Peking an Bytedance beteiligt "China kann Inhalte bei Tiktok lesen und beeinflussen"


Tiktok steht wegen der Nähe zur chinesischen Regierung unter Spionageverdacht.
(Foto: IMAGO/Aleksander Kalka)
In den USA geht es für Tiktok um alles: Die Kurzvideo-Plattform könnte schon bald verkauft oder verboten werden. Dem chinesischen Mutterkonzern Bytedance werden Spionage und Datenleaks vorgeworfen. Es gibt enge Verbindungen zur kommunistischen Partei. Die chinesische Regierung kann im Unternehmen sogar direkt mitbestimmen.
Eine Influencerin bewertet Kuchensorten auf einer Skala von eins bis zehn. Die rechte italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hält zwei gelbe Melonen in ihren Händen. Eine ukrainische Soldatin zeigt persönliche Orte ihrer zerstörten Heimat. Unterhaltsam, oft skurril, teils informativ, teils aber auch manipulierend: Ein unendlicher Strom von Videos prasselt auf Tiktok auf uns ein.
Die Kurzvideo-Plattform ist mit 1,5 Milliarden monatlichen Nutzern eine der meistgenutzten Social-Media-Plattformen weltweit - nach Facebook, Youtube, Whatsapp und Instagram. Über die Hälfte der Jugendlichen in Deutschland nutzt Tiktok laut der JIM-Jugendstudie 2023 regelmäßig.
Hinter Tiktok steckt das chinesische Unternehmen Bytedance. Gegründet 2012, mittlerweile ist es weltweit aktiv. Die chinesische Version Douyin gibt es seit 2016. Ein Jahr später ist Tiktok außerhalb Chinas online gegangen.
China besitzt "goldene Aktien" von Bytedance

Lena Ulbricht ist Professorin für Politische Philosophie und Theorie an der Technischen Universität München und Forschungsgruppenleiterin am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft.
(Foto: Bernhard Ludewig)
Bytedance ist aber kein normales Technologieunternehmen: "Die chinesische Regierung sitzt im Aufsichtsrat von Bytedance und hat entsprechend die Möglichkeit, die strategische Orientierung des Konzerns mitzubestimmen", sagt Lena Ulbricht, Professorin für Politische Philosophie und Theorie an der Technischen Universität München im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Das beinhalte aber nicht eine Feinsteuerung der App. "Im Aufsichtsrat zu sitzen, bedeutet, die großen strategischen Entscheidungen mitzutreffen; mitzuentscheiden, welche Märkte erschlossen werden, welches die großen Strategien sind, was Geschäftsmodelle angeht - aber nicht das tägliche Kleinklein."
Chinas Regierung will Internetfirmen strenger regulieren und ist deshalb 2021 in den Konzern eingestiegen. Sie hat ein Prozent von Bytedances wichtigster Tochtergesellschaft, der Beijing Bytedance Technology, gekauft - auch "goldene Aktien" genannt. Dadurch darf der Staat einen der drei Vorstandsdirektoren der Tochtergesellschaft ernennen. Peking hat "erheblichen Einfluss auf die Geschäfte von Bytedance", analysiert der US-amerikanische Think Tank Foundation for Defense of Democracies.
Expertin Ulbricht macht deutlich: "In den Nutzungsbedingungen ist festgeschrieben, dass die Regierung Inhalte lesen und auch beeinflussen kann. Das ist sicherlich auch ein Resultat dieser engen Verknüpfung in der Organisationsstruktur und Resultat dessen, dass die Regierung im Aufsichtsrat sitzt."
Einfluss der Kommunistischen Partei
Die Kommunistische Partei ist auch in anderen Unternehmensteilen vertreten. Das ist üblich in chinesischen Firmen - auch bei deutschen Unternehmen in der Volksrepublik. Ein ehemaliger Bytedance-Manager spricht von Spezialeinheiten in den Pekinger Büros, die überwachen, "wie das Unternehmen zentrale kommunistische Werte vorantreibt".
"In China ist es so, dass Unternehmen in einer ständigen Dialektik mit der Regierung stehen", erklärt Ulbricht im Podcast. "Die Regierung sucht Einfluss auf die Tätigkeiten und zum Teil geht es auch darum, bestimmte sozialistische Werte zu fördern. Die Unternehmen aber wollen in erster Linie auf Märkten bestehen und ihre Geschäftsmodelle weiterentwickeln. Tiktok streitet die Vorwürfe ab, dass es die Werte der Kommunistischen Partei verwirklicht."
Zensur innerhalb von Tiktok gebe es, betont Ulbricht. "Es ist aber nicht ganz klar, ob das ein Resultat einer Einflussnahme durch die Regierung ist, oder ob Tiktok das macht, weil es innerhalb Chinas Kritik vermeiden möchte." Tiktok zeige in den unterschiedlichen Ländern, in denen es weltweit operiert, ein strategisches Verhalten.
Was aufhorchen lässt: Ein Sonderausschuss von Mitgliedern der Kommunistischen Partei im Unternehmen kann mit einem "Superuser"-, auch "God"-Anmeldename genannt, alle gesammelten Daten von Bytedance einsehen, auch die von US-Nutzern.
Kontroverse Inhalte werden ausgeblendet
Bestimmte Beiträge werden bei Tiktok aussortiert. Diese Postings werden zwar nicht gelöscht, aber der Algorithmus gewichtet sie so, dass sie niemand mehr sieht, Shadowranking genannt. Wie andere Plattformen auch, setzt Tiktok beim Filtern auf einen Mix aus Maschinen und Menschen: Es gibt eine automatisierte Form der Inhaltskontrolle: Software, die per Bild- und Texterkennung Inhalte herausfiltert. Außerdem entscheiden rund 20.000 Moderatoren, ob Nutzer gegen die Richtlinien verstoßen, hat ein ehemaliger Content Moderator schon vor einigen Jahren in einem Interview erzählt. Alle Apps würden dafür kritisiert, dass sie viel zu wenige Personen einsetzen, um Inhalte zu kontrollieren, sagt Ulbricht im "Wieder was gelernt"-Podcast. Weil immer wieder Inhalte übersehen würden.
Welche Themen passen Tiktok nicht? Zwei US-Forschungsgruppen haben das untersucht und besonders im Vergleich zu Instagram ganz konkrete Unterschiede ausgemacht: Posts zu den Protesten in Hongkong, zu Taiwan und zu Uiguren, oder Beiträge Pro-Ukraine oder Pro-Israel finden auf Tiktok kaum im sichtbaren Bereich statt. Das "Wall Street Journal" hatte in einem Selbstversuch Ende 2023 viele Videos zum Gaza-Krieg bei Tiktok entdeckt, über die Hälfte waren propalästinensisch.
"Politische Inhalte, die mit Gewalt und Terrorismus zusammenhängen, werden geblockt", weiß die Tiktok-Expertin. Außerdem lasse Tiktok Menschenrechtsverletzungen an Uiguren durch die chinesische Regierung nicht zu. Auch Inhalte, die mit Sexualität zu tun haben, würden ausgeblendet. Die User seien aber kreativ und finden Möglichkeiten, das zu umgehen: "Junge Menschen laden etwa Make-up-Tutorials hoch und sprechen dazu aber über Menschenrechtsverletzungen."
Journalisten und Aktivisten ausgespäht
Neben der inhaltlichen Zensur wird Tiktok auch Spionage vorgeworfen. Die Plattform steht im Ausland wegen ihrer Nähe zur chinesischen Regierung unter Spionageverdacht. Behörden in vielen Ländern haben die App auf Diensthandys verboten, unter anderem in Deutschland, den USA und Kanada.
Mitarbeiter des Mutterkonzerns Bytedance haben auch Journalisten ausgespäht, die über das Unternehmen berichtet hatten. Nutzerdaten und IP-Adressen wurden abgezapft, um Whistleblower in den eigenen Reihen aufzudecken. Der Konzern hat das später auch zugegeben und mehrere Mitarbeiter entlassen.
Zudem haben Mitglieder der Kommunistischen Partei Daten der Tiktok-Mutter benutzt, um Demonstranten und Aktivisten in Hongkong zu identifizieren und ausfindig zu machen, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. Mit den Superuser-Anmeldeinformationen wurden ihre Standorte und Geräte, ihre Netzwerkinformationen, IP-Adressen und Kommunikation überwacht.
Massenhaft Nutzerdaten erhoben und weitergegeben
Tiktok weiß ohnehin eine Menge über seine Nutzer. Private Nachrichten sind nicht Ende-zu-Ende verschlüsselt. Das Unternehmen kann sie theoretisch lesen. Die Plattform sammelt bei der Anmeldung und der Nutzung etliche Daten. Das umfasse den Ort, an dem wir uns befinden, sie habe Zugriff auf das Telefonbuch, die Kontaktdaten und Kreditkartendaten, zählt Expertin Ulbricht auf. "Das Unternehmen rechtfertigt diese sehr intensive Datensammlung mit dem Argument, wir können für dich relevante Inhalte zuspielen. Wir können die Plattform für dich noch attraktiver machen. Die meisten Nutzerinnen und Nutzer sind sich aber nicht dessen bewusst, wie umfangreich diese Daten sind und dass dann Profile erstellt werden."
Tiktok gebe auch Daten an sogenannte Data Broker weiter - Unternehmen, die weltweit mit Nutzerdaten handeln. Aber auch andere große Plattformen wie Facebook und Instagram erheben Nutzerdaten in diesem Umfang und seien bereit dazu, Daten weiterzugeben, beispielsweise an Regierungen oder Strafverfolgungsbehörden, macht Ulbricht im Podcast deutlich.
Bytedance sagt, dass es keine Daten an die chinesische Regierung weitergibt. Und das stimmt auf den ersten Blick auch, sagt Ulbricht. Denn die Nutzerdaten gelten immer für den jeweiligen Rechtsraum. Das bedeutet: In Deutschland können sie an die deutsche Regierung weitergegeben werden, in den USA an die US-Regierung.
Sensible Finanzdaten auf chinesischen Servern
Allerdings scheinen die Daten nicht immer im jeweiligen Land zu bleiben: Tiktok hat laut einem Bericht des Wirtschaftsmagazin "Forbes" die Finanzdaten prominenter Influencer aus Europa und den USA auf Servern in China abgespeichert. Darunter sensible Informationen wie Steuer- oder Sozialversicherungsnummern. Diese Daten konnten chinesische Mitarbeiter einsehen. "Bytedance betont: Die Server von Tiktok in den USA sind in den USA. Die Unternehmenszentrale ist in den USA. Keine Daten werden auf chinesische Server übertragen und es gibt auch keine direkten Übermittlungen an die chinesische Regierung", sagt Ulbricht. Ob Daten tatsächlich auf den US-Servern verbleiben oder weitergegeben werden, sei schwer zu kontrollieren. "Möglich ist das."
Die USA finden Tiktok wenig vertrauenswürdig: Die amerikanische Sparte der App soll bis Januar verkauft oder gesperrt werden. Bytedance wehrt sich, will den Zwangsverkauf vor Gericht stoppen.
Ulbricht sieht darin vor allem einen Machtkampf zwischen Konzern und US-Regierung - einen kalten Technologie-Krieg zwischen den USA und China. "Wenn man all die Probleme lösen möchte, die man in den USA mit Blick auf Tiktok zu haben glaubt, müsste man eigentlich darin investieren, eine solide Datenschutzgesetzgebung zu schaffen und die dann zu implementieren, anstatt ein ganz bestimmtes Unternehmen oder eine ganz bestimmte App ins Visier zu nehmen."
Nutzerdaten zu sammeln und an Regierungen weiterzugeben, ist zwar ganz normal bei Technologieunternehmen, sagt die Expertin - auch US-Tech-Konzerne unterlaufen regelmäßig den Datenschutz. Doch bei Tiktok ist Peking direkt beteiligt: sitzt im Aufsichtsrat und beeinflusst mehr oder weniger die Inhalte - liest mit, und kann Daten abgreifen. Wer seine Daten schützen will, sollte Tiktok am besten gar nicht erst installieren.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de