Redelings Nachspielzeit

In nur einer Woche ab ins Chaos Als Schalke vor dem Fall in die Amateurliga stand

Eichberg und Assauer steckten 1993 knietief in der Krise. Nur einer blieb beim Verein.

Eichberg und Assauer steckten 1993 knietief in der Krise. Nur einer blieb beim Verein.

(Foto: imago images/Passage)

Es ist genau 30 Jahre her, als der FC Schalke 04 vor scheinbar unlösbaren Problemen steht - genau wie heute. Tabellenletzter in der Liga, ein neuer Trainer, ein überforderter Vorstand und so klamme Kassen, dass bei einem Abstieg sogar der Sturz in die Amateurliga droht.

Es war eine Woche zum Vergessen, die der FC Schalke 04 vor 30 Jahren miterleben musste - und sie trieb den Klub in ein Chaos. Für einige Wochen und Monate war nicht absehbar, wohin es den Verein treiben würde. Selbst ein Absturz in die Amateurliga Westfalen stand aufgrund der immensen Schalker Schulden im Raum. Dass diese Woche im Nachhinein der Start zur Wiederbelebung der königsblauen Träume werden sollte, konnte in diesen dramatischen Tagen im Oktober 1993 noch niemand auch nur erahnen.

Alles begann mit einer Heimniederlage gegen den SC Freiburg und dem Fall ans Tabellenende der Fußball-Bundesliga. Schalkes damaliger Trainer Helmut Schulte war nach diesem erneuten sportlichen Offenbarungseid nicht mehr zu halten. Doch die Fans waren nicht nur stinksauer auf den Trainer, sie forderten auch Konsequenzen auf der Position des Managers. Knapp sechs Monate war Rudi Assauer damals erst wieder im Amt, die Wut der Schalker auf ihn war bereits groß. Die Fans erinnerten sich an Assauers erste Amtszeit und hätten es gerne gesehen, wenn der Manager gemeinsam mit dem Trainer den Stuhl geräumt hätte. Kurzfristig kam es nach der Partie gegen Freiburg sogar zu Handgreiflichkeiten gegenüber Assauer - doch Schalkes lebendes Maskottchen, Charly Neumann, konnte die Anhänger erst einmal beruhigen.

"Ja, ich habe gelogen!"

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In seiner Not fragte der Manager die eigenen Spieler, ob sie als neuen Trainer Jörg Berger haben wollten. Der 1979 aus der DDR geflüchtete Coach war damals erst im Februar in Köln entlassen worden und hatte bereits mit Assauer Kontakt aufgenommen. Doch als ihn live im TV der "ranissimo"-Moderator Jörg Wontorra auf diese Verbindung ansprach, dementierte Berger. Eine Lüge, die dem Trainer noch lange nachhängen sollte, denn Wontorra fasste die Aussage für die Zuschauer in einem Satz zusammen: "Berger hat geschworen, dass er nicht Schultes Nachfolger wird."

Während die Spieler gegen ihren Ex-Coach nachtraten ("Er hat mich behandelt wie das letzte Arschloch. Gut, dass er weg ist", Uwe Scherr), schrieb Schulte zum Abschied noch nette Worte an die Tafel in der Trainerkabine: "Lieber Jörg! Viel Glück meinem Nachfolger. Dein Vorgänger!". Und Berger? Der machte die ganze Geschichte seines falschen Schwurs nur noch schlimmer, indem er behauptete, das Ganze nie so gesagt zu haben. Schließlich knickte er aber ein und gestand: "Ja, ich habe gelogen!" Das Drumherum seines Starts auf Schalke hätte besser laufen können, doch das ging in diesen Katastrophentagen im Herbst 1993 erst einmal unter. Denn noch war die Woche schließlich nicht zu Ende.

Lehmanns legendäre S-Bahn-Fahrt

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Nur drei Tagen nach seiner Verpflichtung kassierte der neue Trainer bei Bayer Leverkusen in seinem ersten Spiel eine denkwürdige Klatsche. Mit 1:5 ging Schalke unter, doch das Sahnehäubchen auf die Geschichte zu dieser Partie lieferte der spätere Nationalkeeper Jens Lehmann. Seine legendäre Fahrt mit der S-Bahn nach seiner Auswechslung zur Halbzeit ist in die Historie der Fußball-Bundesliga eingegangen. Weinend habe es Lehmann nach dieser Demütigung alleine in der Kabine nicht mehr ausgehalten und so war er - ohne Rücksprache zu halten -, einfach aus dem Haberlandstadion geflohen. Anders hingegen die Schalke-Fans: Sie intonierten noch lange nach Spielschluss mit einer gehörigen Portion Zynismus den alten Klassiker "So ein Tag, so wunderschön wie heute." Man könnte denken, schlimmer hätte es nun nicht mehr kommen können - doch weit gefehlt.

Den Schlusspunkt hinter diese dramatische Woche setzte der langjährige Präsident Günter Eichberg. Er trat ausgerechnet in diesen schlimmen Stunden von seiner Verpflichtung den eigenen Anhängern gegenüber zurück. Der "Sonnenkönig", wie er genannt wurde, hatte Schalke bei seinem Amtsantritt im Januar 1989 kurz vor dem endgültigen finanziellen Kollaps gerettet, doch nun, knapp viereinhalb Jahre später, war die Situation noch aussichtsloser als damals. In all den Jahren hatte Eichberg nicht nur großzügig mit dem eigentlich nicht vorhandenen Geld hantiert, sondern auch Bürgschaften für Schalke übernommen, die er selbst, wegen Problemen in seinem Klinikgeschäft, nicht mehr bedienen konnte. Für den S04 bedeutete das: Wenn nicht schnellstmöglich die finanzielle Lage gebessert werden würde, hätte ein Abstieg eine klare Konsequenz - Lizenzentzug und Zwangsabstieg in die Oberliga Westfalen. Kein Wunder, dass eine große deutsche Sportillustrierte damals die Frage aller Fragen stellte: "Gibt es bald kein Schalke mehr?"

Bergers Angst-Taktik funktioniert für Geraerts nicht

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Heute wissen wir, dass der FC Schalke 04 gestärkt aus diesen schwierigen Tagen hervorgetreten ist. Und das lag zuallererst einmal an der sportlichen Situation, denn auch wenn die Königsblauen nach dem 15. Spieltag immer noch Tabellenletzter waren - Stück für Stück ging es unter dem neuen Trainer aufwärts. Der damalige 3:1-Sieg über den VfB Leipzig setzte bei den Schalke-Profis endlich wieder positive Energien frei. Besonders der Doppeltorschütze Dieter Eckstein wirkte gelöst. Lachend stand er vor der Kabine und zog erst einmal genüsslich an einer Zigarette: "Jetzt meckert wenigstens keiner, weil der Trainer selbst raucht!"

Mit leuchtenden Augen erzählte er von den besonderen Motivationspraktiken seines neuen Coachs. Berger versuche es bei ihnen mit dem Prinzip Angst, wie Eckstein berichtete: "Er hat uns erzählt, wie hoch die Arbeitslosenquote im Revier ist, dass ein Teil der Arbeitslosen immer noch das Geld zusammenkratzt, um uns spielen zu sehen. 588,60 Mark bekommt ein kinderloser Arbeitsloser als Höchstsatz in der Woche. Denkt mal dran: Auch einige von euch können am Ende der Saison auf der Straße stehen." Offensichtlich hat diese Methode damals gewirkt. Schalkes aktueller Trainer Karel Geraerts wird sich allerdings etwas anderes überlegen müssen, um seine Spieler endlich wieder in die Spur zu bekommen.

Quelle: ntv.de

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