Wilde Debatten schlagen um sich Wie wütend kann der FC Bayern werden?
12.12.2023, 08:05 Uhr
Thomas Müller hofft auf den Münchner Wut-Motor.
(Foto: dpa)
Der FC Bayern kassiert in der Bundesliga eine desaströse Niederlage - und schon entbrennen nach Wochen mit guten Ergebnissen die Diskussionen auf allen Ebenen. Wie reagieren die Münchner? Springt der "Wutmotor" an? Es steht eine Woche voller Wahrheiten an.
Trainer Thomas Tuchel gibt sich und dem Spielberichtsbogen die Schuld, Experten und Fans fühlen Ikone Thomas Müller gedemütigt und Lothar Matthäus knöpft sich Joshua Kimmich vor, der nicht mehr zu sehen ist. Weil der FC Bayern in der Fußball-Bundesliga von Eintracht Frankfurt in der Luft zerrissen worden ist (5:1), knallt es rund um den Rekordmeister wieder lauter und bunter als an Silvester. Dabei ist in Wahrheit kaum Schaden entstanden. In der Tabelle haben die Münchner lediglich einen Zähler auf Bayer Leverkusen verloren. Die Werkself holte den im mitreißenden Topspiel beim VfB Stuttgart (1:1). Aber so einfach ist die Lage in München eben nicht.
Denn 1:5 verliert man als FC Bayern nicht mal eben so. Ein 1:5 ist immer gleich ein Riesenthema, aber bitte bloß keine Krise! Ganz weit weg davon sei man, betonte Sportdirektor Christoph Freund. Und das gleich zwei Mal. Ein bisschen vehementer Klartext kann ja nicht schaden in einer Diskussion, die nach dem Debakel in alle Richtungen schlägt. Hat der FC Bayern ein Mentalitätsproblem? Hat der FC Bayern gar ein Führungsproblem? Und wenn ja, warum spielt die alte Führungsfigur Müller nicht (mehr)? Schon unter Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann wurde dieser Prozess unaufhaltsam eingeleitet (und setzt sich unter dem neuen Bundestrainer ja auch in der Nationalmannschaft fort). Oder warum spielt Müller immer nur dann, wenn es eigentlich nicht wichtig ist? Wie gegen Frankfurt, als er erst eingewechselt worden war, als es nichts mehr zu gewinnen gab.
Manchester wird zum Stresstest
Auf einer der größten Bühnen der Welt können die Münchner nun Antworten auf all diese Frage geben, die sie seit Samstag bisher nicht wirklich beantworten können. Aber die Wahrheit liegt ja eh auf dem Platz, dieses Mal auf jenem im Old Trafford, dem Theater der Träume. Vielleicht wird es ein Müller-Spiel? Nicht, weil es sportlich wieder um nicht mehr allzu viel geht, der erste Platz in der Vorrundengruppe der Champions League ist dem FC Bayern nicht mehr zu nehmen, sondern weil es wieder einmal um die Stimmung geht. Und niemand taugt mehr dafür, die guten Emotionen in die Mannschaft und die schlechte aus dem Verein zu treiben.
Und zumindest mangelt es nicht an einer gewissen Größe der Aufgabe. Denn für Manchester United, den seit dem Abgang von Kult- und Erfolgstrainer Sir Alex Ferguson im Jahr 2013 klappernden Giganten, geht es um alles. Als Letzter müssen die Red Devils gewinnen und darauf hoffen, dass es im parallelen Spiel zwischen Galatasaray Istanbul und dem FC Kopenhagen keinen Sieger gibt, nur dann bleibt United in der Königsklasse. Und selbst die Abbiegeoption Europa League ist nur sicher, wenn es einen eigenen Sieg gibt. Und so dient der Krisen-Riese aus England nicht nur als Motivation, es der Fußballwelt abermals zu beweisen, sondern auch als mahnendes Beispiel, wie es einem Ex-Giganten ergehen kann. Nichts ist selbstverständlich.
"Seit geraumer Zeit", sagte Müller über die bayerische Nemesis aus dem legendären Finale von 1999 (1:2), laufe United dem eigenen "Anspruch nur hinterher". Das abermals ernüchternde 0:3 gegen AFC Bournemouth war die elfte Niederlage bei 23 Saisonspielen, zum neunten Mal kassierten die Red Devils mindestens drei Gegentore. In der Liga treffen sie mit nur 7,4 Prozent ihrer Schüsse ins Tor - Negativrekord. United, schrieben die "Manchester Evening News", sei "seine eigene Parodie". Auch wenn Tabellenplatz sechs diese erschreckenden Zahlen noch einigermaßen kaschiert. Nichts ist selbstverständlich.
"Wir dachten, wir sind schon weiter"
Dabei hatten sie in München gedacht, dass es um bestimmte Selbstverständlichkeiten im eigenen Spiel deutlich bestellt sei, als nun widerlegt wurde. "Wir dachten, wir sind schon weiter. Aber wir sind eines Besseren belehrt worden auf sehr brutale Art und Weise", bekannte Tuchel. Es geht um Stabilität. Es geht um Führung. Und es geht um Mentalität. Zum dritten Mal in dieser Saison gaben die Münchner Stars Rätsel auf. Beim Supercup hatten sie sich von RB Leipzig blamieren lassen (0:3), im DFB-Pokal von Drittligist 1. FC Saarbrücken (1:2) und nun eben von der Eintracht aus Frankfurt, die zuvor alles andere als in einem berauschenden Zustand war.
Tuchel rätselte danach, "was genau im Argen lag". Spontan war ihm nur bewusst, dass ganz schnell alles besser laufen muss: "Wir können auf keinen Fall auf diesem Niveau weiterspielen." Tuchels erste Sofortmaßnahme lautet, "mit mehr Verbissenheit zu verteidigen". Dafür könnte es personelle Wechsel geben (müssen). Konrad Laimer und der endlich fitte Raphaël Guerreiro drängen für die wackligen Außenverteidiger Noussair Mazraoui und Alphonso Davies in die Mannschaft. Für den fehleranfälligen Innenblock Dayot Upamecano und Min-Jae Kim gibt es dagegen keine echten Alternativen. Leon Goretzka wäre eine, dann müssten aber Laimer oder Guerreiro im Mittelfeld an der Seite von Joshua Kimmich spielen, der weiter auf der Suche nach seiner besten Form ist.
Wie reagiert der FC Bayern nun? Springt der "Wutmotor" an, den Müller sich nach dem Debakel gewünscht hat? Schlagen die Münchner so gnadenlos zurück, wie in Dortmund, als die Pokalpleite mit der besten Saisonleistung weggewischt worden war? Die Antworten in dieser Woche, die am Sonntag mit dem Topspiel der Bundesliga gegen den furiosen VfB Stuttgart mit seinen Superstürmern Serhou Guirassy und Deniz Undav endet, werden viel darüber erzählen, wie ruhig das Weihnachtsfest wird und wie intensiv sich die Münchner im danach öffnenden Transferfenster engagieren müssen. Und welches Profil mögliche Neuzugänge haben müssen.
Wer geht als Führungskraft voran?
Klar scheint nach dem vergangenen Wochenende nur: Es braucht mehr Robustheit im Bayern-Spiel. "Wir hatten 22 kritische Ballverluste, eine absurd hohe Zahl", rechnete Tuchel vor dem Duell in Manchester noch einmal vor. Diese absurd hohe Zahl mündete in fünf Gegentore und die höchste Schlappe seiner Bayern-Amtszeit. Und sie lieferte Argumente für die seit Sommer dringend erwünschte "Holding Six". Immer noch geistert der Name Joao Palhina durch die Flure. Und auch in der Innenverteidigung drückt's mächtig, weil weder Min-jae Kim noch Dayot Upamecano die Rolle als Abwehrchef nachhaltig souverän ausfüllen. Ein Anführer, wie es David Alaba oder auch Jérôme Boateng einst waren, fehlt. Matthijs de Ligt war das bislang nicht, was womöglich auch an seinen vielen Verletzungen lag. Was wiederum zum nächsten Thema führt: Sobald sich jemand aus der Defensive verletzt, sind kreative Lösungen gefragt. Goretzka als Innenverteidiger war die prominenteste.
Drei Spiele stehen für den Rekordmeister noch an, mindestens die nächsten beiden stehen unter besonderer Beobachtung - ehe es zum Jahresabschluss noch zum Krisen-Klub VfL Wolfsburg mit Ex-Bayern-Coach Niko Kovac geht, der übrigens nach einer 1:5-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt in München entlassen worden war. Doch vor allem die nächsten beiden Spiele werden bei der Bewertung der Personallage bis ins Detail ausgeschlachtet werden. Wie viel Wehrhaftigkeit, wie viel Gegenwehr in dieser Mannschaft steckt, wird eine der Fragen bleiben. Wer geht nach dem Debakel aus Führungsspieler voran? Wer reißt die Mannschaft mit? Harry Kane wäre ein Kandidat. Nach seinem sensationellen Saisonstart ist es in den vergangenen Wochen etwas ruhiger um ihn geworden. Eine große Leistung in seiner Heimat würde dem Rekordmeister helfen, Debatten abzumoderieren.
Quelle: ntv.de