1,5 Grad nicht mehr zu halten? Klimarat-Chef rät von Untergangsszenarien ab
29.07.2023, 13:10 Uhr Artikel anhören
"Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein", sagt Jim Skea über eine Erde, die mehr als 1,5 Grad erwärmt ist.
(Foto: picture alliance/dpa/IPCC)
Überschreitet die Erde die 1,5-Grad-Marke? Der neue Chef des Weltklimarats sagt, die Welt werde davon nicht untergehen. Unterdessen erklärt ein deutscher Forscher, dass es zwar physikalisch noch möglich sei, das Ziel zu erreichen. Dafür müsse aber "wie in einer Kriegssituation" angepackt werden.
Das Überschreiten des 1,5 Grad-Ziels ist laut dem neuen Chef des Weltklimarats (IPCC), Jim Skea, kein Grund, in Schockstarre zu verfallen. "Dieses Temperaturziel ist unglaublich symbolträchtig. Trotzdem sollten wir nicht verzweifeln, wenn die Welt die 1,5 Grad überschreitet", sagte der Physiker im Interview mit dem "Spiegel".
Die Welt werde nicht untergehen, wenn sich die Welt um mehr als 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter erwärmt, sagte der neue IPCC-Chef. "Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein. Die Länder werden mit vielen Problemen kämpfen, es wird soziale Spannungen geben." Allerdings werde die Menschheit deshalb nicht aussterben.
Der Brite beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren mit der Klimakrise und ist zudem Mitglied in verschiedenen politischen Klimagremien von Großbritannien. Er setzte sich gegen Mitbewerber aus Südafrika, Brasilien und Belgien durch. Skea will vor allem für pragmatische Lösungen in der Klimakrise werben. "Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, wie Wissenschaft in Politik übersetzt wird. Diese Erfahrungen werde ich natürlich auch in den Weltklimarat mit einbringen", Skea. "Wir müssen weiter zu den physikalischen Grundlagen forschen, aber uns gleichzeitig noch mehr als bisher um die Lösungen kümmern."
Für besonders wichtig hält der Forscher den Ausbau der erneuerbaren Energien, um klimaschädliche Kohlekraftwerke, Gasheizungen oder Erdöl in Industrie und Verkehr zu ersetzen. Aber auch auf technologische Lösungen wie die unterirdische Speicherung von CO2 (CCS) könne man längerfristig nicht verzichten. Bei der Veränderung des Lebensstils hat der Physiker auch eine klare Meinung: "Kein Wissenschaftler kann den Menschen vorschreiben, wie sie leben oder was sie essen sollen", sagte Skea. Individueller Verzicht sei gut, werde aber den großen Wandel nicht herbeiführen. Damit man klimabewusster leben könne, bräuchte es eine ganz neue Infrastruktur.
Rahmstorf: Klimakrise anpacken, "wie in einer Kriegssituation"
Auf die Aussagen des neuen IPCC-Chefs Skea zum 1,5-Grad-Ziel nahm Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung direkt Bezug. Politisch sei das Ziel angesichts der Weltlage praktisch nicht mehr zu halten, sagte er dem Deutschlandfunk. "Physikalisch kann man es noch erreichen, aber dazu müsste man es eben anpacken, wie, wenn man in einer Kriegssituation ist und das einfach die Top-Priorität hat, die 1,5 Grad zu halten. Realistisch ist es natürlich so, dass die allermeisten Regierungen das eben leider nicht als Top-Priorität behandeln. So werden wir es auf keinen Fall schaffen."
Rahmstorf macht dafür auch mangelnde politische Ambitionen verantwortlich. Es fehle nicht an Lösungen, sondern am Willen. Vielen Politikern sei die Dringlichkeit der Lage noch immer nicht klar, sie informierten sich nicht ausreichend. Nach Versäumnissen in vorangegangenen Regierungen behandle nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz das Thema nicht mit Priorität.
Mit Blick auf die aktuellen Rekordtemperaturen im Mittelmeerraum - an Land wie im Meerwasser, sowie Extremwetterereignisse der letzten Wochen sieht Rahmstorf einen klaren Bezug zur Erderhitzung. Eine Untersuchung der ETH Zürich habe bereits im letzten Jahr ergeben, dass schon jetzt an jedem Tag das Wetter anders sei, als dies ohne Klimakrise der Fall wäre. Auch die Brände im Mittelmeerraum sieht Rahmstorf in einem Zusammenhang mit der Klimakrise. Die Brandursache sei zwar in der Regel durch Menschen veranlasst, Trockenheit und Hitze sorgten aber dafür, dass die Brände ein solches Ausmaß erreichen würden.
Quelle: ntv.de, ses