
Vor Jahren hat Thomas Tuchels Medienschelte funktioniert, und diesmal?
(Foto: IMAGO/Jan Huebner)
Die Attacke von Thomas Tuchel am Samstagabend auf Didi Hamann und Lothar Matthäus sorgt für Furore. Nun wird spekuliert, wieso der Bayern-Trainer so sehr aus der Haut fuhr. Doch eigentlich gibt es dafür eine recht einfache Erklärung - vor allem mit Blick auf seine Biografie.
Es war nach dem dritten Spieltag der Saison 2012/13, als Thomas Tuchel im beschaulichen Mainz einen kleinen Kreis von Journalisten frontal anging. Gerade hatte seine Mannschaft in München verloren und stand mit nur einem Punkt nach drei Partien ziemlich trostlos da. Für Thomas Tuchel der Moment, um einige Dinge geradezurücken, denn in seiner Wahrnehmung hatten die Medien nicht unwesentlich Schuld daran, dass sein Team so schlecht in der Tabelle dastand.
Die Journalisten hätten eine völlig falsche Erwartungshaltung geweckt. Nun lag es an ihm, mal ordentlich Tacheles zu reden - mit den Menschen, die seiner Meinung nach, die Hauptschuldigen an seiner momentanen persönlich so schlechten Situation waren. Nach einer Stunde Frontalangriff schloss Tuchel wieder deutlich entspannter mit den Worten: "Ich sehe hier Kopfschütteln, Augenbrauen hochgehen. Ich sage nur meine Meinung, ich dachte, dass Sie das interessiert!"
Im Grunde konnte die Attacke des Bayern-Trainers auf die beiden TV-Experten Didi Hamann und Lothar Matthäus in den vergangenen Tagen also niemanden wirklich überraschen. Solche Ausbrüche gehören eben zur Vita des Mannes, den Wegbegleiter gerne als cholerisch veranlagt und nachtragend bezeichnen, dazu. Dennoch müssen Tuchels verbale Angriffe auf Hamann und Matthäus im speziellen und die Medien im Allgemeinen natürlich hinterfragt werden. Denn Zeitpunkt und Intensität überraschten dann doch nicht nur die Fußballfans - die übrigens in nicht unerheblicher Zahl Tuchels Attacken als starkes und richtiges Zeichen feiern - sondern auch langjährige Beobachter des Trainers des Rekordmeisters. Wieso ausgerechnet jetzt und warum in dieser Schärfe und Deutlichkeit, fragen sich viele?
Tuchel: "Ich bin auch sehr traurig, sehr wütend"
Die Vermutungen und Mutmaßungen sind vielfältig, doch wahrscheinlich liegt der Grund für Tuchels Ausbrüche viel naheliegender, als man zuerst denken mag. Ähnlich wie im Jahr 2012 fühlt sich Thomas Tuchel wohl in seiner Arbeit aktuell von außen behindert. Vorletzte Woche Freitag vor der Partie gegen den SV Darmstadt 98 hatte der Bayern-Trainer noch versucht, die Sache locker aus der Welt zu schaffen, als er zu Hamanns öffentlich geäußerter Kritik meinte: "Didi läuft gerade bisschen aus dem Ruder, habe ich das Gefühl und ist auf der anderen Seite ganz sicher nicht wichtig genug, dass wir uns drum kümmern, reagieren oder uns ärgern lassen." Und der 8:0-Sieg gegen die Lilien, so glaubte Tuchel offenbar, sollte die Angelegenheit doch eigentlich weiter beruhigt haben. Doch dann kam das DFB-Pokalspiel in Saarbrücken - und das Aus in der 96. Minute.
- Ben Redelings ist ein Bestseller-Autor und Komödiant aus dem Ruhrgebiet.
Jüngst ist das Buch "Ein Tor würde dem Spiel guttun. Das ultimative Buch der Fußball-Wahrheiten" frisch in einer aktualisierten und erweiterten Neuauflage erschienen!
Mit seinen Fußballprogrammen ist er deutschlandweit unterwegs. Infos & Termine auf www.scudetto.de.
Am denkwürdigen Samstagabend zeigte sich Thomas Tuchel vor der Partie bei Borussia Dortmund nur in einem Interview von seiner professionell-ruhigen Seite. Vor der Begegnung befragte ihn ein junger Nachwuchs-Reporter. Und der sprach ihn auch auf die Niederlage im Pokal an. Tuchel holte aus und sagte Sätze, die in der Einordnung, für die an diesem Abend noch folgenden Geschehnisse, sehr wichtig sind. Denn Tuchel meinte: "Ja, ich bin auch sehr traurig, sehr wütend. Jede Niederlage macht mich traurig. Ich kann nicht schlafen, schlafe sehr schlecht, sehr wenig." Und: "Es war unsere erste Niederlage in der Saison, die tut sehr weh, weil sie im Pokal war."
Eigentlich hatte Thomas Tuchel die Sache mit Hamann und Matthäus aussitzen wollen, doch dann kam ihm die Geschichte mit dem Pokal-Aus dazwischen. Der Bayern-Trainer war wütend. Und aller Wahrscheinlichkeit nach auch in nicht unwesentlichem Maße auf sich selbst. Seine Strategie für das Spiel gegen Saarbrücken war nicht aufgegangen - doch das sagte er nach der Partie nicht. Er sprach stattdessen davon, dass man "gemeinsam gewinne und gemeinsam verliere". Und dann sagte er noch, dass es sicherlich nicht die letzte Niederlage in der Karriere gewesen sei, "auch wenn wir alle hassen zu verlieren". Doch die Wut, die Tuchel spürte, kanalisierte sich nur zwei Tage später in Richtung von Hamann und Matthäus, als er über sie in einem vermeintlich launigen Beitrag als Retourkutsche meinte: "Ich sehe bei den beiden auch keine Weiterentwicklung."
In Mainz hat es damals funktioniert und jetzt?
Es ist und war das gleiche Strickmuster wie knapp elf Jahre zuvor. Der Schuldige für die Misere war nicht er - es waren wieder einmal die Medien, die in Tuchels Arbeit von außen eingegriffen hatten. Dass die Frontalattacke anders als damals im beschaulichen Mainz dieses Mal medial, um es vorsichtig auszudrücken, eine andere Sprengkraft hatte, wird Tuchel geahnt haben - aber die Konsequenzen, die sein Angriff auf Didi Hamann und Lothar Matthäus dauerhaft haben wird, kann und konnte Thomas Tuchel nicht absehen.
In Mainz hat die Medienschelte damals funktioniert. Es hat die Mannschaft und den Trainer nur noch enger zusammengeschweißt. Ob das auch dieses Mal beim großen Rekordmeister und der völlig anderen Medienwelt in München und überregional so klappen wird, bleibt abzuwarten. Denn wie Stefan Effenberg richtig meinte, "beruhigt und bereinigt" ist nach diesem Wochenende erst einmal überhaupt nichts. Ganz im Gegenteil. Vermutlich geht das Ganze jetzt munter in die nächste Runde. Und so könnte das groteske und so leicht durchschaubare Ablenkungsmanöver des Thomas Tuchel schlussendlich nach hinten losgehen. Es sei denn, der FC Bayern gewinnt ab sofort jedes Spiel. Der Trainer des Rekordmeisters hätte sicherlich auch nichts dagegen, in Zukunft ruhig und ausdauernd schlafen zu können.
Quelle: ntv.de