
Der einsame George lebte im Terrarium.
(Foto: Hawaii Department of Land and Natural Resources)
"Die Stimme des Waldes" ist verstummt. Die hawaiianische Baumschnecke "Lonely George" starb Anfang Januar. Die Wissenschaft steht vor den Folgen eines menschengemachten Rückgangs der Tierarten. Doch einen Funken Hoffnung gibt es noch.
Die vielleicht einsamste Schnecke der Welt ist tot - und mit ihr stirbt eine ganze Art aus. "Lonely George" wurde 14 Jahre alt. Er gehörte zu der Spezies Achatinella apexfulva und lebte bis zum Neujahrstag in einem Labor im US-amerikanischen Bundesstaat Hawaii. George gehörte zur Gattung der Baumschnecken. Das sind große, schöne Schnecken, die jahrhundertelang reichlich in den Wäldern Hawaiis vorkamen.
Doch wie Professor Michael Hadfield dem US-Sender CNN berichtet, werden die nunmehr verbliebenen Arten - zehn an der Zahl - wohl die nächsten zehn Jahre nicht überleben. "Hunderte Schneckenarten sind in den vergangenen Dekaden von den hawaiianischen Inseln verschwunden", so der Wissenschaftler. Um diesem negativen Trend vorzubeugen, wurden bereits seit 1997 die letzten Artgenossen von George gesammelt und an der Universität Hawaii aufbewahrt. Doch alle Mühe war umsonst: George hinterlässt keine Nachfahren.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wenig verwunderlich ist in diesem Fall vor allem der Mensch schuld. Die Achatinella apexfulva konnte sich zunächst ohne jegliche natürliche Feinde entwickeln und hatte dementsprechend keine Abwehrmechanismen. Als die ersten Ratten auf Handelsschiffen in die Lebensräume der Weichtiere gelangten, begann deren Martyrium. Ähnlich verhielt es sich mit den gefräßigen Chamäleons, die einst als Haustiere ihren Weg auf die Pazifikinseln fanden.
Und nicht nur das: Eine schleimige Cousine, die Rosige Wolfsschnecke, begann ab den 1950er-Jahren damit, die einheimischen Artgenossen zu fressen. Trotz ihres blumigen Namens war die Euglandina rosea einst eingeführt worden, um anderer invasiver Arten Herr zu werden. Die Maßnahme ging nach hinten los. Ihr fielen viele einheimische Baumschnecken zum Opfer.
Von singenden Schnecken und riesigen Schildkröten
Das Aussterben so vieler Arten verdeutlicht die schwindende Biodiversität auf den hawaiianischen Inseln. Wie der britische "Guardian" schreibt, war George ein leuchtendes Beispiel für die Bemühungen der Wissenschaft, diesem Umstand einen Riegel vorzuschieben. "Ich weiß, er ist nur eine Schnecke, aber er steht für so viel mehr", zitiert "National Geographic" den hawaiianischen Biologen David Sischo. In den Legenden der Ureinwohner der Pazifik-Inseln gelten die bekanntlich lautlos kriechenden Schnecken nichtsdestotrotz als "Stimme des Waldes". Es wurde überliefert, sie würden wundervoll singen.
Mit George verliert Hawaii einen Besuchermagneten und mahnenden Erinnerer an durch Menschen verursachte Zerstörungen im Tierreich. Doch es besteht noch ein Funken Hoffnung. Biologen konnten nach Angaben von Hadfield die DNA von George sicherstellen. "Irgendwo, irgendwann, können wir sie vielleicht nutzen, um einen George wiederherzustellen." Bis dahin heben die Wissenschaftler laut "Guardian" sein Gehäuse und seinen Körper auf. Damit ist ihm ein ähnliches Denkmal wie das seines berühmten Namensvetters gewiss. "Lonesome George", die weltbekannte Riesenschildkröte, galt als letzter Vertreter seiner Unterart auf den Galapágos-Inseln. Nachdem er 2012 gestorben war, wurde er einbalsamiert. Seitdem dient auch er der Menschheit als Zeugnis einer vergangenen Zeit - als sagenumwobene Tiere ungestört die Erde bevölkerten.
Quelle: ntv.de