Fußball

Meuterei in der Bundesliga BVB-Boss Kehl weiß nicht, wie es weitergehen soll

Sebastian Kehl (l.) und Martin Petersen besprechen bei einer Unterbrechung, wie es auf dem Platz weitergehen könnte.

Sebastian Kehl (l.) und Martin Petersen besprechen bei einer Unterbrechung, wie es auf dem Platz weitergehen könnte.

(Foto: IMAGO/osnapix)

Die Protestwochen in der Bundesliga gehen weiter. Die Partie zwischen dem VfL Wolfsburg und Borussia Dortmund ist so oft unterbrochen, dass von einem Fußball-Spiel kaum die Rede sein kann. Erst am Ende simulieren alle Normalität, danach sind die Beteiligten genervt. Sie wollen doch nur Fußball spielen.

In der Nachspielzeit flogen beim 1:1 (0:1) durch Treffer von Niclas Füllkrug und Yannick Gerhardt zwischen dem VfL Wolfsburg und Borussia Dortmund die Becher. Endlich Fußball, dachten die beinahe 30.000 Zuschauer in der Volkswagen-Arena am Mittellandkanal. Bei einer Ecke der Wolfsburger vor der Gästekurve hatten die Dortmunder Fans genug. Schiedsrichter Martin Petersen unterbrach das Spiel nicht, der Stadionsprecher machte eine knappe Durchsage.

Wenig später kochten auf der anderen Seite die Emotionen hoch. Ridle Baku hatte Jamie Bynoe-Gittens gelegt und die Spieler waren in einer Traube übereinander hergefallen. Von den Tribünen durften sich die Anhänger des BVB Gesänge über den Beruf ihrer Mütter anhören. Die Partie konnte in diesen Schlussminuten in beide Richtungen kippen, dementsprechend aufgeheizt war die Stimmung.

Auch nach dem Schlusspfiff blieb sie das. Im Kabinengang stellte Wolfsburgs Geschäftsführer Marcel Schäfer Schiedsrichter Petersen lautstark zur Rede. Es ging um den Freistoß nach dem Foul von Baku. Die Meinungen gingen minutenlang auseinander. Schäfer vermutete eine Fehlentscheidung, Petersen nicht. Es war eigentlich egal, denn der Freistoß von Julian Brandt war ohnehin übers Tor gesegelt. Kurz vor Einbruch des Frühlings im Jahr der Heim-Europameisterschaft war all das die Simulation von Normalität inmitten der neuen Realität des Bundesliga-Fußballs.

"Die Tennisball-Meuterei"

Diese neue, von der spanischen "AS" dieser Tage als "Tennisball-Meuterei" bezeichnete Realität sah in Wolfsburg so aus: Spielunterbrechung folgte auf Spielunterbrechung. In der ersten Halbzeit sorgten die Wolfsburger Fans mit Tennisbällen und allerhand Leckereien für insgesamt vier Spielunterbrechungen und zwölf Minuten Nachspielzeit, in der zweiten Halbzeit waren es die Dortmunder, die ab der 51. Minute das Spiel mit unzähligen Tennisbällen immer wieder stoppten, aber niemals wirklich in die Nähe eines Abbruchs brachten.

Der Protest der Wolfsburger Fans.

Der Protest der Wolfsburger Fans.

(Foto: picture alliance / Dennis Ewert/RHR-FOTO)

"Ihr macht unseren Sport kaputt", sang das Stadion, als Petersen die Mannschaften um 16:55 Uhr in der 55. Minute des Spiels an die Seitenlinie bat. Auf den Sitzplatztribünen hielten einige Zuschauer fest: "Das hat mit Fußball nichts zu tun." Sie hatten damit verdammt recht. Was auf dem Rasen passierte, war unansehnlich. An ein Fußballspiel war bis dahin trotz der sehenswerten Dortmunder Führung von Niclas Füllkrug in der achten Minute und zwei guten Chancen der Wolfsburger durch den in Sachen Abschlussqualität an alte Regionalliga-Zeiten erinnernden DFB-Stürmer Kevin Behrens kaum zu denken. Es habe nicht an den Unterbrechungen gelegen, versicherten die Beteiligten nach dem Spiel, geholfen hätten die aber auch nicht. Aber mit Fußball hatte es wirklich selten zu tun.

Darum geht es bei diesen Protesten in den deutschen Stadien, die an diesem Samstag wohl beim 2:2 zwischen Hansa Rostock und dem Hamburger SV ihren kreativen Höhepunkt fanden. Dort rollten zwei ferngesteuerte, mit Rauchtöpfen versehene Modellautos vor einem wütend auf sie eintretenden Ordner davon und sorgten für große Erheiterung bei den Fans. Bei den Verantwortlichen auf und neben dem Platz fahren die Sympathien dafür mittlerweile jedoch auf Reserve, wie sich auch nach dem Spiel in Wolfsburg zeigt.

Wolfsburger Fans sehen sich als mahnendes Beispiel

In Wolfsburg aber blieb Schiedsrichter Petersen während der Partie erst einmal gelassen, wies einmal sogar die Sicherheitskräfte zurecht, doch nicht bei vielversprechenden Angriffen mit ihren Eimern auf dem Spielfeld zu erscheinen, was wiederum dem Dortmunder Trainer Edin Terzić nicht passte. Er klagte nach dem Spiel über ein nicht freigeräumtes Spielfeld. "Es wurde weitergespielt, obwohl gefühlt 50 Ordner auf dem Platz waren. Es wurde weitergespielt, obwohl sehr viele Bälle da waren. Dementsprechend war es teilweise auch sehr gefährlich. Wir sind froh, dass nicht mehr passiert ist", sagte er.

Die Zeiten des zäh fließenden Verkehrs sind in der Ersten und Zweiten Bundesliga mittlerweile Standard. Kaum ein Spiel, dass nicht unterbrochen wird. Kaum ein Stadion, in dem die Fans nicht "Scheiß DFL, Scheiße, Scheiße DFL" singen. In Wolfsburg zeigte sich mal wieder die historischen Dimensionen dieser Proteste. Ausgerechnet die Anhänger der 100-prozentigen Volkswagen-Tochter, oft verspottet von anderen Fanszenen, starteten sie.

"Wir wissen, wie es ohne ist: 50+1 erhalten", stand auf einem die Proteste erklärenden Banner in der Kurve der Wolfsburger, die gleich allerhand Beispiele dafür lieferten, wie es ohne so ist. "Gewinnabführung", "Wettbewerbsverzerrung", "Verlustausgleich", "LED-Bande vor der Kurve", "Blaue Trikots", "Orange Trikots", "Pinke Schals", "Neues Logo" und "Identifikationsverlust" war dort zu lesen. Das, was dort zu lesen war, durfte als überraschend bezeichnet werden.

Eine der größten Krisen des deutschen Fußballs

Die Proteste und in erster Linie die daraus resultierenden Fragen nach der Zukunft von 50+1, nach der Zukunft der Einheit der Liga können getrost in als eine der größten Krisen des deutschen Fußballs abseits der sportlichen Dinge bezeichnet werden. Es ist eine Krise, deren Ende sich nicht abzeichnet und die auch die Fußballer und ihre Trainer betrifft. Sie müssen das Spiel neu denken, sie müssen die Unterbrechungen einkalkulieren und, wenn möglich, sogar einen Vorteil daraus ziehen.

Den Dortmundern wollte es an diesem Tag nicht gelingen, obwohl die Unterbrechungen längst eingeplant sind. Es sind nun Timeouts für die Mannschaft. "In anderen Sportarten", sagte BVB-Trainer Terzić nach dem Spiel, "ist das Spielfeld deutlich kleiner bei Timeouts. Wir versuchen aber unsere Achse - die Innenverteidiger, die Sechs, die Zehn, die Neun - schnell an die Linie zu bekommen. Wir versuchen, mit der Situation gewissenhaft umzugehen. Es ist trotzdem eine, auf die wir gerne verzichten können."

Wie alle enthielt sich Terzić der Bewertung der Proteste, doch eine Lösung muss her. So schnell wie möglich. Auch da waren sich alle Beteiligten einig. "Ich weiß nicht, wie das in dieser Form weitergehen sollen. Es macht vielen Zuschauern, die im Stadion sind, nicht viel Spaß und den Spielern auch nicht", erklärte BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl und unterschied nicht. Das war insofern falsch, als die friedlichen Proteste selbst von einer breiten Masse getragen werden, wie eine in dieser Woche veröffentlichte Umfrage zeigte.

Kehl wirft BVB-Stars Arroganz vor

Fußball aber wurde auch gespielt und dort überzeugten die kriselnden Wolfsburger mehr als die in diesem Jahr noch ungeschlagenen Dortmunder. Es war ein unansehnliches Spiel, in dem die Wolfsburger besser mit den neuen Umständen des Protestfußballs zurechtkamen. Der BVB hatte irgendwann nach der ersten Unterbrechung des Spiels nach nur 12 Minuten mit einem 1:0 im Rücken die Partie komplett aus der Hand gegeben. Die Führung bewahrten sie bis zur 64. Minute, dann setzte sich Yannick Gerhardt nach einem kollektiven Blackout der BVB-Defensive nach einer Ecke mit dem Kopf durch und traf zum hochverdienten Ausgleich.

Beim BVB lief wenig zusammen. Julian Brandt spielte serienweise Bälle in die Füße der Wolfsburger, auf der linken Seite rannte sich Jadon Sancho fest, in der Zentrale versuchte Marcel Sabitzer mit bescheidenem Erfolg, den Angriffsbemühungen des BVB eine Struktur zu verpassen. Der Nachmittag des BVB war von Missverständnissen geprägt. Gelangten sie einmal in die Nähe des Strafraums, brachten sie die Bälle nicht zu den Mitspielern, spielten sie wie Neuzugang Ian Maatsen die Pässe in den Rücken und verhinderten dadurch jede Gefahr für das Tor von Koen Casteels. Sie hätten am Ende auch verlieren können. Die Qualität der Chancen der Wolfsburger war um einiges höher.

"Es war kein einfaches Spiel durch die vielen Unterbrechungen", sagte Sportdirektor Kehl und teilte dann vor dem Trip des BVB nach Eindhoven zum Spiel in der Champions League noch einmal gegen die Profis aus. "Wir haben arrogant gespielt", sagte er. "Wir waren nicht konsequent genug in Zweikämpfen und Passfolgen. Das war zu viel zu Hacke, zu viel Spitze. Wir haben leichtsinnig Bälle verloren, es nicht mit der nötigen Klarheit zu Ende gespielt."

Bloß nicht mehr "Weiter so!"

Der BVB bleibt trotzdem weiter ungeschlagen im Jahr 2024, muss weiter um die Qualifikation für die Champions League bangen. Wolfsburg bleibt weiter ohne Sieg und versinkt weiter im Liga-Mittelmaß. "Wir hätten eigentlich acht Punkte mehr haben müssen", sagte Wolfsburg-Trainer Niko Kovač, der weiter in der Kritik steht, über die fünf Unentschieden und die eine Niederlage aus den ersten sechs Spielen des Jahres. Die Fans bleiben weiter wütend.

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Insofern konnte das Spiel in der Arena am Mittellandkanal auch als ein "Weiter so"-Spiel bezeichnet werden und das dürfte allen Beteiligten Angst machen. "Wir wünschen uns alle, dass es eine schnelle Lösung gibt", sagte BVB-Trainer Terzić. "Keiner stellt sich das Fußballerlebnis so vor. Ob man als Fan allein oder in einer Gruppierung oder mit seiner Familie hier war. Wir sind alle hier, um das Spiel zu sehen."

Aktuell jedoch geht es den Fans um etwas anderes. Sie wollen die Liga vor dem Eingriff von externen Investoren bewahren und 50+1 verteidigen. Sie haben genug. Es bleibt spannend. Anders als auf dem Wolfsburger Platz, auf dem die Normalität nur simuliert wurde.

Quelle: ntv.de

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