Auf Olympia folgen Depressionen Die große Leere nach dem Spitzen-Wettkampf
13.08.2024, 11:24 Uhr
Für viele Sportlerinnen und Sportler sind Depressionen nach Olympia weiterhin ein Tabu-Thema, so Psychologin Marion Sulprizio.
(Foto: IMAGO/Sven Simon)
Die Olympischen Spiele in Paris sind vorbei. Doch für viele Athletinnen und Athleten beginnt damit eine schwere Zeit. Seit Michael Phelps ist das Problem der Post-Olympia-Depression mehr in den Fokus gerückt. Auch deutsche Sport-Größen sprechen über ihre Erfahrungen.
Die olympische Flamme ist erloschen. Emotionale Tage voller Höhen oder Tiefen liegen hinter Sportlerinnen und Sportlern. Teilweise haben sie jahrelang auf diesen sportlichen Höhepunkt hingearbeitet, doch was kommt jetzt?
Die Rückkehr in den Alltag ist nach den famosen Frankreich-Spielen eine anspruchsvolle Herausforderung. Viele Athletinnen und Athleten erleben dabei eine große Leere. Schon vor Jahren rückte Rekord-Olympiasieger Michael Phelps das Thema der Post-Olympic-Depression in den Fokus. Der 23-malige Goldmedaillengewinner aus den USA verfiel nach den vier triumphalen Spielen stets in Phasen tiefer Depressionen.
Ein Eisbergmodell
Zwar reden immer mehr über ihre Leiden, aber die Dunkelziffer ist hoch. "Es ist das berühmte Eisbergmodell. Man sieht ein paar Leute, die darüber sprechen, aber den größeren Teil sieht man nicht", sagte Psychologin Marion Sulprizio. "Das Thema der Post-Olympic-Depression ist für viele Sportler und Sportlerinnen ein Tabu-Thema. Aber das ist bei vielen psychischen Erkrankungen der Fall. Die Sorge vor einer Stigmatisierung ist groß."
Australische Forschende berichteten vor drei Jahren, dass Post-Olympic-Depressionen keine Seltenheit sind. In strukturierten Interviews erklärten Athletinnen und Athleten ihnen, dass sie sich in der ersten Zeit nach Olympia häufig deprimiert und einsam fühlten. Sie vermissten das Team und sahen sich plötzlich mit viel freier, ungeplanter Zeit konfrontiert.
Britta Steffens "kleines post-olympisches Tief"
"Ich kenne viele Sportlerinnen und Sportler, die nach Olympischen Spielen in ein Loch gefallen sind", sagte Britta Steffen, Doppel-Olympiasiegerin von 2008. "Ich hatte das Glück, dass ich mir frühzeitig die Unterstützung von Dr. Friedrike Janofske als Mentaltrainerin gesucht habe. Wir haben gemeinsam immer an neuen Zielen gearbeitet, an einem neuen Fokus. Ich habe mich immer auf die Zeit nach Olympia gefreut, weil ich dann mehr Zeit für das Studium hatte. Das war 2008 nach Peking und 2012 nach London so."
Aber auch Steffen erlebte harte Stunden. "Ich selbst habe eine kleine Depression nach den Olympischen Spielen 2004 in Athen erlebt. Das waren meine zweiten Olympischen Spiele und die waren total verkorkst", erinnert sich die 40-Jährige. Angeschlagen, konnte sie nicht die angestrebten Leistungen bringen. "Nach meiner Rückkehr habe ich gezweifelt und überlegt: Willst du das noch ein drittes Mal machen und bei Olympia hinterher schwimmen? Das war vielleicht ein kleines post-olympisches Tief." Sie machte weiter - und feierte Olympiasiege, WM-Titel, Weltrekorde.
Olympia-Routinier: Neulinge sind mehr gefährdet

Ulrich Knapp ist der Trainer der deutschen Weitspringerin Malaika Mihambo, die in Paris die Silbermedaille gewann.
(Foto: picture alliance / Team D / picture-alliance | Frank May)
Die beklemmenden Schilderungen von US-Star Phelps zeigen, dass es auch den Erfolgreichsten treffen kann. Nach Ansicht von Olympia-Routinier Ulli Knapp, Trainer von Malaika Mihambo, sind Debütanten stärker gefährdet. "Sportler, die zum ersten Mal bei Olympia dabei sind, fallen recht schnell in ein Loch, anders als wenn man diese Erfahrung schon mal gemacht hat. Neulinge werden oft regelrecht erschlagen von dem Riesenereignis Olympia", sagte Knapp.
Knapp erlebte acht Olympische Spiele in Folge und dabei auch sehr viel Rummel. "Wenn man dann bei der Einkleidung auf Steffi Graf oder Dirk Nowitzki trifft, sind das besondere Erlebnisse. Man spürt selbst viel von der Strahlkraft dieser außergewöhnlichen Athleten", betonte Knapp. "Wenige Wochen später kehrt wieder der normale Alltag ein - das ist eine Erfahrung, die nicht immer leicht zu verarbeiten ist. Das sind Eindrücke, mit denen man lernen muss, umzugehen."
Umgang mit Druck lernen
Auch die Art und Weise der Saisonfortsetzung kann Einfluss haben. Malaika Mihambo, die nach Olympia-Gold in Tokio in Paris Silber gewann, will die aktuelle Saison wie geplant zu Ende bringen - nachdem sie sich von ihren Corona-Strapazen erholt hat. Nach den Spielen 2021 hätte sie sich besser früher in den Urlaub verabschiedet.
"Die Tokio-Saison war für mich sehr hart. Ich musste mit mir selbst kämpfen und damals noch lernen, mit dem Druck von außen umzugehen. Danach war ich komplett am Ende. Rückblickend wäre es besser gewesen, nach den Olympischen Spielen an Ort und Stelle zu sagen, es war schön und wir sehen uns nächstes Jahr wieder", berichtete Mihambo. "Aber das sind Erfahrungen, die man sammelt. Ich habe dadurch etwas länger gebraucht, um aus meiner Post-Olympic-Depression herauszukommen."
Phelps: 80 Prozent betroffen
- Bei Suizidgefahr: Notruf 112
Deutschlandweites Info-Telefon Depression, kostenfrei: 0800 33 44 5 33
- Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (0800/111-0-111 oder 0800/111-0-222, Anruf kostenfrei) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111)
- Bei der Deutschen Depressionshilfe sind regionale Krisendienste und Kliniken zu finden, zudem Tipps für Betroffene und Angehörige.
- In der Deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige. Dort gibt es auch eine E-Mail-Beratung für Depressive.
- Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).
Phelps, das große Gesicht der Dokumentation "The Weight of Gold" ("Das Gewicht des Goldes"), engagiert sich dafür, dass psychische Erkrankungen ihr Stigma verlieren. Er stellte die These auf, dass vier von fünf Sportlerinnen und Sportlern eine Art post-olympische Depression durchleben.
Er selbst teile seine Erfahrungen und habe die Chance, andere Menschen zu erreichen und Leben zu retten. Diese Momente und Emotionen seien "um Lichtjahre besser als der Gewinn einer Goldmedaille bei Olympia", sagte er einmal. Seinen Tiefpunkt erlebte Phelps nach Olympia 2012 in London, als er erstmals zurücktrat. "Es gab einen Teil meines Lebens, da wollte ich nicht am Leben sein", sagte er.
Angebote werden noch nicht optimal genutzt
"Die Psychologie und die Sportpsychologie haben viele Angebote und leisten Präventivarbeit. Für die Sportlerinnen und Sportler ist es wichtig, das Mindset auf das, was kommt, vorzubereiten", sagte Sulprizio. "Die Angebote gibt es. Die Nutzung ist noch nicht optimal, da ist Luft nach oben." Grundsätzlich seien Menschen im Sport von psychischen Erkrankungen genauso wie die Gesamtbevölkerung betroffen: also etwa jeder Fünfte.
Judoka Anna-Maria Wagner schaffte es mit professioneller sportpsychologischer Hilfe zurück auf die Matte. Hart hatte sie es nach den Spielen in Tokio erwischt, von denen sie als zweimalige Bronzemedaillengewinnerin zurückgekehrt war. "Dann war es erst zwei Wochen schön, da hat man dies und das gemacht. Es gab Ehrungen - und dann kam nichts", beschrieb sie wiederholt. Nach ihrem medaillenlosen Abschneiden in Paris will sie in diesem Jahr "auf jeden Fall keinen Judoanzug mehr anziehen", sagte sie unter Tränen. Aber die Momente als Fahnenträgerin werden sicher ewig, für sie in positiver Erinnerung bleiben.
Quelle: ntv.de, Christian Kunz, dpa