Sieg gegen BVB kauft nur Zeit Fluch der Abramowitsch-Milliarden lastet auf Chelsea
08.03.2023, 06:18 Uhr
Mit seinem Einstieg beim FC Chelsea 2003 veränderte Roman Abramowitsc den internationalen Fußball für immer.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Vor einem Jahr beginnt der Krieg. Es folgen Sanktionen gegen Russland, auch gegen die Oligarchen im System Putin. Unter ihnen ist Roman Abramowitsch. Er muss Chelsea verkaufen, verspricht eine großzügige Spende. Die bleibt bis heute aus. Die neuen Eigentümer kaufen sich mit dem Sieg über den BVB Zeit.
Der neue Boss hatte eine Flasche Bier in der Hand. Er schlurfte über den Platz, verschwand in den Katakomben und kam rund 20 Minuten später wieder raus, die Flasche Bier immer noch fest umschlungen. Todd Boehly wollte es sich nicht nehmen lassen, an diesem Abend an der Stamford Bridge seine Mannschaft zu sehen. An seiner Seite schlenderte der 87-jährige Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss, dem auch ein Teil von Chelsea gehört. Er war ebenso hemdsärmelig gekleidet, trug einen Schal und sein Alter lastete auf jedem seiner Schritte. Es war ohnehin spät geworden an diesem Abend nahe der Themse. Immerhin aber auch erfolgreich. Das 2:0 gegen Borussia Dortmund, der Einzug ins Viertelfinale der Champions League verschafft den beiden schwerreichen Männern nun etwas Ruhe bei ihrem Londoner Projekt, das ihnen in den letzten Wochen immer mehr entglitten ist. In der Meisterschaft abgeschlagen, in den nationalen Pokalen raus.
Da kam der Sieg gegen den Bundesligisten gerade recht. Seit etwas über neun Monaten nun leiten sie die Schicksale des Klubs, der lange in der Hand des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch war. Doch der 56-Jährige hatte nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine vor etwas über einem Jahr keine Wahl. Ihm wurden die Blues aus den Händen gerissen. Dabei hatte er sie in den 19 Jahren zuvor aus der Bedeutungslosigkeit in die absolute Spitze geführt und den Klub selbst als Vorbild für so viele andere modelliert. Auf den Russen folgten andere, noch reichere Besitzer. Nicht nur in England, sondern weltweit. Der Oligarch ist die Speerspitze der Fußball-Revolution der frühen 2000er, als immer mehr Geld in den Fußball floss und ihn für immer veränderte.
Zweifelhafte Rolle im System Putin
Doch mit dem Krieg kamen die Sanktionen gegen Abramowitsch, kamen die Fragen nach seiner zumindest zweifelhaften Rolle im System Putin und ihm eine Idee, wie er sich doch noch ein letztes Mal im guten Licht zeigen konnte. Die Erlöse aus dem Verkauf sollten in eine Stiftung fließen, das Geld für humanitäre Hilfe in der Ukraine gespendet werden. Es war sozusagen der letzte Wunsch eines verschwindenden Mannes. Er sollte ihm erfüllt werden. Doch über neun Monate nach dem Verkauf dauert der Krieg weiter an und die Milliarden sind noch immer im Vereinigten Königreich.
Denn weiterhin ist unklar, was mit den Abramowitsch-Milliarden passieren wird. Die 2,8 Milliarden Euro Erlös aus dem Verkauf seines Vereins sind weiterhin auf einem britischen Bankkonto eingefroren, bestätigte ein Regierungssprecher des Vereinigten Königreichs kürzlich ntv.de. Sie können ohne die Zustimmung der Regierung nicht bewegt werden. Bereits seit dem vergangenen Sommer befindet sich eine Stiftung in Gründung. Dafür verantwortlich ist Mike Penrose, der drei Jahre lang Unicef Uk vorstand und nun mit unfassbar viel Geld verantwortungsvoll umgehen werden muss. Bewegte Penrose in seiner Zeit bei Unicef jährlich Summen in Höhe von rund 170 Millionen Euro, entspricht das Gesamtvolumen der Stiftung dem mehr als Sechzehnfachen seines damaligen Budgets. Die 2,8 Milliarden Euro entsprechen in etwa dem Volumen der Militärhilfe des Vereinigten Königreichs für die Ukraine im Jahr 2022. Eine unvorstellbare Summe.
Es ist still geworden um die Stiftung
Und so gibt es natürlich verschiedene Vorstellungen darüber, wie das Geld letztendlich in der Ukraine eingesetzt werden wird und auch, ob es ausschließlich für die Ukraine eingesetzt werden wird. Zweierlei Ideen kursieren derzeit: Zum einen könnten die Abramowitsch-Milliarden sofort komplett investiert werden, zum Wiederaufbau von Schulen, von Kliniken und der zerstörten Infrastruktur des Landes oder aber nach dem klassischen Stiftungsmodell als Grundlage für langjährige Unterstützung. Für Penrose geht es vor allen Dingen auch darum, zu schauen, welche Organisationen in der Ukraine tätig sind und wie sich das Geld auch auf deren Arbeit auswirken könnte.
Zuletzt hieß es, dass nur die Europäische Union der Gründung der Stiftung zustimmen muss und dann wäre der Weg frei für die gigantische Hilfe für die Ukraine. Doch nach einem Bericht im "Telegraph" Anfang Februar wurde es wieder still um die zukünftige Stiftung. Viel Geld bedeutet viel Verantwortung und über allem wacht weiterhin die britische Regierung, die ein Auge darauf hat, dass die Milliarden nicht doch noch zurück an Russland oder Abramowitsch fließen und die Sanktionen einfach nur umgangen werden.
Mit Geld lassen sich alle Erfolge kaufen
An der Stamford Bridge ist Abramowitsch also seit einem knappen Jahr Geschichte. Nur rund 165 Millionen Euro kostet ihn im Jahr 2003 der Klub, mit dem er von Erfolg zu Erfolg eilte. Er und Chelsea zeigten der Welt, dass sich in der Premier League mit sehr viel Geld alle Erfolge kaufen lassen. Er und Chelsea zeigten der Welt zusätzlich, dass sich auch der Ruhm der Eigentümer mehren lässt und letztendlich ein Klub auch noch mit viel Profit verkauft werden kann.
Dieser Tage sind es jedoch längst nicht mehr Einzelpersonen, sondern eben ganze Staaten, die mit ihren Milliarden in die Liga drängen und unvorstellbare Summen bewegen. Manchester City ist mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eng verbandelt, Newcastle United komplett in saudischer Hand und bei Manchester United drängt der Gastgeber der WM 2022, Katar, in den Markt. Noch ist es nicht gesichert, dass Scheich Jassim bin Hamad Al Thani den Zuschlag für den jüngst als "Kronjuwelen des Fußballs" bezeichneten Klub erhalten wird. Die Wüstenstaaten erkaufen sich mit ihren Milliarden in jedem Fall Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit, Anerkennung und die mehr als hundertjährige Tradition der englischen Vereine.
Tuchel und die "mächtigste Frau im Fußball" sind weg
Es ist gewissermaßen die Fortführung der von Abramowitsch begründeten Tradition, die sich bei Chelsea ein wenig anders darstellt. An der Stamford Bridge regiert seit Sommer 2022 ein vom Milliardär Boehly geführtes Konsortium. Die Gelder der Clearlake Capital Group, die hinter dem Milliardendeal steht, haben Chelsea bislang jedoch eher bescheidenen Erfolg gebracht. Bald nach der Übernahme flog der deutsche Trainer Thomas Tuchel. Es war die sichtbare Spitze der riesigen Umwälzungen an der Stamford Bridge, die auch vor der "mächtigsten Frau im Fußball" nicht Halt machte. Marina Granovskaia bekam einen goldenen Handschlag, nahm über 22 Millionen Euro und verließ die Blues. Sie hatte den Verein über Jahre geprägt, war das Gesicht für die Strategie, die Chelsea erst 2021 den Champion-League-Sieg brachte. Abramowitsch wusste, dass er mit seinem Geld nicht nur Spieler, sondern auch Wissen kaufen musste.
Boehly, der nach dem Sieg über den BVB auf seine sonst obligatorische Sonnenbrille verzichtete, übernahm den Klub mit erratischer Hektik, wollte alles machen. Es kam beinahe einem Wunder gleich, dass er nach dem Tuchel-Rauswurf auf den Trainerjob verzichtete. Aber immerhin versuchte er, den Kader nach seinen Vorstellungen zu bauen. Bislang lässt sich sagen, dass es ihm nicht gelungen ist. Dabei will er, behauptet er, doch nur die Fans glücklich machen. Und wer Fans glücklich machen will, kauft ihnen neues Spielzeug, kauft ihnen neue Spieler. So funktioniert Fußball jedoch nicht. Die Gesamtbilanz liest sich desaströs. Das Transferminus in dieser Saison beläuft sich auf über 500 Millionen Euro. Allein im Winter zahlten die Blues irrwitzige 330 Millionen Euro an Ablöse und Leihgebühren. Das ist beinahe so viel Geld, wie Lars Windhorst bei Hertha BSC verbrannte.
Kein internationaler Fußball in der nächsten Saison?
Doch die neuformierte Mannschaft hängt in der Liga im Mittelmaß fest, ist aus allen nationalen Wettbewerben geflogen und hat sich im Spiel gegen Borussia Dortmund nun wohl nur eine kurze Atempause verschafft. Erstmals seit der Saison 2016/2017 sieht es an der Stamford Bridge nach einer Saison ohne internationalen Fußball aus. Neben den sportlichen Konsequenzen hat der Klub sich damit auch einen enormen Imageschaden zugefügt. Ein höchst unglücklicher Zeitpunkt bei der laufenden Suche nach einem neuen Trikotsponsor, von dem man sich jährlich weit über 50 Millionen Euro versprochen hatte.
Zudem könnte Chelsea zusätzliches Ungemach drohen. All die Transfers mit den langfristigen Verträgen für Spieler wie Weltmeister Enzo Fernández oder das ukrainische Top-Talent Michailo Mudryk lassen die Gehaltskosten des riesigen Kaders weiter in den Londoner Himmel steigen. Bereits vor der Pandemie betrugen die jährlichen Gehaltskosten über 350 Millionen Euro, und dann kamen erst die Transfers der neuen Eigentümer. "Sollte Chelsea die Champions League verpassen, werden sie sicher auf der UEFA-Watchlist stehen", sagte der Fußball-Finanzexperte Kieran Maguire kürzlich in der "Times".
Der Sieg über Borussia Dortmund befeuerte die Hoffnung, dass sie, wie durch ein Wunder, auch in der kommenden Saison in der Königsklasse spielen werden. "Sie haben schon richtig gute Spieler eingekauft", sagte BVB-Trainer Edin Terzić nach dem Spiel, ohne das als Ausrede für seine Mannschaft anzubringen. Und den Fans an der Stamford Bridge, einem dieser aus der Zeit gefallenen Stadien Englands, war das ohnehin egal. Der nächste Schritt auf der Road to Istanbul, dem diesjährigen Finalort, war absolviert. Sie wedelten nach dem Sieg mit ihren Schals und sangen und tanzten auf den Tribünen zu "One Step Beyond" von Madness. Sie waren glücklich und mehr will Todd Boehly doch nicht. Der US-Milliardär nahm sich ein Bier und schlurfte gemeinsam mit dem Schweizer Milliardär Wyss los. Sie hatten es sich verdient.
Quelle: ntv.de