Winziger Armknochen gefunden "Hobbit"-Vorfahren waren offenbar noch kleiner
07.08.2024, 14:52 Uhr Artikel anhören
Der gefundene Teil des Oberarmknochens passt in den Handteller eines Entdeckers.
(Foto: Yousuke Kaifu/-/dpa)
In Indonesien finden Forschende einen winzigen, etwa 700.000 Jahre alten humanoiden Oberarmknochen. Er stammt offenbar von einem Vorfahren der sogenannten "Hobbit-Menschen" und gibt Aufschluss über deren Herkunft.
Seit 2003 rätselt die Wissenschaft über die Herkunft des sogenannten "Hobbit-Menschen". Damals gruben Archäologen in einer Höhle auf der indonesischen Insel Flores Knochen von Homininen aus, die offenbar kaum größer als einen Meter waren und nicht mehr als 30 Kilogramm wogen. Das Alter der Überreste wurde auf 60.000 bis 100.000 Jahre datiert. Jetzt geben noch viel ältere Funde Hinweise auf die Vorfahren des "Homo floresiensis".
Ein Forscherteam um den Anthropologen Yousuke Kaifu vom Museum der Universität von Tokio hat zwei Zähne und den unteren Teil eines Oberarmknochens entdeckt und analysiert. Der Fundort liegt in Mata Menge, etwa 75 Kilometer von der Hobbit-Höhle in Liang Bua entfernt.

Hier sieht man das Oberarmknochen-Fragment aus der Fundstätte Mata Menge (l) im gleichen Maßstab wie der Oberarmknochen von Homo floresiensis aus der Liang Bua-Höhle.
(Foto: Yousuke Kaifu/-/dpa)
In einer bei "Nature Communications" veröffentlichten Studie kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass Frühmenschen auf der Insel nicht erst vor 100.000 Jahren so klein waren, sondern laut Datierung der neuen Funde schon vor 700.000 Jahren. Und wahrscheinlich waren sie sogar noch kleiner als die "Hobbits".
Den Forschenden zufolge handelt es sich um den kleinsten Oberarmknochen eines Erwachsenen der Gattung Homo, der je gefunden wurde. Sie errechneten eine Körpergröße von ungefähr 100 Zentimetern, und damit noch einmal 6 Zentimeter weniger als durch frühere Funde angenommen. Die Wissenschaftler sind sich nahezu sicher, dass die entdeckten Überreste zur Art Homo floresiensis gehören.
Nachfahre von Homo erectus?
Wegen Ähnlichkeiten etwa der Backenzahnkronen geht das Forscherteam davon aus, dass es sich bei Homo floresiensis um einen kleinwüchsigen Nachfahren des asiatischen Homo erectus handelt, der etwa 1,80 Meter groß wurde. "Wie die ebenfalls im So'a-Becken gefundenen Steinwerkzeuge zeigen, wurde Homo erectus vor etwa einer Million Jahre auf Flores isoliert und erfuhr über einen Zeitraum von 300.000 Jahren eine dramatische Verkleinerung seiner Körpergröße", schreiben sie.
Als Grund für die Schrumpfung nehmen Fachleute die isolierte Lebensweise auf der Insel mit begrenzten Ressourcen an. Ein eingeschränktes Nahrungsangebot kann dazu führen, dass kleinere Vertreter mit niedrigerem Kalorienbedarf evolutionäre Vorteile haben. In der Region wurden beispielsweise auch die Überreste von Mini-Elefanten gefunden.
Philipp Gunz vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der nicht an der Studie beteiligt war, hält es für plausibel, dass es sich bei den Fossilien um die Überreste eines sehr kleinen erwachsenen Frühmenschen handelt. Allerdings hält er es noch nicht für erwiesen, dass Homo floresiensis von Homo erectus abstammt. "Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen", sagt er.
Möglicherweise stamme Homo floresiensis auch von einer anderen, kleineren Art ab, meint Gunz. "Es gibt einfach noch nicht so viele fossile Belege, da besteht noch eine große Lücke." Die These der Inselverzwergung sei zwar Lehrbuchmeinung, aber es gebe keine guten Vergleichsmöglichkeiten.
Zunächst für Kinderknochen gehalten
Erstautor Yousuke Kaifu erinnert sich an den Fund der Knochen: "Als ich den kleinen Oberarmknochen zum ersten Mal sah, dachte ich, es sei ein Kinderknochen, aber ich wurde neugierig und war überrascht, als ich sein Entwicklungsstadium herausfand." Alter und Länge zu bestimmen, sei eine sehr knifflige Aufgabe gewesen.
Insgesamt haben die Forschenden am Fundort Mata Menge zehn Fossilien gefunden, die sie mindestens vier Frühmenschen zuordnen: einem Erwachsenen, einem Heranwachsenden und zwei Kindern. "Die Beobachtung, dass alle vier (oder mehr) Individuen extrem kleinwüchsig sind, unterstützt das Argument, dass die geringe Körpergröße kein idiosynkratisches (individuelles) Merkmal war, sondern ein Populationsmerkmal der frühen mittelpleistozänen Homininen von Flores", schreiben sie.
Die Ähnlichkeiten mit den Fossilien der Liang-Bua-Fundstätte stärken laut den Autoren die Theorie, dass diese frühen Homininen des Mittelpleistozäns eine eigene Art der Gattung Homo sind. Sie seien dem frühen asiatischen Homo erectus ähnlicher als beispielsweise Australopithecus.
Die kleinwüchsigen Homo floresiensis hätten über Hunderttausende von Jahren als einzige Homo-Art auf der Insel gelebt - wahrscheinlich bis vor etwa 50.000 Jahren Homo sapiens dort ankam. "Ein Ereignis, das vermutlich das Aussterben von Homo floresiensis beschleunigt hat."
Quelle: ntv.de, kwe/dpa