
Heute sehen sie anders aus: Falko Götz und Dirk Schlegel.
(Foto: imago sportfotodienst)
Vor vierzig Jahren nehmen die beiden DDR-Nachwuchsstars Falko Götz und Dirk Schlegel allen Mut zusammen und nutzen eine Chance zur Flucht. Sie haben Glück und können der Stasi entwischen. Doch erst im Nachhinein wird ihnen bewusst, welch dramatischen Folgen ihre Flucht hätte haben können.
"Heute kann ich nur staunen über diesen jugendlichen Leichtsinn - oder den Mut." Vierzig Jahre nach seiner spektakulären Flucht zusammen mit seinem Teamkollegen Dirk Schlegel dämmert es Falko Götz von Zeit zu Zeit, was für ein Glück die beiden damals im Herbst 1983 hatten. "Die Folgen - oder was bei der Flucht hätte passieren können - kriegt man erst im Nachgang mit, mit ein bisschen mehr Lebenserfahrung", hat der frühere DDR-Auswahlspieler und spätere Bundesligaprofi und -Trainer zu seinem 60. Geburtstag dem "Kicker" erzählt - und nachdenklich betont: "Ich habe schon bisweilen im Kopf, was dabei damals auch hätte schiefgehen können."
Alles begann vor vierzig Jahren am Vormittag des 2. November 1983, als Jürgen Bogs, der Coach des BFC Dynamo, seiner Mannschaft in Belgrad noch eine halbe Stunde zur freien Verfügung mitten im Shopping-Herz der jugoslawischen Hauptstadt gegeben hatte - natürlich unter den gestrengen Augen der Mitreisenden aus der DDR. Doch den beiden jungen Spielern Falko Götz und Dirk Schlegel gelang es in einem unbeobachteten Moment den Aufpassern der Stasi zu entwischen.
Durch den Hinterausgang eines Ladens rannten sie die ersten Schritte der Freiheit entgegen. Wenige Meter um die Ecke drückten sie einem jugoslawischen Taxifahrer in Panik und nassgeschwitzt zwanzig West-Mark in die Hand. Er solle sie auf dem schnellsten Wege zur Botschaft der Bundesrepublik bringen, sagten sie ihm. Das Geld nahm der Mann gerne - denn die Fahrt dauerte kaum mehr als drei Minuten. Dann waren Götz und Schlegel fürs Erste in Sicherheit.
In Trainingshosen nach München
Doch die folgenden vierundzwanzig Stunden hatten es noch einmal in sich. Die Botschaft ließ die beiden noch am Nachmittag ins knapp vierhundert Kilometer entfernte Zagreb fahren - nur raus aus Belgrad. Die Diplomaten nutzten die ersten Momente der Ungewissheit und Verwirrung bei den Offiziellen des BFC Dynamo, um Falko Götz und Dirk Schlegel aus der unmittelbaren Nähe zur Mannschaft und möglichst weit wegzubringen. Dem Team tischten die BFC-Funktionäre währenddessen an diesem Nachmittag ein Märchen auf: Götz und Schlegel seien in Polizeigewahrsam, weil sie beim Versuch des Ladendiebstahls erwischt worden seien. Irgendwann in diesen intensiven Stunden rückte schließlich das Spiel am Abend im UEFA-Pokal gegen Partizan immer mehr in den Fokus. Verzweifelt versuchte man auf Seiten der Berliner, zu einem Stück Normalität zurückzukehren.
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In Zagreb erhielten Falko Götz und Dirk Schlegel neue Papiere. Später an der Grenze zu Österreich sollten sie den Beamten erzählen, sie seien ausgeraubt worden. Komplett. Das hier seien Ersatzdokumente der Botschaft. Natürlich standen auf diesen Papieren nicht die echten Namen von Götz und Schlegel. Und so saßen die beiden, während die Partie in Belgrad lief, nervös in einem Auto nach Ljubljana. Dort sollte um Mitternacht ein Nachtzug Richtung Österreich starten.
Und tatsächlich, es gelang: Die beiden Männer in Trainingshosen erreichten am nächsten Vormittag München. Die Flucht war geglückt. Dass ihre Entscheidung, so schnell wie möglich Jugoslawien zu verlassen, richtig war, offenbarte sich nur wenig später den beiden beim Blick auf die Auslage eines Kiosks. Auf den Titelseiten der Zeitungen konnten Götz und Schlegel sich selber sehen. Dazu prangte in dicken Lettern die Schlagzeile: "DDR-Spieler geflüchtet!"
"Es hängt alles irgendwo zusammen"
Falko Götz war zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre jung, Dirk Schlegel nur ein Jahr älter. Und beide Spieler hatten Glück. Über Jörg Berger, der selbst erst vier Jahre zuvor geflohen war, gelangten sie zu Bayer Leverkusen. Fünf Jahre später gewann Falko Götz mit Bayer das Finale im UEFA-Pokal gegen Espanyol Barcelona.
Der Trainer, der die beiden ehemaligen Spieler des BFC Dynamo im Winter 1983 in Leverkusen in Empfang nahm, hieß Dettmar Cramer. Der erste Spieler, der nach der Wende 1989 auf normalen, legalem Wege in die Bundesliga wechselte, war Andreas Thom. Er kam damals vom BFC Dynamo. Dort hatte er unter seinem Trainer Jürgen Bogs zuvor fünfmal die Meisterschaft gewonnen. Nun ging er, natürlich, zu Bayer Leverkusen. Das erste Spiel, das Andreas Thom für seinen früheren Klub aus der DDR von Beginn an absolvierte, machte er am 2. November 1983.
Der Mann aus Rüdersdorf bei Berlin war an diesem Tage in die Mannschaft gerutscht, weil zwei Teammitglieder am Vormittag beim Bummel durch Belgrad ihre Chance zur Flucht genutzt hatten. Auch Andreas Thom nutzte seine Chance. Dynamo erreichte an diesem Abend die nächste Runde im UEFA-Pokal und fortan war der gerade erst 18 Jahre jung gewordene Stürmer nicht mehr aus der Mannschaft des BFC wegzudenken. Dettmar Cramer, der erste Trainer von Falko Götz und Dirk Schlegel in der BRD, hat einmal so originell wie treffend gemeint: "Es hängt alles irgendwo zusammen. Sie können sich am Hintern ein Haar ausreißen, dann tränt das Auge." Ein wahrer Satz!
Im Rückblick sagt Falko Götz über den einschneidenden Tag vor vierzig Jahren in seinem Leben: "Diese Entscheidung zu treffen, sie durchzuziehen und die Chance in der Bundesrepublik dann genutzt zu haben, ist ein ganz wichtiger Punkt in meinem Leben. Ich wollte unbedingt in der Bundesliga spielen, das war in meinem Kopf fest drin." Und genau das hat Falko Götz geschafft. Sein jugendlicher Mut wurde belohnt - auch wenn er damals die Folgen noch nicht annähernd hat absehen können.
Quelle: ntv.de