Verkauf oder Verbot per Gesetz So brachten China und Tiktok die USA gegen sich auf


Keine Zukunft in den Vereinigten Staaten: Tiktok im Besitz des chinesischen Unternehmens Bytedance.
(Foto: REUTERS)
Im Land, das sich als Verfechter der Meinungsfreiheit versteht, muss eine der beliebtesten Apps verkauft oder gesperrt werden. Ein Jahr lang feilten US-Kongressabgeordnete in Hinterzimmern an dem Gesetz. Dies haben sich Peking und Tiktok auch selbst eingebrockt.
Zwölf Monate plus eine mögliche Gnadenfrist von drei Monaten. So viel Zeit hat Bytedance, das chinesische Mutterschiff von Tiktok, um seine amerikanische Sparte der Software an ein US-Unternehmen zu verkaufen. Die Regierung von Präsident Joe Biden sieht die Kurzvideo-App als nationales Sicherheitsrisiko. Sie will verhindern, dass die chinesische Regierung massenhaften oder gezielten Zugriff auf Nutzerdaten von US-Amerikanern bekommt - und die App sich als Propagandawerkzeug Pekings in den USA einmischen kann, etwa bei Wahlen.
Der Kongress sieht das genauso und verabschiedete die Verkaufspflicht von Tiktoks US-Sparte Anfang des Monats mit parteiübergreifender Mehrheit. Verhandlungen zwischen dem Privatunternehmen Bytedance und den USA hatten zu keinem Ergebnis geführt. Die Zweifel darüber, ob der Unternehmenszweig unabhängig agieren kann und die Daten seiner - nach eigenen Angaben - 170 Millionen Nutzerkonten der Vereinigten Staaten effektiv vor Zugriff schützen kann, waren zu groß. Bleibt die US-Sparte über April oder Juli 2025 in chinesischer Hand, wird die Software mit den Kurzvideos aus den App-Stores verbannt - und zunächst langsam, und dann immer schneller dahinsiechen.
Das in der vergangenen Woche unterschriebene Gesetz ist der bisherige Höhepunkt einer Entwicklung, die manches verrät: über den geopolitischen Konflikt der USA mit China, das Ringen um die öffentliche Meinung in den USA sowie Republikaner und Demokraten, die gegen Tiktok in seltener Einigkeit vorgehen. Aber auch über Donald Trump. Als der noch Präsident war, hatte er ein Verbot der App gefordert. Inzwischen ist er dagegen. Mehr als 30 US-Bundesstaaten haben die App aus Angst vor Spionage bereits von ihren Regierungsgeräten verbannt.
Unterdrückte unliebsame Inhalte
Vor spätestens einem Jahr hätte dem chinesischen Mutterunternehmen klar werden müssen, dass sie auf nahezu verlorenem Posten waren. Da saß Tiktok-Chef Shou Chew als erster ausländischer Unternehmenschef seit 2010 tapfer im Kongress in Washington und ließ sich vom Ausschuss für Energie und Handel mit kritischen Fragen bombardieren. Dabei wurde klar: Chew hatte nicht nur die Mitglieder einer Partei gegen sich, wie es bei solchen Anhörungen häufig der Fall ist. Sondern von Republikanern und Demokraten. Beide sehen die App als mögliches trojanisches Pferd der chinesischen Regierung.
Mehrfach wurde Chew gefragt, ob Tiktok für Peking spioniere, zeitweise ungewöhnlich rüde. Womöglich auch, weil sich die chinesische Regierung vorher eingemischt hatte und sich gegen den geforderten Verkauf von Tiktok aussprach. Ein paar Stunden später wollte Chew den Kongress überzeugen, dass sein Unternehmen unabhängig sei und agiere. Der Inlandsgeheimdienst FBI beschrieb die Software im Kongress dagegen als "ein Werkzeug, dass sich am Ende unter Kontrolle der chinesischen Regierung befindet".
Die Daten sprechen dafür. Analysten hatten Ende vergangenen Jahres Instagram und Tiktok anhand von Hashtags und Nutzeranzahl verglichen. Das Ergebnis: Höchstwahrscheinlich unterdrücke Tiktok gezielt Inhalte, die den Interessen der chinesischen Regierung widersprechen. Die App zeigte in den USA demnach beispielsweise mehr als hundertfach weniger wahrscheinlich Videos über die Proteste in Hongkong an, über Tibet 33-fach weniger, über Taiwan 14-fach und Pro-Ukraine-Inhalte 9-fach. Die Analysten veröffentlichten ihre Zahlen unter dem Titel: "Ein tiktokkende Zeitbombe: Wie Anomalien auf Chinas globaler Plattform mit den geostrategischen Zielen der Kommunistischen Partei Chinas übereinstimmen".
Journalisten im Visier
Zuvor hatte es bereits einen anderen Vorfall gegeben, der über Propaganda und Sorge und Privatsphäre hinausreicht; exemplarisch für die Sorge um Einmischung aus dem Ausland. Im Jahr 2020 veröffentlichte das US-Magazin "Forbes" auf Basis geleakter Dokumente aus China einen Artikel: "Tiktoks Besitzer ByteDance plante die Nutzung von Tiktok zur Überwachung der Aufenthaltsorte bestimmter amerikanischer Bürger." Verantwortlich für dieses Projekt sei ein in China ansässiges Team, was direkt Bytedance-Chef Rubo Liang unterstellt ist, heißt es in dem Text.
So weit, so journalistisch üblich. Aber woher hatte die Autorin ihre Informationen? Dies fragte sich Tiktok und führte dazu eine interne Untersuchung durch. Ende 2022 ließ das Unternehmen wissen, dass Mitarbeiter in China sich die Daten von zwei US-Journalisten verschafft hatten; unter anderem deren IP-Adressen und der mit ihnen in Kontakt stehenden Personen. Sie hatten herausfinden wollen, wer der Maulwurf in China war. Aber dafür Daten aus den USA verwendet.
Sowohl der Inhalt des ursprünglichen Artikels sowie die Reaktion darauf bestätigten Sorgen der US-Regierung, die schon Ex-Präsident Donald Trump dazu veranlasst hatten, ein Verbot der App anzustreben. Die Kommunistische Partei könne damit "staatliche Mitarbeiter in den USA verfolgen, Personenakten für Spionage oder Erpressung anlegen", monierte er aus dem Weißen Haus. Eigenen Angaben zufolge investierte Tiktok danach 1,5 Milliarden Dollar, um sicherzugehen, dass die Daten der US-Sparte auch auf amerikanischen Servern bleiben würden.
Inzwischen hat Trump eine Kehrtwende hingelegt und spricht sich gegen das Verbot von Tiktok aus. Es gebe "eine Menge Leute auf Tiktok, die es toll finden", sagte er im März dazu. Seine Motive sind jedoch nicht eindeutig. Sie könnten damit zu tun haben, dass er sich vor seinem Stimmungsumschwung mit einem republikanischen Milliardär und Spender getroffen hatte, der Anteile an Bytedance hält. Womöglich auch damit, dass der designierte Präsidentschaftskandidat der Republikaner sich bei den überwiegend jüngeren Nutzern beliebt machen will, da diese Wählergruppe tendenziell Demokraten wählt.
Eine weitere Möglichkeit, und darauf deuten Trumps Aussagen hin, ist seine Antipathie gegen Meta-Chef Mark Zuckerberg und Facebook. Die macht er mitverantwortlich für seine Wahlniederlage 2020. Trump ist überzeugt, dass ein Tiktok-Verbot dem konkurrierenden Portal helfen würde: "Und ich sehe Facebook als Feind der amerikanischen Bevölkerung." Zugleich gibt er zu, dass auch er Tiktok weiterhin als nationales Sicherheitsrisiko betrachtet. Aber das ist offenbar nicht so wichtig.
Ein Jahr in Hinterzimmern
Seit Chews Anhörung im Kongress hatten Abgeordnete, Senatoren und ihre Mitarbeiter an dem Gesetz gearbeitet, und zwar in stillen Hinterzimmern, um Bytedance keine Möglichkeit zu geben, dagegen vorzugehen, schreibt die "New York Times". Demnach ging es darum, das Verbot mit Hilfe des Justizministeriums und des Weißen Hauses gegen juristische Angriffe abzusichern und unsichere Kongressmitglieder zu überzeugen.
Bei vorherigen Schritten gegen Tiktok hatte sich das Unternehmen erfolgreich juristisch gewehrt - mit dem Argument, es gehe um die Meinungsfreiheit seiner Nutzer. Diesmal überzeugte eine parteiübergreifende Koalition ihre Kollegen mit der konkurrierenden Sicherheitsfrage. Denn wenn die App schon Daten von Journalisten gesammelt hat und chinakritische Inhalte in den USA unterdrückt, ist es bis zur Wahlbeeinflussung nicht weit.
Aber das war noch nicht alles. Als Tiktok vor einigen Wochen von dem drohenden Verbot erfuhr, griff es zu einem radikalen Schritt: Per Pop-up-Nachricht forderte es seine Nutzer dazu auf, sich bei ihren Kongressabgeordneten gegen das Gesetz auszusprechen. Ein Klick darauf genügte, um anzurufen. Hunderte Anrufe blockierten die Telefonleitungen in Washington. Dies habe bei manchen Kollegen die Zweifel in Zustimmung, sowie Zustimmung in Überzeugung verwandelt, sagten Abgeordnete in US-Medien. Tiktok hatte also mit seinem Versuch, das Gesetz abzuwenden, das Gegenteil erreicht. Und die Abstimmung über das angedrohte Verbot wurde zum Spaziergang.
Quelle: ntv.de