Zwischen Thalamus und Kleinhirn Bei Opioid-Abhängigen schrumpfen Teile des Gehirns deutlich
10.12.2024, 16:01 Uhr Artikel anhören
In den USA starben im Jahr 2023 vorläufigen Daten zufolge mehr als 80.000 Menschen durch eine Überdosis synthetischer Opioide, vor allem Fentanyl.
(Foto: IMAGO/NurPhoto)
Opioide wie Fentanyl, Oxycodon oder Heroin bergen ein hohes Missbrauchspotenzial. Das führt dazu, dass bestimmte Teile des Gehirns von Opioidabhängigen deutlich schrumpfen. In anderen Bereichen nimmt hingegen das Volumen im Mittel zu.
Bei Opioidabhängigen schrumpfen bestimmte Teile des Gehirns einer Studie zufolge deutlich. In anderen Bereichen nimmt das Volumen im Mittel zu, wie das Forschungsteam im Fachjournal "Radiology" berichtet. Neben diesen strukturellen gebe es funktionelle Hirnveränderungen vor allem in Regionen mit hoher Dichte an Rezeptoren für Opioide.
Opioide sind eine Klasse von Substanzen, zu der synthetische Opioide wie Fentanyl, verschreibungspflichtige Schmerzmittel wie Oxycodon und illegale Betäubungsmittel wie Heroin gehören. Opioide bergen ein hohes Missbrauchspotenzial, in den USA ist Opioidkonsum eine der Hauptursachen für Drogen-Überdosierungen. Allein im Jahr 2023 starben dort vorläufigen Daten zufolge mehr als 80.000 Menschen durch eine Überdosis synthetischer Opioide, vor allem Fentanyl. In Deutschland spielen solche Substanzen Fachleuten zufolge bisher noch keine große Rolle.
Eine sogenannte Opioidkonsumstörung (OUD) geht mit dem zwanghaften Bedürfnis einher, Opioide zu konsumieren, begleitet von körperlicher Abhängigkeit und schweren Entzugssymptomen. Das Team um Saloni Mehta von der Yale School of Medicine in New Haven (USA) hatte eine spezielle Analyse der MRT-Scans von mehr als 200 Männern und Frauen durchgeführt. Davon war etwa die Hälfte der Patienten und Patientinnen mit OUD und die andere Hälfte gesunde Kontrollteilnehmer. Die Studienteilnehmer mit Opioidkonsum wurden kurz zuvor mit einer Methadonbehandlung stabilisiert. Das Durchschnittsalter in dieser Gruppe lag bei 37 Jahren, etwa 40 Prozent sind Frauen.
Keine Unterschiede beim Gesamthirnvolumen
Demnach gibt es deutliche Volumenunterschiede im Gehirn zwischen Teilnehmern mit OUD und gesunden Menschen. Ein geringeres Volumen weisen insbesondere Bereiche von Thalamus und Nucleus caudatus auf, ein größeres unter anderem Bereiche des Hirnstamms und des Kleinhirns. Das Gesamthirnvolumen unterschied sich zwischen der Konsumenten- und der Kontrollgruppe nicht. Auch wurden keine signifikanten Zusammenhänge zwischen dem Hirnvolumen und dem Ausmaß oder der Dauer von OUD-Symptomen gefunden.
Hirnregionen wie Thalamus und Nucleus caudatus sind entscheidend für Funktionen wie Belohnungsverarbeitung, Gedächtnisbildung und Emotionsregulation. Der Thalamus dient zudem als Knotenpunkt für die Weiterleitung sensorischer Informationen im gesamten Gehirn. "Unser Ziel ist es, besser zu verstehen, was die Veränderungen verursacht haben könnte, um neue Behandlungsziele zu finden", sagte Mehta.
Was ist Ursache, was Folge?
Die aktuelle Analyse zeigte strukturelle und funktionelle Veränderungen vor allem in Regionen mit hoher Opioidrezeptordichte in der Gruppe der Opioidkonsumenten: Thalamus, Hippocampus, Amygdala, Hirnstamm und Kleinhirn. Solche Änderungen seien auch bei anderen Substanzkonsumstörungen üblich, heißt es in der Studie. Unklar sei bisher, wie strukturelle und funktionelle Veränderungen zusammenhängen und welche jeweils ursächlich und welche Folge sind.
Auffällig seien unterschiedliche Veränderungsmuster im medialen präfrontalen Kortex - einer zentralen Region, die bei vielen psychischen Erkrankungen eine Rolle spielt - bei Männern und Frauen. Womöglich liege hier eine Erklärung dafür, dass Opioidkonsum bei Frauen stärker mit psychischen Problemen einhergehe und schneller problematisch werde.
Einschränkend geben die Forschenden zu bedenken, dass nicht ausgeschlossen wurde, dass die OUD-Patienten zuvor auch andere Substanzen konsumierten, die womöglich Einfluss auf ihr Gehirn nahmen. Das mache es schwierig zu sagen, welche Änderungen spezifisch auf den Opioidkonsum zurückgehen. Auch die Methadon-Behandlung könne Veränderungen im Gehirn bewirkt haben.
USA: 80.000 Todesfälle 2023
Nach Angaben des National Institute on Drug Abuse litten 2021 allein in den USA etwa 2,5 Millionen Erwachsene an einer Opioidkonsumstörung. "Wir befinden uns mitten in einer Opioid-Epidemie, von der weltweit Millionen Menschen betroffen sind und die allein im letzten Jahr in den USA mehr als 80.000 Todesfälle im Zusammenhang mit Opioid-Überdosierungen verursacht hat", sagte Mehta.
Fentanyl gehört zu einer Gruppe recht neuer Drogen: synthetische Opioide wie auch Tilidin, Tramadol und Oxycodon, die als zugelassene Medikamente zur Behandlung von starken Schmerzen eingesetzt werden. Fentanyl wirkt ähnlich wie Morphin, wird aber komplett synthetisch hergestellt. In der Medizin wird es etwa bei Tumorerkrankungen verwendet. In Deutschland spielt die Droge bislang bei weitem nicht so eine Rolle wie in den USA, wo die Opioidkrise unter anderem durch eine sehr großzügige und sorglose Verschreibung starker Schmerzmittel entstand.
Forschende berichteten kürzlich, dass ein spezielles Implantat künftig bei einer Überdosis an Opiaten Leben retten könnte. Es kann die Überdosierung erkennen, ein Gegenmittel abgeben und Notfallhelfer informieren, wie das Team im Fachjournal "Science Advances" berichtete. Das sogenannte Naxolimeter wurde demnach bisher an Tieren getestet. Es wird unter der Haut eingesetzt und misst den Sauerstoffgehalt des umliegenden Gewebes. Ist dieser sehr gering, gibt es Naloxon ab, ein Notfallmedikament bei Opioid-Überdosierung. Die Forscher suchen nun nach Industriepartnern, um das Implantat in klinischen Studien mit Menschen testen zu können.
Quelle: ntv.de, Annett Stein, dpa