
Klimafreundlich zur EM 2024.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Heim-EM 2024 wird das erste große mitteleuropäische Fußball-Turnier nach der Corona-Pandemie. Turnierdirektor Philipp Lahm arbeitet dafür mit der Deutschen Bahn zusammen. Denn es geht ihm nicht nur um den Sport. Die Bahn hofft unterdessen, dass das Netz nicht zusammenbricht.
Montagmorgen. Berliner Hauptbahnhof. Untergeschoss. Gleis acht. Hier fuhr schon König Charles III. in Richtung Hamburg. Ganz hinten, Richtung Norden. Tageslicht kämpft gegen die Dunkelheit. Vor einem neuen ICE hat sich eine Gruppe eingefunden, die sich hier normalerweise wohl niemals treffen würde. Rasen liegt auf dem Betonboden des kalten Bahnhofsuntergeschosses. Philipp Lahm, Richard Lutz und Volker Wissing stehen zusammen, hinter ihnen der EM-Pokal. Worüber sie reden, ist unklar. Es dringen nur Wortfetzen aus der Gruppe heraus. Es geht um Fußball, Eintracht Frankfurt und Kevin Trapp. Und vielleicht auch an die guten Erinnerungen an das Sommermärchen 2006.
Denn im nächsten Jahr steht wieder ein großes Fußball-Turnier im eigenen Land an. Deshalb haben sich Lahm als Turnierdirektor der EM 2024, Wissing als Verkehrsminister und Lutz als Bahnchef an diesem Montag gemeinsam an Gleis acht, der hintersten Ecke im Keller des großen Berliner Hauptbahnhofs eingefunden. Dort verkünden sie ihre "nationale Partnerschaft" für das Turnier. Deutsche Bahn und die Veranstalter. Auf dem ICE steht: "Ein Team fürs Klima."
Die Europameisterschaft 2024 (14. Juni bis 14. Juli), sie soll "zur klimafreundlichsten aller Zeiten" werden, wie Bahnchef Lutz es formuliert. Für die Veranstalter sei die "Eisenbahn da eine logische Partnerin". "Denn welches Verkehrsmittel ist besser geeignet, viele Menschen nicht nur klimafreundlich, sondern auch zuverlässig und schnell an ihr Ziel zu bringen?", sagt er mit dem Wissen, dass im vergangenen Jahr nur 65 Prozent der Fernzüge ihr Ziel pünktlich erreichten. Das Netz ächzt auch in diesem Sommer. Es wird ein Belastungstest für die Deutsche Bahn, die direkt nach dem Abpfiff des Endspiels mit der Generalsanierung der Strecken beginnen wird. Los geht es dann mit der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim.
Keine Großbaustellen. Zumindest das. Dabei steht viel an in den nächsten Jahren. "Wir werden uns in der Infrastruktur in diesen vier Wochen ein Stück weit zurückhalten. Wir haben nun einmal eine knappe Infrastruktur und da soll ganz viel Verkehr gefahren werden", sagt Lutz im Gespräch mit ntv.de. "Es ist unsere größte Herausforderung. Die Menschen wollen ja Bahn fahren. Aber die Infrastruktur-Kapazität ist an der Belastungsgrenze und teilweise jenseits davon." Und gerade weil die Bahn die Flotte verstärken will, weil die Züge bereits in einem normalen Sommer selten pünktlich und meist übervoll durchs Land fahren, bleiben Restzweifel. Die Europameisterschaft ist auch für die Bahn eine riesige Herausforderung.
Und immer wieder: das Sommermärchen
Die Kooperation klingt dennoch vielversprechend. Bei Großveranstaltung verursachen die anreisenden Fans die meisten CO2-Emissionen. Dabei kann die Bahn helfen. Alle Ticketinhaber sollen deshalb klimafreundlich und ermäßigt mit dem Konzern zu den Spielorten reisen können. Wer eine Eintrittskarte für ein Spiel der EM besitzt, kann ermäßigte nationale DB-Fernverkehrstickets für die Hin- und Rückreise erwerben. Ticketbesitzer aus dem europäischen Ausland können für die Zeit einen ermäßigten Interrail-Pass kaufen. Die Fahrkarten kosten 29,90 Euro für die zweite und 39,90 Euro für die erste Klasse. Der Preis für den Interrail-Pass wird zur Feier des Turniers um 25 Prozent reduziert.
Die Bahn werde alles dafür tun, um genügend Kapazitäten bereitzustellen, erklärte Verkehrsminister Wissing. 56.000 Fans müssten bei den Spielen im Schnitt transportiert werden, dabei solle die Deutsche Bahn eine entscheidende Rolle spielen. Der FDP-Politiker führt das näher aus. Er spricht gerade vom Mobilitätskonzept der Bundesregierung. Da fährt auf dem Nebengleis der ICE 672 aus Wiesbaden nach Gesundbrunnen mit einer Minute Verspätung ab. Wissing kämpft anfangs noch gegen das Gekreische des Zuges an, er spricht lauter, verhaspelt sich dann aber doch. Der Zug gewinnt.
Erst als er vom Sommermärchen schwärmt, fängt Wissing sich wieder. Er sagt, er musste lächeln, als die Weltmeisterschaft 2006 angesprochen wurde: Er erinnert sich ans Public Viewing und besondere Momente mit Freunden. "Das ist doch etwas, was der Sport uns schenken kann." Auch im nächsten Jahr wünsche er allen Anreisenden eine gute Fahrt - "und ebenso tolle Erlebnisse, die in Erinnerung bleiben, wie beim Sommermärchen".
Lahm: "Da sind wir wieder Freunde der Welt geworden"
Auftritt Philipp Lahm, im Hintergrund fährt zwei Gleise weiter ein ICE nach Kiel ab. Er bedankt sich bei seinen Vorrednern und der Bahn. Auch er betont den Wunsch nach Nachhaltigkeit. Die EM-Gruppenphase wird in drei Clustern mit kurzen Wegen ausgetragen. Die DFB-Elf spielt ihre Partien deshalb im Süden - also Frankfurt am Main, Stuttgart und München. Doch er ist nicht gekommen, um nur über die Kooperation zu sprechen. Es geht ihm um mehr. Die EM soll eine Aufbruchsstimmung erzeugen, ein neues "Wir-Gefühl".
Lahm zieht Parallelen zum Sommermärchen. "Wir konnten uns zeigen und sind wieder Freunde der Welt geworden", sagt er. Deshalb freue man sich auch auf das Turnier im nächsten Jahr. Eine Sache scheint dabei ohnehin nicht mehr problematisch. "Das Wetter beim Sommermärchen hat auch noch gepasst", erinnert sich der ehemalige Weltklassespieler: "Das war zu der Zeit noch ungewöhnlich." Heute ist es das nicht mehr. Auch deswegen gibt es die Kooperation.
Die Welt hat in den vergangenen 17 Jahren einen außergewöhnlichen Ritt hingelegt. Sie ist mal wieder in Turbulenzen geraten. Pandemie, Krieg, Klimakatastrophe - nur drei Stichworte. Deutschland will im nächsten Sommer ein Angebot machen, wie die Welt sein könnte. Es ist nach den Turnieren in Russland, der verschobenen und umstrittenen paneuropäischen Euro 2020 im Sommer 2021 und der WM in Katar das erste richtige Turnier in der alten Fußball-Welt. Bis zur nächsten Fußball-Weltmeisterschaft in Europa werden noch etliche Jahre vergehen.
Auf der Suche nach der sozialen Nachhaltigkeit
Lahm greift alle Stichworte auf. Es geht ihm um mehr als nur diese Kooperation mit der Bahn. "Nachhaltigkeit ist ein breiter Begriff", sagt Lahm. "Ich glaube, es ist auch wichtig, dass die Menschen nach Krisenjahren, die wir hatten und in denen wir vielleicht immer noch stecken, wieder zusammenkommen und gemeinsam feiern." Auch eine "soziale Nachhaltigkeit" sei enorm wichtig. Bahnchef Lutz beginnt zu nicken. In den Coronajahren waren die Bahnen leer und pünktlich. Niemand fuhr irgendwo hin. Die Bundesliga-Spiele fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Sonst treffen sich an den Knotenpunkten in Hannover, in Dortmund oder in Frankfurt die durchs Land reisenden Fans. Auch das fiel weg.
Damals habe man gemerkt, sagt Lahm weiter, "wie wir alle getrennt worden sind und jeder vielleicht danach an das Sich mehr gedacht hat, als an das Wir". Bei einem solchen Großereignis komme ganz Europa zusammen und könne seine Werte "und wofür wir jahrzehntelang gearbeitet haben" feiern. "Das wieder zu erleben, dafür soll das Turnier auch stehen."
Seine Worte sollen Wärme und Zusammenhalt ausstrahlen. Der Kontrast zur Kulisse könnte nicht größer sein. Etwa hundert Meter weiter stehen ein Dutzend Reisende, die auf ein Autogramm von Lahm warten. Im Hintergrund erinnert eine weibliche Computerstimme in Dauerschleife daran, dass der ICE nach Frankfurt am Main demnächst abfahre. Und aus dem Grundrauschen sticht auch in der hintersten Ecke des Untergeschosses immer wieder das metallische Heulen der Züge hindurch.
Hauptsache, irgendwer trifft für die DFB-Elf
Lahm erklärt seine EM-Mission weiter. Immer wieder das Sommermärchen. Als Deutschland von sich überrascht war. Als Deutschland ein leichtes Land war. Als noch keine Rechtsaußenparteien die Nationalfarben endgültig gekapert hatten. Das Turnier sei etwas Besonderes gewesen. "Ich glaube, alle, die daran denken, kriegen wieder eine leichte Gänsehaut." Jede Bürgerin und jeder Bürger habe sich offen gezeigt, sozusagen zum Feiern bereit, schwärmt er.
Dort spricht nicht jemand, der nur ein Fußball-Turnier ausrichten möchte. Lahm kommt vom Sommermärchen im Anschluss wieder auf die EM im kommenden Jahr zurück. Es sei in der aktuellen Zeit "ganz wichtig, dass wir, dass Menschen zusammenkommen, und auch mal diskutieren, über unsere Werte", erklärt der Weltmeister von 2014. "Für was stehen wir eigentlich: Toleranz, FIFA, Offenheit?" Wenn er an den russischen Angriff auf die Ukraine denke, dann sei es "umso wichtiger, dass wir hier in Europa unsere freiheitliche Demokratie sozusagen verteidigen".
Und am Ende wird er doch noch einmal sportlich. Lahm war selbst derjenige, der 2006 mit seinem Treffer im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica die große Euphoriewelle lostrat. Er wird gefragt, welchem Spieler er sein Erbe zutrauen würde. Allen, die im Kader dabei sind, antwortet Lahm. "Wichtig ist, dass jemand bei der Nationalmannschaft trifft. Wer das ist, das ist mir egal." Dauert ja auch noch bis dahin. Vorher aber erstmal ins Kanzleramt. Nächster Termin am Mittwoch mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser. Dazu braucht es keinen Zug.
Quelle: ntv.de