Studie in der Lübecker Bucht Forscher finden viele Meerestiere auf Weltkriegsmunition
26.09.2025, 10:22 Uhr Artikel anhören
Vor den Küsten Deutschlands liegen geschätzte 1,6 Millionen Tonnen Altmunition.
(Foto: picture alliance/dpa)
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs liegen Unmengen an Munition auf dem Meeresboden vor deutschen Küsten. Forscher untersuchen, wie sich die verrostenden Metalle auf die Fauna auswirken, und entdecken Erstaunliches. Für den Lebensraum besteht aber große Gefahr.
Auf am Boden der Lübecker Bucht liegender Altmunition der Wehrmacht aus dem Zweiten Weltkrieg gibt es eine rege Meeresfauna. Sogar mehr als in den umgebenden Sedimenten, wie eine Studie für die Lübecker Bucht zeigt, die in der Fachzeitschrift "Communications Earth & Environment" veröffentlicht wurde. "Das Interessante ist, dass es so viele Tiere gibt - das haben wir nicht erwartet", sagte Andrey Vedenin vom Forschungsinstitut Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven.
Die Forscher fanden unter anderem auch drei Fischarten, Seeanemonen und eine große Menge an Seesternen auf dem Weltkriegsschrott. Von dem deutschen Forschungsschiff "Alkor" aus hatten die Wissenschaftler im Oktober 2024 mit einem ferngesteuerten Unterwasserfahrzeug in der Lübecker Bucht ein neu entdecktes Munitionsablagerungsgebiet in rund 20 Metern Tiefe untersucht.
Rund 43.000 Tiere pro Quadratmeter - die meisten davon Meereswürmer - lebten dem Bericht zufolge auf der auf Sprengköpfen von V1-Marschflugkörpern. Die Tiere fühlen sich demnach auf dem harten Material wohl. Obwohl die Forscher keine große Artenvielfalt entdeckten, wie Vedenin betonte, stellten sie deutliche Unterschiede zur Anzahl der Tiere im Vergleich mit den umliegenden Sedimenten fest. Demnach lebten nur etwa 8200 Individuen pro Quadratmeter in den anderen Bereichen.
Die Fauna war nach ihren Angaben auf den Metallhüllen der Munition versammelt - mit einer bemerkenswerten Ausnahme: Mehr als 40 Seesterne hatten sich auf einem frei am Meeresboden liegenden Haufen des Sprengstoffs Trinitrotoluol (TNT) platziert. "Es sah wirklich verrückt aus", sagte der Meeresbiologe Andrey Vedenin vom Institut Senckenberg am Meer. Die Gründe, warum sich die Seesterne von dem TNT angezogen fühlten, sind ungeklärt. Vedenin vermutet, dass sie einen Bakterienfilm fraßen, der sich auf dem langsam verfallenden Sprengstoff gebildet hatte.
Messung: Hohe Gift-Konzentrationen
Der Forscher schließt daraus, dass diese Umgebung wegen Chemikalien aus der alten Munition zu giftig für die Tiere ist. Die Konzentration von Giften - unter anderem TNT sowie Ammoniumnitrat und Phosphor - sei stellenweise sehr hoch gewesen, sagte er.
Die Sprengköpfe sollen geborgen werden. Einfach sei das nicht, so Vedenin. Da einzelne Objekte verrostet und miteinander verklebt seien, könnten dabei Phosphor oder andere Substanzen austreten. Mit Steinen oder Beton wollen die Forscher die Lebensräume für die Tiere auf der alten Munition ersetzen.
Altmunition ist zunehmendes Umweltrisiko
Aus den Weltkriegen liegen geschätzte 1,6 Millionen Tonnen Altmunition vor den Küsten der deutschen Nord- und Ostsee. Nach Angaben des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung stellt die Altmunition ein zunehmendes Umweltrisiko dar: Die Metallhüllen der Munition würden rosten, und Sprengstoffe wie das krebserregende und erbgutschädigende TNT lägen teils offen auf dem Meeresboden. In der südwestlichen Ostsee seien bereits rund 3000 Kilogramm giftige Chemikalien freigesetzt worden, wie Geomar-Direktorin Katja Matthes im Juni vergangenen Jahres mitteilte.
Die Bundesregierung hat für ein Sofortprogramm zur Bergung von Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Vor rund einem Jahr hatten drei Unternehmen im Auftrag des Bundesumweltministeriums damit begonnen, Weltkriegsmunition aus der Lübecker Bucht zu bergen. Beteiligt an der Studie waren auch Forschende vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) sowie vom Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven.
Quelle: ntv.de, gri/dpa/AFP