Redelings Nachspielzeit

Bei Anpfiff verschollen Als Schalkes Torwart auf der Toilette festsaß

Norbert Nigbur lebte die 1970er.

Norbert Nigbur lebte die 1970er.

(Foto: imago/Frinke)

Saison 1974/75: Die Bayern gehen in der Liga unter, Uli Hoeneß hintergeht die eigene Mannschaft, auf Schalke verhindern sie listig wie kurios den Transfer eines Sonnyboys und in Bochum fehlt nach Anpfiff der zweiten Halbzeit der gegnerische Keeper im Tor - aus delikaten Gründen!

Die Saison 1974/75 startete spektakulär. Gleich am ersten Spieltag gab es eine deutliche 6:0-Klatsche für die Bayern bei den Offenbacher Kickers. Was waren das noch für Zeiten? Dem drohenden Unheil einer katastrophalen Bundesligasaison begegnete der Bayern-Trainer Udo Lattek damals allerdings mit Humor: "Wir nehmen uns in diesem Jahr unsere Krise einfach früher!" Doch diese Krise hielt beständig an. In München war man zunehmend verwirrt. So verwirrt, dass Sepp Maier nach einem 4:0 gegen Fortuna Düsseldorf plötzlich siegesgewiss verkündete: "Wir werden auch diesmal wieder Deutscher Meister."

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Die Fußballfans rieben sich verwundert die Augen, und die Bundesligaoffiziellen kontrollierten ihre Ohren: Sepp Maier sagte diesen Satz nach dem 16. Spieltag. Bayern stand zu diesem Zeitpunkt auf dem elften Tabellenplatz, hatte gerade einmal erst 16 Punkte geholt und lag sieben Zähler hinter dem Spitzenreiter Hertha BSC. Und so reichte es am Ende tatsächlich auch nur zu einem enttäuschenden zehnten Tabellenrang. Doch das berühmt-berüchtigte Bayern-Sieger-Gen - gepaart mit dem in dieser Situation arrogant wirkenden "Mia san mia"-Selbstverständnis - prägte sich langsam und deutlich heraus, wie man an Maiers Spruch erkennen konnte. Über die Jahre sollte diese Mentalität schließlich legendär werden.

Betrug an der eigenen Mannschaft

Für viele hatte die Krise beim FC Bayern München einen Namen: Uli Hoeneß. "Es geht nicht an, dass jeder tut, was er will. Das sind bedenkliche Zerfallserscheinungen", sagte Manager Robert Schwan, nachdem Uli Hoeneß unentschuldigt beim Training des FC Bayern fehlte und deshalb auch am Samstag bei der Begegnung des 15. Spieltags in Bochum nicht dabei war. Doch wo ist Hoeneß stattdessen gewesen? Der Brief eines Bayern-Anhängers löste das Rätsel. Während man sich in München zum Training einfand, schrieb sich der geschäftstüchtige Bayern-Star die Finger in Frankfurt wund.

Drei Autogrammstunden hintereinander, wie ein Zeitungsinserat schwarz auf weiß bewies. Ein Betrug an der eigenen Mannschaft. Folgerichtig unterlag der FC Bayern beim VfL schließlich deutlich mit 3:0. Kurioses Detail: Erst kurz zuvor hat Franz Beckenbauer sehr weitsichtig von seinen Mitspielern gefordert: "Wir müssen endlich einmal wieder nur für den Fußball leben. Dann bleibt keine Zeit für Autogrammstunden mehr. Die verlangen 500 Mark, machen ihre ganze Freizeit kaputt und kommen dann noch zu spät zum Training." Ob Hoeneß da absichtlich weggehört hatte?

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Schalke lässt über Spieler abstimmen

Seltsames tat sich in dieser Spielzeit aber auch auf Schalke. Die Königsblauen wollten den Fans einen echten Kracher präsentieren und hatten sich dafür nach der Weltmeisterschaft im eigenen Land den blonden Verteidiger Marinho aus Brasilien ausgeguckt. Ein echter Lebemann war das und einer fürs Auge. Die königsblauen Fußballdamen waren von dem Sonnyboy schon ganz begeistert. Doch noch war er nicht verpflichtet. Da sein Transfer nicht ganz billig war und die Schalker wie immer sehr knapp bei Kasse waren, sollten die Anhänger über den Wechsel selbst entscheiden. Beim Spiel gegen die Bayern machten also 70.000 Fans auf einem Stimmzettel ihr Kreuzchen. Man stellte Urnen an den Ausgängen auf, und nachdem alle Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben hatten, fuhr man die Behälter auf die klubeigene Geschäftsstelle.

Doch Schalke wäre nicht Schalke, wenn man nun in aller Seelenruhe die Zettel gezählt und anschließend das Ergebnis vor der versammelten Presse bekannt gegeben hätte. Nein. Noch bevor überhaupt irgendjemand die Wahlzettel zu Gesicht bekommen hatte, waren diese bereits mitsamt der Urnen von der Müllabfuhr abgeholt worden. Das erfuhr natürlich zunächst niemand. Da der Transfer jedoch ohnehin die Schalker Finanzen überstiegen hätte, verkündeten Charly Neumann und Günter Siebert unisono mit gespielter Unschuldsmiene: "Mit knapper Mehrheit wurde Marinho von den Zuschauern abgelehnt." Später gab Siebert tatsächlich einmal zu, dass der Marinho-Transfer für Schalke eine Nummer zu groß gewesen wäre: "Diesmal bin ich am Mond hängen geblieben." Und auch für Marinho war die Entscheidung nicht die schlechteste, wie ein deutscher Freund, der 200 Fan-Briefe pro Monat aus Europa für den Brasilianer übersetzte und beantwortete, erklärte: "Francisco sollte in Brasilien bleiben, denn in Europa würde er es vor lauter Heimweh keine vier Monate aushalten."

Nigbur von der Polizei gestoppt

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Und dann war da noch der vierte Spieltag der Saison - bei der sich eine völlig einmalige Situation in nun bald 60 Jahren Fußball-Bundesliga abspielte. Bei der Partie zwischen dem VfL Bochum gegen den FC Schalke 04 kam es vor 29.800 Zuschauern auf der Baustelle Ruhrstadion zu folgender lustigen Geschichte. VfL-Torjäger Jupp Kaczor erinnert sich: "Wir hatten nach der Halbzeit Anstoß, ich krieg den Ball zugespielt, und auf einmal ein Aufschrei im Stadion, als wenn ich ein Tor gemacht hätte. Ich hab gedacht, die freuen sich, weil ich den Ball gut gestoppt hab. Ich spielte den Knicker weiter, und da sah ich aus den Augenwinkeln, wie der Nigbur aufs Feld gerannt kam und in sein Tor hetzte. Hinterher haben wir erfahren, dass sie ihn in der Toilette eingeschlossen hatten."

Aus der Sicht von Norbert Nigbur hörte sich die Story so an: "In der Pause ging ich auf die Toilette, wo ich mich relativ lange aufhielt. Als ich zurückkam, waren die Mannschaften schon auf dem Feld. Rolf Rüssmann stand völlig entsetzt im Tor, weil der Schiedsrichter schon angepfiffen hatte. Als ich alleine aufs Feld wollte, wurde ich von einem Polizisten angehalten: 'Hier kommt niemand durch!' Erst als ich ihm klarmachte, dass ich der Schalker Torhüter wäre, ließ er mich mit einem skeptischen Blick passieren. Die Leute haben furchtbar gelacht, und der Schiedsrichter machte sich hinterher die größten Vorwürfe." Übrigens: Der Mann in Schwarz war an diesem Tage ein gewisser Volker Roth. Später einmal sollte er das hohe Amt des DFB-Schiedsrichter-Obmanns bekleiden.

Quelle: ntv.de

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