Das Tagebuch zur WM in Katar Dreiste Zuschauerlüge wirft neue Fragen auf

Das "ausverkaufte" Stadion beim Spiel Senegal gegen Niederlande.

Das "ausverkaufte" Stadion beim Spiel Senegal gegen Niederlande.

(Foto: IMAGO/Sven Simon)

Das Interesse an den Spielen der Fußball-Weltmeisterschaft ist in Doha ungebrochen. Bisher sind alle Partien mehr als nur ausverkauft. Zur Partie Niederlande gegen Senegal ist es nicht anders. Aber auf den Rängen ist davon nichts zu sehen. Die dreiste Lüge wirft neue Fragen auf.

Hinter dem Al-Ahli-Stadion, dem Trainingsplatz des deutschen Gruppengegners Costa Rica, liegt der Bezirk Nuajia. Abseits der großen Ring Roads, auf denen der Verkehr nie ruht, herrscht hier Stille, die nur von den Rufen des Muezzins unterbrochen wird. Kleine Gassen, weiße und sandfarbene Häuser hinter hohen Mauern und mit schweren Autos in den Carports. Manchmal rauscht ein Auto vorbei, manchmal streunt eine Katze durch die Gegend. Überall sind Katzen. Ein Handwerker befestigt seine Leiter auf seinem Pick-up. Andere betreten Häuser, sonst ist niemand auf der Straße.

Hier begehen die Katarer ihre eigene Weltmeisterschaft. Einige Häuser sind mit den Fahnen aller Teilnehmerländer geschmückt, andere nicht. Dort haben sie schwer aufgefahren. Gigantische Nationalflaggen sind über die Häuser gelegt, jede erdenkliche Stelle mit Flaggen geschmückt, an den Häuserwänden sind die Porträts der Herrscherfamilie zu sehen.

Die Bilder von Tamim bin Hamad Al Thani, dem Emir von Katar, und seinem Vater Hamad bin Khalifa Al Thani werden an einigen der Bauten noch durch Moza bint Nasser ergänzt. Sie ist die zweite Frau von Hamad bin Khalifa Al Thani und die weibliche Galionsfigur des Emirats. Die 63-Jährige treibt in Katar die Transformation zu einer Wissensgesellschaft voran.

Die Eckpfeiler Katars

Für eine Zeit, in der nicht mehr nur Gas den unermesslichen Reichtum des Landes mehren und durch internationale Sichtbarkeit ein Schutzschild gegen die anderen Mächte der Golf-Region bilden soll. Ihre Tochter Al-Mayasa bint Hamad bin Khalifa Al Thani führt nach der Abdankung des alten Emirs im Jahr 2013 ihre Rolle fort. Sie ist Chefin der nationalen Museumsbehörde mit milliardenschweren Budgets. Beide geben sich im Ausland westlich und offen und in Katar traditionell, das Bild der Frau nur um Millimeter verschiebend.

Gas, Bildung, Kunst, Sport - das sind die Eckpfeiler von Katar. Ruhm und Reichtum mehren. Unersetzlich werden in der Welt. Deswegen hat sich das Emirat die Weltmeisterschaft organisiert, mit viel Geld und mit großen Zweifeln. Nur wenige Tage im Turnier droht das größte Event der Sportwelt jedoch in einem riesigen Desaster zu enden. Um Sport geht es in der Anfangswoche nicht. Alles wird überschattet von den Begleitumständen. Von dem stillen Protest Irans, von den Toten auf den Baustellen der Stadien, von der endgültigen Realitätsverweigerung des FIFA-Präsidenten Gianni Infantino, von dem Duckmäusertum der europäischen Verbände inklusive des DFB, deren Wille zum Protest durch Androhungen von Gelben Karten gebrochen wird.

Es ist kein dunkler Schatten, der über diesem Turnier liegt, die Fußball-Weltmeisterschaft ist der dunkle Schatten auf dem Fußball, der in den Hintergrund gerückt ist. Dabei findet am Montag im angrenzenden Bezirk Al Thumana das erste richtige Spiel der WM statt. Stunden vor dem Anpfiff stehen etwa 100 Arbeitsmigranten in der Reihe in der heißen Sonne des Landes, langsam wird eine Nummer auf ihren Badges gescannt und sie zum Arbeitseinsatz gerufen. Ein Bild, das überall zu beobachten ist. Menschen werden irgendwohin transportiert, aufgereiht und dann ohne größere Informationen über das, was kommen wird, losgeschickt.

Van Gaal will Weltmeister werden

Vom Spiel Senegal gegen Niederlande werden sie wenig gesehen haben. Fußballerisch eine hochattraktive Paarung. Louis van Gaal mit seinem wohl letzten großen Auftritt. Der 71-Jährige will Weltmeister werden. Er hat eine gute Mannschaft zusammengebastelt. Die vorne vielleicht noch einen guten Stürmer gebrauchen könnte. Da geht es den Niederländern nicht anders als dem großen Nachbarn Deutschland.

Gegen Senegal, die ohne Superstar Sadio Mané auskommen müssen, reicht es trotzdem. Durch zwei späte Tore setzt sich die Elftal gemeinsam mit Ecuador an die Spitze der Gruppe A. Der überragende Cody Gakpo und der ehemalige Bremer Davy Klaasen zeichnen für die Tore verantwortlich. Die Löwen von Teranga hingegen scheitern wiederholt am Debütant im Tor der Elftal, an Andries Noppert, der mit 28 Jahren vollkommen überraschend von Bondscoach van Gaal sein erstes Spiel überhaupt beim WM-Auftakt bekommt.

Es ist ein zähes Spiel mit vielen Fehlern auf beiden Seiten. Beide Mannschaften wollen bei diesem Turnier etwas erreichen und noch lässt sich darüber wenig sagen. Van Gaal aber ist es zuzutrauen, dass die Elftal zum sechsten Mal nach 1974, 1978, 1998, 2010 und 2014 mindestens das Halbfinale erreicht. Es ist eine Mannschaft ohne große Stars, eine, die vom Bondscoach geformt und seit mittlerweile 16 Spielen unbesiegt ist. "Es war ein verdienter Sieg", sagt van Gaal nach dem Spiel: "Aber ganz ehrlich, es war kein gutes Spiel von unserer Seite."

Leeres Stadion, leere Worte

Der Auftakt der Niederländer hinterlässt jedoch auch aus anderen Gründen große Fragezeichen. Die Logen im Stadion Al Thumana sind spärlich bis gar nicht besetzt, die Ränge füllen sich schleppend, zahlreiche Plätze bleiben leer. So etwas wie Stimmung will nicht aufkommen. Das konstante Getrommel einer senegalesischen Fangruppe bleibt auch von den Fans der Elftal unbeantwortet. Sie freuen sich über den Sieg und wundern sich mit dem Rest über die angegebene Zuschauerzahl. Insgesamt 41.721 sollen in die Arena im Süden Dohas gekommen sein. Auf der offiziellen Seite der WM wird die Kapazität mit 40.000 angegeben. Kein Einzelfall. Alle Spiele sind bisher mehr als ausverkauft.

Es ist nicht einmal mehr eine Irreführung, sondern einfach nur noch ein zutiefst lächerlicher Versuch, das fehlende Interesse an manchen Spielen zu übertünchen. Zahlen draufschreiben, die jeder Mensch sofort als Lüge identifiziert. Wenn so mit Zuschauerzahlen umgegangen wird, wieso sollte anderen, viel wichtigeren Zahlen, Glauben geschenkt werden? Immer wieder hat Katar die Zahlen der Toten im Zusammenhang mit der WM bestritten.

Denen, die nach Abpfiff aus dem Eingang der VVIPs, den Very Very Important Persons, hinauskommen, dürfte das egal sein. Für sie wird im Stadionumlauf eine Polizeiformation aufgebaut, die Zuschauer werden zu den Ausgängen gescheucht, die VVIPs auf Sänften hinaus eskortiert. Im Nuajia-Bezirk ist es längst dunkel. Noch hängen die Flaggen der anderen Teilnehmerländer an manchen sandsteinfarbenen Häusern, der Verkehr rauscht auf den Ring Roads an ihnen vorbei. Und überall hängen Porträts der Al Thanis. Auch morgen wird es keinen Regen geben.

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Update 9.28 Uhr: Nach der goßen Verwirrung um die übervollen WM-Stadien hat die FIFA am Dienstag reagiert und die offensichtlich zuvor gerundeten Kapazitäten angepasst. Dadurch wird klar: Es gibt noch Tickets für die WM, von den ersten vier Spielen war keines ausverkauft.

Al-Bait Stadion: 68.895 statt 60.000
Al-Dschanub Stadion: 44.325 statt 40.000
Ahmad bin Ali Stadion: 45.032 statt 40.000
Chalifa International Stadion: 45.857 statt 40.000
Education City Stadion: 44.667 statt 40.000
Lusail Stadion: 88.966 statt 80.000
Stadion 974: 44.089 statt 40.000
Al-Thumama Stadion: 44.400 statt 40.000

Quelle: ntv.de

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