Thrombose ist häufige Erkrankung Astrazeneca-Impfstoff zu Unrecht gestoppt?
15.03.2021, 18:03 Uhr
Der Astrazeneca-Impfstoff erleidet den nächsten Imageverlust - doch womöglich zu Unrecht.
(Foto: imago images/ITAR-TASS)
Berichte über das Auftreten von schweren Blutgerinnseln nach Impfungen mit dem Astrazeneca-Vakzin ziehen Impfstopps in mehreren Ländern nach sich - nun auch in Deutschland. Doch ist die Sorge berechtigt?
Nun setzt auch Deutschland die Impfungen mit dem Präparat des britisch-schwedischen Pharmakonzerns Astrazeneca vorläufig aus. Die Niederlande, Irland, Dänemark, Norwegen und Island hatten es bereits vorgemacht. Frankreich und Italien ziehen nach. Österreich stoppt die Verwendung von bestimmten Chargen. Auslöser waren Berichte über vereinzelte Fälle von Blutgerinnseln, einige davon in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung - in Dänemark kam es sogar zu einem Todesfall. Doch nach der Entscheidung Deutschlands bleiben viele Fragezeichen. Kann es tatsächlich sein, dass der Astrazeneca-Impfstoff Blutgerinnsel auslöst?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sprach beim Astrazeneca-Stopp von einer reinen Vorsichtsmaßnahme. Er verwies auf das für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das nach neuen Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung weitere Untersuchungen für notwendig halte. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) soll nun entscheiden, ob und wie sich die neuen Erkenntnisse auf die Zulassung des Mittels auswirken.
Thrombosen sind relativ häufig
Spahn betonte jedoch, dass es um bisher sieben Fälle in Deutschland gehe, was angesichts von 1,6 Millionen verimpfter Astrazeneca-Dosen sehr wenig sei. Wichtig in diesem Zusammenhang: Thromboembolien, bei denen ein Blutgerinnsel ein Gefäß ganz oder teils verstopft, treten pro Jahr in Deutschland ein- bis dreimal je 1000 Menschen auf. Sie sind also relativ häufig. Diese natürliche Häufigkeit ist unabhängig davon, ob Menschen geimpft werden oder nicht. Ein Problem werden Thromboembolien dann, wenn sie bei Geimpften öfter auftreten, als dies aufgrund der üblichen Häufigkeit zu erwarten wäre.
Doch dafür gab es im Fall des Astrazeneca-Impfstoffs bis zuletzt keine Hinweise, wie vergangene Woche noch das für die Bewertung und Sicherheit von Humanarzneimitteln zuständige Pharmakovigilance Risk Assessement Committee (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) festgestellt hatte. Die Anzahl von 30 bis zum 10. März gemeldeten Thrombose-Fällen bei knapp fünf Millionen geimpften Personen im europäischen Wirtschaftsraum stelle keine Häufung gegenüber dem Vorkommen in der Gesamtbevölkerung dar, so das PRAC.
Auch das Bundesinstitut PEI hatte vergangene Woche noch in einer vorläufigen Bewertung festgestellt, dass es bislang keine Hinweise gebe, dass "der Todesfall in Dänemark mit der Corona-Impfung mit dem Covid-19-Impfstoff von Astrazeneca in kausaler Verbindung steht". In den präklinischen und klinischen Studien des Impfstoffes AZD1222 sind nach Auskunft der Entwickler Blutgerinnungsstörungen bisher ebenfalls nicht als unerwünschte Nebenwirkungen aufgetreten.
Gute Erfahrungen aus Großbritannien
Experten hatten nach den ersten Impfstopps in Ländern wie Dänemark und Norwegen auf die umfangreichen Erfahrungen in Großbritannien verwiesen: "Im Vereinigten Königreich, wo bereits elf Millionen Dosen des Impfstoffs verabreicht wurden, wurde keine Zunahme von Thrombosefällen wahrgenommen", hatte Ende vergangener Woche Anke Huckriede, Professorin für Vakzinologie an der Universität Groningen, betont. Und sie ergänzte: "Da das Land ein sehr gutes Monitoringsystem hat, wäre eine Zunahme sicher registriert worden."
Der Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin der München Klinik Schwabing, Clemens Wendtner, hatte darauf verwiesen, dass die bis zum 10. März erfassten 30 Thrombosefälle im Europäischen Wirtschaftsraum bei mehr als 5 Millionen geimpften Personen einem Risiko von etwa 1 zu 170.000 entspräche. Das natürliche Auftreten von Thromboembolien in der Allgemeinbevölkerung trete jedoch "mit einem Faktor 100 häufiger" auf. In Deutschland gebe es jährlich zudem 100.000 Todesfälle aufgrund von thromboembolischen Ereignissen, womit diese derzeit die dritthäufigste Todesursache darstellten.
"Auch wäre das Risiko, an einer Covid-19-assoziierten Thrombose Schaden zu nehmen, um ein Vielfaches höher", hatte Wendtner betont. In einer aktuellen US-amerikanischen Auswertung traten bei 533 von 3334 Covid-19-Patienten thromboembolische Ereignisse auf, was einem Anteil von 16 Prozent entspricht.
"Ich halte das für einen Fehler"
Das Unternehmen Astrazeneca hatte noch am Sonntag nach einer Analyse von Impfdaten erneut Sorgen über die Sicherheit seines Corona-Impfstoffes zurückgewiesen. Eine sorgfältige Analyse der Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Geimpften in der EU und Großbritannien habe keine Belege für ein höheres Risiko für Lungenembolien, tiefen Venenthrombosen und Thrombozytopenie geliefert, hieß es.
Angesichts der bisherigen Faktenlage zog der Stopp des Corona-Impfstoffs von Astrazeneca in Deutschland bei Politikern von SPD und Linkspartei auch Kritik nach sich. "Ich halte das für einen Fehler", sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem ZDF. Der Impfstopp werde das Vertrauen in Astrazeneca weiter reduzieren, "dabei gibt es keine neuen Daten, die den Stopp rechtfertigen", so Lauterbach. Irritiert äußerte sich auch die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley. "Die neueste Generation der Antibabypille hat als Nebenwirkung Thrombosen bei acht bis zwölf von 10.000 Frauen. Hat das bisher irgendwen gestört?", schrieb sie auf Twitter.
Gesundheitsminister Spahn hatte mit Blick auf die erneute Prüfung des Astrazeneca-Impfstoffs jedoch ebenfalls betont: "Das Ergebnis der Prüfung ist offen." Es ist also möglich, dass das Risiko von der EMA als gering eingeschätzt und der Impfstopp wieder aufgehoben wird. Dennoch wird ein gewaltiger Imageschaden bleiben - offen ist, wie sich dies auf den Impffortschritt auswirkt. Großbritannien jedenfalls, hatte Infektiologie Wendtner betont, verzeichne dank des Astrazeneca-Impfstoffs inzwischen weniger Neuinfektionen und hospitalisierte Patienten und werde "hoffentlich bald aus der pandemischen Welle herausfinden".
Quelle: ntv.de