
Die Vogelgrippe greift in bislang nicht bekanntem Ausmaß um sich. Außer in Australien und der Antarktis gibt es auf allen Kontinenten Nachweise.
(Foto: picture alliance/dpa/PA Wire)
Auf der ganzen Welt verenden derzeit massenhaft Tiere an der Vogelgrippe. Dabei sind längst nicht mehr nur Vögel betroffen. Das Virus befällt auch immer mehr Säugetiere. Ist der Sprung zum Menschen also nicht mehr weit?
Derzeit grassiert weltweit die schwerste jemals dokumentierte Vogelgrippe-Welle. Zig Millionen Wildvögel sind bereits gestorben. Die genaue Zahl kennt niemand. Inzwischen infizieren sich aber auch immer mehr Säugetiere. Bei Delphinen, Robben, Ottern, Waschbären, Mardern und zuletzt auch bei vier toten Füchsen in Deutschland wurde das H5N1-Virus bereits nachgewiesen. Die Sorge wächst: Ist der Sprung zum Menschen nicht mehr weit?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont, dass mit der Ausweitung der Vogelgrippe auch die Gefahr für eine Ausbreitung unter Menschen wächst. Allerdings sei dies "kein Anlass zur Panik", sagte die Direktorin der WHO-Abteilung für die Vorbereitung auf Infektionsgefahren, Sylvie Briand, in Genf. "Aber wir müssen prüfen, wie gut wir vorbereitet sind."
Massensterben unter Robben
Erst vor kurzem hatte ein Massensterben unter Robben für großes Aufsehen gesorgt: Einem US-Forschungsteam der Tufts University in Medford zufolge starben allein im Juni und Juli 2022 entlang der Nordatlantikküste mehr als 330 Seehunde und Kegelrobben an der Vogelgrippe. Dieser Befund, der im Fachjournal "Emerging Infectious Diseases" veröffentlicht wurde, reiht sich ein in ein Massensterben von 3500 Seelöwen in Peru, einem Robbensterben an der St.-Lorenz-Strom-Mündung in Kanada und einem ähnlichen Ereignis im Kaspischen Meer.
Dass H5N1 bei Wasservögeln zu fast 100 Prozent tödlich verläuft, ist bekannt. Die Studie zeigt nun, dass dies auch für Säugetiere gelten könnte: Alle Robben, die positiv auf das Virus getestet wurden, waren zum Zeitpunkt der Probenahme bereits tot oder erlagen dem Erreger kurz darauf.
Grad der Anpassung bisher ungewiss
Ob und inwiefern sich das Virus bereits an eine neue Klasse von Tieren angepasst hat, ist bislang ungewiss. Zumindest gibt es Vermutungen, dass sich das Virus direkt zwischen den Säugetieren verbreitet hat. Die andere Möglichkeit wäre, dass sich die Robben durch Exkremente eines kranken Vogels oder mit dadurch verunreinigtem Wasser angesteckt haben, oder indem sie einen infizierten Vogel gefressen haben.
Ein sporadisches Überspringen von Vogelgrippe-Viren auf Säugetiere konnte laut Friedrich-Löffler-Institut (FLI) zwar bereits mehrfach beobachtet werden - auch auf Menschen. Eine Übertragung scheint nach bisherigen Erfahrungen jedoch nur bei engem Kontakt mit erkrankten oder verendeten Vögeln sowie deren Produkten oder Ausscheidungen möglich, erklärt das Robert-Koch-Institut (RKI). Denn die Rezeptoren, an die das Virus in den Atemwegen von Vögeln bindet, sind in den Atemwegen von Säugetieren weniger verbreitet. Doch was, wenn das Virus mutiert?
"Unglaublich besorgniserregend"
Viele Fälle, in denen sich Menschen durch Kontakt zu Vögeln mit dem H5N1-Virus angesteckt hatten, verliefen milde. In Deutschland gab es bislang noch gar keinen bestätigten Fall. Es kann aber auch zu schweren Krankheitsverläufen kommen. Von den zwischen 2003 und 2022 weltweit bekannt gewordenen 868 Fällen von H5N1-Infektionen beim Menschen starben laut der Weltgesundheitsorganisation WHO mehr als die Hälfte der Erkrankten. Wie tödlich das Virus für Menschen wirklich ist, lässt sich laut Experten davon jedoch nicht ableiten. Denn Ansteckungen ohne oder nur mit milden Symptomen werden in der Regel nicht gemeldet und fließen nicht in die Statistik ein.
Dennoch könnte die Zahl der tödlichen Fälle steigen, wenn sich das Virus immer weiter an Säugetiere und schließlich an den Menschen anpasst. Erste Hinweise für die beunruhigende Entwicklung liefern nicht nur die amerikanischen Robben, sondern auch Nerze auf einer Farm in Spanien. "Unglaublich besorgniserregend", nennt Tom Peacock, Virologe am Imperial College in London, im Wissenschaftsmagazin "Science" den dortigen Vogelgrippe-Ausbruch im vergangenen Jahr. "Das Virus wurde möglicherweise von Nerz zu Nerz weitergeben - das ist eine neue Qualität."
Weitere Hürden vor gefährlicher Anpassung
Forscherinnen und Forscher fanden bei den Tieren Mutationen des Erregers, die dafür verantwortlich sind, dass sich das Virus besser in Säugetieren vermehren kann. "Die beobachteten Mutationen sind aber nur erste Schritte in Richtung einer Anpassung", teilt das FLI mit. Für eine effektive Übertragung von Säugetier zu Säugetier müsse das Virus eine Reihe weiterer Hürden überwinden - "wofür es bisher keine Anzeichen gibt". Die elf Mitarbeitenden der Nerzfarm in Spanien hatten sich nicht infiziert.
Die Gesundheitsbehörden sehen die häufiger werdenden Funde von an Vogelgrippe verendeten Säugetieren dennoch mit Sorge. Denn mit jeder Infektion besteht die Möglichkeit, dass es zu einer Anpassung kommt, die das Virus auch für Menschen gefährlich macht. Inzwischen ist das Virus über das ganze Jahr aktiv und nicht wie bisher nur im Herbst. Laut FLI ist dies ein Zeichen dafür, dass der Erreger widerstandsfähiger geworden ist.
Quelle: ntv.de