Gesichter sehen, wo keine sind Der Käse lächelt meist männlich
25.01.2022, 17:26 Uhr
Das Phänomen, in Dingen Gesichter zu sehen, nennt sich Pareidolie.
(Foto: Chris Baker)
Gesichter erkennt das menschliche Gehirn unglaublich gut. Manchmal sieht es sie sogar dort, wo gar keine sind: in Lebensmitteln, Elektrogeräten oder in der Hauswand gegenüber. Dabei verhält es sich allerdings alles andere als gendergerecht.
In Käsebroten, Steckdosen oder ganzen Häusern entdeckt unser Gehirn manchmal ein Gesicht. Es sieht dabei aber nicht einfach nur Augen, Nase und Mund, sondern ordnet dem Gesicht oft auch ein Alter, Geschlecht oder eine Stimmung zu. Vergleichsweise häufig werden "illusorische Gesichter" als jung und männlich wahrgenommen, berichten US-Forscher in den "Proceedings" der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften. Sie nehmen an, dass das Gehirn besondere Kennzeichen benötigt, um ein Gesicht als weiblich wahrzunehmen.

Die Forscher sind sich nicht sicher, warum die Probanden mehr männliche als weibliche Gesichter sahen.
(Foto: dpa / Chris Baker)
Das Phänomen, in Dingen Gesichter zu sehen, wird als Pareidolie bezeichnet - ein "natürlicher Fehler unseres Gesichtserkennungs-Systems", wie die Forschenden um Susan Wardle vom National Institute of Mental Health in Bethesda (USA) in ihrem Artikel schreiben. Normalerweise kann unser Gehirn innerhalb weniger Millisekunden korrekt erkennen, dass ein Gesicht vor uns ein Gesicht ist. Es bewertet darüber hinaus Geschlecht, Alter und auch Stimmungslage des Gegenübers, ohne dass wir uns darüber überhaupt bewusst sind. Es sei unklar, ob solche weiterführenden Informationen auch beim Anblick illusorischer Gesichter erfasst werden, schreiben die Wissenschaftler.
Auch Frauen sehen häufiger Männer
Sie prüften das nun in einer Reihe von Experimenten. Dazu zeigten sie ihren insgesamt mehr als 3800 Versuchsteilnehmern Bilder von Gesichtern in unbelebten Gegenständen, teils waren das eigene Aufnahmen, teils stammten sie aus öffentlich zugänglichen Quellen. Die Probanden mussten unter anderem angeben, ob und wie einfach sie in dem Gegenstand ein Gesicht erkannten. Zudem sollten sie mitteilen, ob sie das vermeintliche Gesicht als männlich, weiblich oder neutral empfinden und schließlich wie alt es schätzungsweise ist und welche Stimmung es ausstrahlt - Trauer, Wut, Freude oder Angst etwa.
Die Auswertung ergab, dass illusorische Gesichter ähnlich komplex bewertet werden wie richtige Gesichter. Ihnen werde häufig ein emotionaler Ausdruck und ein Alter zugeschrieben. Besonders überrascht waren die Forschenden von einem Ergebnis: Gefragt nach dem Geschlecht, bewerteten die Versuchsteilnehmer etwa die Hälfte der Gesichter als "neutral". Wenn die Probanden den Gesichtern allerdings ein Geschlecht zuschreiben sollten, empfanden sie es etwa viermal so oft eher männlich denn weiblich.
Diese Tendenz zum Männlichen sei bemerkenswert, schreiben die Forscher. Sie lasse sich nicht durch das Geschlecht des Betrachters erklären - auch Frauen sahen häufiger Männer als Frauen in illusorischen Gesichtern. Die Forscher stellten auch keine allgemeine Tendenz fest, uneindeutige Reize eher als männlich zu deklarieren und auch die empfundene Stimmung des Gesichts hing nicht mit dem wahrgenommenen Geschlecht zusammen.
Mögliche Erklärungsansätze
Was könnte die Beobachtung dann erklären? Sicher sind sich die Forschenden nicht. Sie gehen davon aus, dass das menschliche Gehirn eher die Kategorie "männlich" vergibt, wenn nur ganz grundlegende Informationen vorhanden sind. Ob das sozial antrainiert ist oder etwa auf Vorgänge in der Entwicklung zurückgeht, sei unklar. Denkbar sei, dass "männlich" sozusagen das Standard-Geschlecht für eine Person ist und erst zusätzliche Informationen die Kategorie weiblich öffnen. Das könnten zum Beispiel geschwungene Augenbrauen, lange Wimpern oder lange Haare sein.
Die Fähigkeit, Männer und Frauen grundsätzlich am Gesicht zu unterscheiden, ist den Forschern zufolge bereits sehr früh vorhanden. Untersuchungen hätten gezeigt, dass bereits drei bis vier Monate alte Babys weibliche Gesichter bevorzugt betrachteten - es sei denn, sie werden hauptsächlich von einem Mann versorgt. Dann ändere sich diese Vorliebe. Diese initiale Neigung könne den Grundstein legen für die unterschiedliche Verarbeitung von männlichen und weiblichen Gesichtern im sich entwickelnden Gehirn. Mit zunehmendem Alter werde die Fähigkeit, Geschlechter am Gesicht abzulesen, immer besser.
Unsere Untersuchung zeigt, dass die visuellen Kennzeichen, die für das Erkennen eines Gesichts ausreichen, grundsätzlich nicht genügen, um "weiblich" zu erkennen, fassen die Forschenden das zentrale Ergebnis ihrer Untersuchung zusammen.
Quelle: ntv.de, Anja Garms, dpa