus seiner Sicht) oder eine Katastrophe (aus McLaren-Sicht) bräuchte, um mehr zu haben als eine rein rechnerische Chance.
Doch schon beim vorletzten Rennen in China schlägt das Schicksal zu. Während Räikkönen vor Alonso gewinnt, erlebt Hamilton einen Moment, der es bis heute und für immer in jeden Rückblick schafft: Auf der Zufahrt zur Boxengasse rutscht er mit seinem McLaren ins Kiesbett und bleibt stecken. Mit folgendem Stand geht es zum letzten Wochenende der Saison nach Brasilien: Hamilton 107, Alonso 103, Räikkönen 100.
In São Paulo unterläuft Hamilton der nächste folgenschwere Fehler: Er löst mitten im Rennen am Lenkrad die Startsequenz aus, das Auto schaltet in den Leerlauf, erst nach ewig langen Sekunden bringt ein Neustart wieder Vortrieb. Auf Platz 18 zurückgefallen, startet er eine Aufholjagd und erreicht als Siebter das Ziel. Für Alonso läuft es zwar besser, doch auch sein dritter Platz reicht nicht. Beide stehen bei 109 Punkten - und müssen zuschauen, wie Ferrari tatsächlich das Räikkönen-Wunder feiert. Der Finne gewinnt auch das letzte Rennen und ist mit 110 Punkten zum ersten und einzigen Mal Weltmeister.
Wiederholt sich dieses Szenario, würde der Weltmeister 2025 zum fünften Mal in Folge Max Verstappen heißen. Er könnte es wie einst Kimi Räikkönen machen. Dabei liegt der Niederländer im Saisonverlauf mehr als 100 Punkte hinter dem WM-Führenden, gibt trotzdem nicht auf und schafft es, den Rückstand sukzessive zu verkürzen. In Las Vegas folgt dann der bisher größte Schritt seiner Aufholjagd. Weil sich McLaren am vergangenen Wochenende kolossal beim Setup verrechnet. Der Verschleiß des Unterbodens ist dadurch irregulär hoch, Norris und Piastri werden disqualifiziert. Verstappen gewinnt. Und ist zwei Rennen vor Schluss überraschend punktgleich mit Piastri (366) und liegt damit weniger als einen, inzwischen mit 25 Punkten belohnten, Rennsieg hinter Norris (390).
Wie damals Räikkönen kann auch Verstappen nicht aus eigener Kraft Weltmeister werden. Er ist auf Punktverluste der McLaren, vor allem natürlich von Norris, angewiesen. Die daher naheliegende Idee, sich als McLaren-Führung auf Norris festzulegen und Piastri zum Edelhelfer zu machen, hat das Team bereits öffentlichkeitswirksam verworfen. "Wir hatten eine sehr kurze Diskussion und die Antwort ist Nein", sagt Piastri in Katar dazu, wo an diesem Wochenende neben dem Großen Preis auch ein Sprintrennen ansteht. Teamchef Andrea Stella lässt sich so zitieren: "Bei noch zwei ausstehenden Rennen verdienen beide die Chance, um den Titel zu kämpfen."
Verstappen, der Dritte im Bunde, findet das selbstverständlich "perfekt". Er darf darauf hoffen, dass Norris und Piastri wie schon in Montreal oder Austin kollidieren. Oder sich zumindest in interne Duelle verwickeln, die ihm ermöglichen, davonzuziehen. Norris dagegen hat an diesem Wochenende in Katar, wie einst Hamilton in China, die Chance, schon im vorletzten Rennen alles klarzumachen. Dafür müsste er in Lusail "nur" jeweils zwei Punkte mehr holen als seine beiden Verfolger. Mit 26 Punkten Vorsprung wäre ihm der Titel nicht mehr zu nehmen, egal was dann im Saisonfinale in Abu Dhabi.
Aber womöglich wiederholt sich dort ja die Geschichte von Brasilien 2007, und McLaren schafft es tatsächlich, den sicher geglaubten Titel wieder aus der Hand zu geben. Zak Brown könnte damit leben, Sagt er zumindest. McLaren wäre trotzdem gut beraten, alles dafür zu tun, um zumindest diesen einen Ausgang, dieses eine Ergebnis abzuwenden. Um nicht wie damals vor 18 Jahren mit leeren Händen dazustehen.