Fußball

Endlich wieder Bundesliga-Krach BVB nimmt Salihamidžić zum Glück nicht ernst

Michael Zorcs guter Rat: "Einfach mal die Klappe halten!"

Michael Zorcs guter Rat: "Einfach mal die Klappe halten!"

(Foto: picture alliance / augenklick/firo Sportphoto)

Hasan Salihamidžić will bei Borussia Dortmund mit seiner Aussage über Marco Reus für Unruhe sorgen. Die Konkurrenz wundert sich über den Bayern-Funktionär und schickt eine Kampfansage zurück. Das ist gut für die Bundesliga, wie auch Dortmunds neue Mentalität.

Ausgerechnet der von Freunden und Feinden liebevoll "Brazzo" genannte Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidžić rundete das ohnehin bereits gelungene Wochenende der Dortmunder Borussia ab. "Er soll einfach mal die Klappe halten", maßregelte der ewige BVB-Sportdirektor Michael Zorc den vom Markenbotschafter bis ganz an die Spitze der Bayern-Hierarchie aufgestiegenen 44-Jährigen. Dann verwandelte der mit 49 Treffern erfolgreichste Elfmeterschütze der Dortmunder lässig vom Punkt: "Wer glaubt er eigentlich, wer er ist?" Eine berechtigte Frage. Später mehr.

Um Salihamidžić zu verstehen, lohnt ein Blick auf den BVB. Der mit 13:9 Toren und neun Punkten aus den ersten vier Ligaspielen ereignisreich in die Zeit unter Marco Rose gestartet ist. Vorne trifft Erling Haaland und hinten hält nichts und niemand die Abwehr zusammen. Für einen Sieg reicht es meist, auch weil der BVB in den letzten 55 Pflichtspielen - und somit seit einem 0:2 in Augsburg im September 2020 - immer trifft. Aber es ist eben nicht nur Haaland, der bei Dortmund für die spektakulären Momente sorgt, und es ist nicht so, dass die Abwehrschwäche Bestand haben wird. Das macht den BVB überraschend gefährlich. Auch für Bayern.

Bellingham ist Dortmunds Goretzka

Die Fans sind zurück, in Teilen, sie verändern das Spiel und sorgen für besondere Momente. Wie der junge Engländer Jude Bellingham, der längst Publikumsliebling in Dortmund ist, am Wochenende in liebevoller Interaktion mit dem Anhang der Leverkusener unter Beweis stellen konnte. Bellingham hat eine neue Coolness in die Bierhauptstadt gebracht. Er spielt nicht nur mit seinen Gegnern, die er mal abgrätscht, um sich dann im nächsten Moment mit seiner exzellenten Technik aus Pressingsituationen zu befreien, sondern auch mit dem Publikum. Er fängt Bierbecher, steht stark gegen die bei Spielen der englischen Nationalmannschaft zur traurigen Tradition gewordenen rassistischen Anfeindungen.

Der 18-Jährige aus Birmingham ist Dortmunds internationale Antwort auf Bayerns Leon Goretzka. Daran kann auch Sebastian Kehls voreilige und duckmäuserische Kritik am Bierbecherjubel nichts ändern. Der zukünftige BVB-Sportdirektor sah das nicht gern, wies den Engländer darauf hin und löste damit rund um das Westfalenstadion Kopfschütteln aus. Bis Salihamidžić kam. Gutes Wochenende also für den BVB. Obwohl: Noch ist alles neu beim BVB. Die Defensive wankt. Kassiert Tor um Tor. Ganz anders zum Beispiel als damals unter Peter Bosz, mit dem es gelang, in der Saison 2017/2018 in den ersten fünf Ligaspielen ohne Gegentor zu bleiben. Der dann aber mit nur zwei Siegen und 23 Gegentoren aus den folgenden 10 Ligaspielen bis zu seiner Entlassung den Preis für seinen Harakiri-Fußball zahlen musste.

Europa ist verliebt in Dortmund

Die Borussia der Neuzeit ist "work in progress". Im laufenden Betrieb hat der Marco Rose das System leicht justiert. Nur noch ein Sechser, davor die beiden Achter. Und hinter dem Sechser eine verletzungsbedingt wild zusammengewürfelte Abwehr. Andere Abläufe. Gerade in der Defensive. In Dortmund sieht man das jedoch noch entspannt. Es wird sich alles finden, heißt es. Die Idee ist klar und die Rückkehr des Abwehrchefs Mats Hummels soll schon in den anstehenden Spielen bei Besiktas und gegen Union Besserung bringen.

Beinahe traditionell sammelt die Borussia auch international großes Lob für ihre Auftritte ein. Denn Bayern wird für ihre jeden Wettbewerb erdrosselnde Siegesserie Respekt ausgesprochen, doch für die wirklich großen Momente der Liga sorgen dann die Dortmunder. "Ein Sieben-Tore-Thriller mit all diesen Spielern, die ihre Zukunft noch vor sich haben", schrieb der legendäre Bundesliga-Kommentator Derek Rae auf Twitter. Podcast-Ikone Ryan Hunn kommentierte: "Dortmund macht einfach Spaß. 22 Tore in vier Bundesligaspielen. Das 1:2 in Freiburg wirkt da schon wie eine Schlaftablette." Der Guardian bemerkte die neue Sieger-Mentalität des BVB und führte dann aus: "Es war nicht die Sichtweise der Dortmunder, nur das Spektakel und nicht die langfristige Entwicklung der Borussia zu beurteilen."

Der Sieg in Leverkusen als Ausrufezeichen, als Spiel, das der BVB in der vergangenen Saison noch verloren hätte, wie es Jude Bellingham formulierte. Mit neun Punkten aus vier Ligaspielen sind die Dortmunder nun auf Kurs. Nicht auf Meisterschaftskurs, aber die Entwicklung wird eben auch in München bemerkt. Dort, und da sind wir wieder bei Hasan Salihamidžić, wird die Entwicklung des BVB ebenfalls registriert. Eine Entwicklung, die auch vom Dortmunder Urgestein Marco Reus vorangetrieben wird. Und der jetzt Ziel der ersten Attacke aus Bayerns neuer "Abteilung Attacke" war.

Sagen, wie es ist

Dabei muss man sich Hasan Salihamidžić als glücklichen Menschen vorstellen. Endlich angekommen. Nach vier Lehrjahren bei den Bayern ist er seit diesem Sommer neben dem neuen Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn der starke Mann bei Bayern München. Endlich muss er auf die alten Herren keine Rücksicht mehr nehmen. Erst hatte sich bekanntlich Uli Hoeneß zurückgezogen (aber eine Rolle im Aufsichtsrat behalten) und dann auch Karl-Heinz Rummenigge. Der Rekordmeister ist nun ein anderer Verein, einer, der eben auch von Salihamidžić geführt wird.

"In den letzten Jahren war es vor allem am Anfang nicht so leicht. Da waren Kalle und Uli da", plauderte der 44-jährige Bosnier am Sonntag bei Sky. "Man musste da viel Rücksicht nehmen, dass man keinem von beiden wehtut. Der eine hat oft A gesagt, der andere B. Dann musste ich dazwischen eine Aussage treffen, die keinem wehtut." Jetzt kann er seine "Meinung sagen, wie sie ist" und auch keine Rücksicht mehr nehmen. Das tat er dann auch im Sky-Talk.

Befreit von allen Fesseln legte Bayerns Sport-Boss los. Denn er hatte ja eine Meinung. Zu einem Thema. Also eigentlich nicht. "Das ist nicht meine Sache", holte er also aus. Und wenn etwas so beginnt, dann folgt immer, genau, ein "Aber". So auch bei Salihamidžić. "Aber das ist schon verwunderlich, dass man von der Nationalmannschaft wegfährt und zwei, drei Tage später wieder spielt", erklärte er und meinte überhaupt nicht den von der kanadischen Nationalmannschaft verletzt abgereisten und dann beim 4:1 in Leipzig über 90 Minuten eingesetzten Bayern-Außenverteidiger Alphonso Davies, sondern Borussia Dortmunds Marco Reus. Erstaunlich.

Reus als Faktor

Der Dortmunder hat in den vergangenen Monaten seine innere Mitte gefunden. Bereits in der vergangenen Saison, die für den BVB eine dramatische und am Ende sogar erfolgreiche war, verpasste er nur ein Spiel mit einer Prellung am Fußgelenk, absolvierte insgesamt 49 Pflichtspiele und fühlte sich am Ende zu ausgelaugt für die Europameisterschaft. Freiwillig schenkte er für eine sorgenfreie Vorbereitung also eines seiner letzten großen Turniere her und wurde belohnt. Zu Saisonbeginn präsentiert er sich beim BVB und auch in der Nationalmannschaft in mehr als ordentlicher Form. Es hat lange gedauert, doch mittlerweile hat er das geschafft, was nicht alle ihm zugetraut haben: Er ist ein Führungsspieler geworden. Und auch einer, der nicht mehr jedem Länderspiel hinterherläuft. Ging oft genug schief für ihn.

Auch Bundestrainer Hansi Flick hat das erkannt. "Er hat einfach eine enorme Qualität, gerade im letzten Drittel. Marco ist einer, der den letzten Pass spielen kann, der immer in die Tiefe geht, der im Direktspiel auch eine tiefstehende Abwehr knacken kann. Für mich steht seine Qualität außer Zweifel", sagte der Ex-Bayern-Coach kürzlich über den Dortmunder und gönnte ihm nach seinem starken Spiel beim 6:0 gegen Armenien eine Pause.

Vor Salihamidžić hat niemand Angst

Salihamidžić konnte das nicht gefallen, auch weil ein fitter Reus in der Liga zu einer kleineren Gefahr für Bayerns Traum vom zehnten Titel in Folge werden kann. Kein echter Stolperstein. Natürlich. Dafür ist der Rekordmeister zu stark, die Saison zu lang und dafür ist das Dortmunder Gebilde trotz des vorsichtigen Optimismus weiterhin zu fragil.

"Wenn die Bayern schwächeln, müssen wir da sein", heißt es häufig. In dieser Saison scheint der BVB gewillt zu sein, es zumindest mal zu probieren. Spektakulär auf dem Platz, in angemessenem Ruhrgebiets-Ton abseits des Platzes. Dort haben sie am Borsigplatz endlich einmal die Demut vor dem großen Rivalen vermissen lassen. Wenn es in der Bundesliga schon kein Titelrennen mehr gibt, so können sich die Fans jetzt auf interessante Rededuelle freuen. Wenn Salihamidžić sagt, wie seine Meinung ist, steht niemand mehr stramm. Michael Zorc gewiss nicht. Der aus der Luft gegriffene Angriff des Bayern-Sportvorstands rundete das Dortmunder Wochenende perfekt ab. Leverkusen spektakulär geschlagen, den Bayern zumindest ein wenig Angst gemacht und dann am Sonntag ganz ohne Spiel auch noch einen Elfmeter verwandelt. Ideal gelaufen.

Quelle: ntv.de

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