Erbrechen ist wenig erforscht Wenn Fliegen im Labor kotzen müssen
12.09.2025, 20:11 Uhr Artikel anhören
Eine Fruchtfliege im Labor, die sich nach dem Verzehr von Berberinlösung übergibt.
(Foto: Shi et al., Sci. Adv. 11, eadv1143)
Forschende entdecken durch Zufall, dass Fruchtfliegen ein erbrechensähnliches Verhalten zeigen. Dies könnte die Erforschung komplexer Organinteraktionen beim Erbrechen voranbringen.
Mageninhalt wieder erbrechen: Katzen und Hunde können das wie wir auch - typische Labortiere wie Mäuse und Ratten aber nicht. Darum ist Erbrechen ein recht wenig erforschtes Symptom, wie chinesische Forschende im Fachmagazin "Science Advances" erklären. Sie sehen ein winziges Wesen als geeigneten Modellorganismus für bestimmte Experimente an: die Fruchtfliege Drosophila melanogaster.
Das Team um Wei Zhang von der Tsinghua-Universität in Peking hatte für einen Fliegenfütterungstest den bitter schmeckenden Pflanzenstoff Berberin verwendet. "Unerwarteterweise beobachteten wir, dass Fliegen die Berberinlösung kurz nach der Einnahme ausspien", heißt es in der Studie. "Dies führte zu der Hypothese, dass es sich hierbei um eine erbrechensähnliche Reaktion handelte."
Komplexer Schutz des Körpers
Erbrechen ist häufig eine Schutzreaktion des Körpers - etwa, wenn toxische Substanzen aufgenommen wurden. Verdauungs-, Atmungs-, Nerven- und Herz-Kreislauf-System werden dabei koordiniert aktiv. Der Prozess an sich besteht aus zwei Hauptphasen: Würgen und Ausstoßen. Die molekularen Mechanismen und die Kommunikation zwischen den Organen, insbesondere zwischen Atmungs- und Verdauungssystem, seien noch unzureichend verstanden, heißt es von den Forschenden.
Von vielen Fliegenarten ist bekannt, dass sie beim Fressen Verdauungssäfte abgeben und die vorverdaute Nahrung dann wieder aufschlürfen. Funktionell handelt es sich dabei nicht um Erbrechen im eigentlichen Sinne.
Um der Reaktion der Fruchtfliegen genauer auf den Grund zu gehen, führten die Wissenschaftler eine Reihe von Tests und Analysen durch. In einem Experiment wurden den Fliegen etwa einen Tag lang Nahrung und Wasser entzogen, um ihre Abneigung zu verringern. Ausgehungert schlürften die Tiere dann binnen Sekunden große Mengen bitterer Berberinlösung, erkennbar an der Grünfärbung ihres Hinterleibs. "Kurz darauf zeigten sie eine Rüsselstreckung, gefolgt von kräftigem Ausstoßen der Lösung." Mithilfe genetischer und pharmakologischer Ansätze sei der vollständige Regulationsweg dafür identifiziert worden.
Fruchtfliegen als geeignete Tiermodelle
In der Summe bestätigten die Analysen, dass es sich bei dem durch Berberin induzierten Verhalten um eine Art Erbrechen und nicht um das bekannte Aufstoßen der Verdauungssäfte von Fliegen handelt, erläutern die Forschenden. Drosophila melanogaster könne ein ergänzendes genetisches Tiermodell zur Erforschung der komplexen Organinteraktionen beim Erbrechen sein, sind sie überzeugt. Trotz der großen Unterschiede bei Anatomie und Physiologie des Verdauungstrakts von Fliegen und Säugetieren wiesen bestimmte zum Erbrechen beitragende Signalwege funktionelle Ähnlichkeiten auf.
Viele Pflanzenfresser und Nagetiere sind nicht in der Lage, sich zu übergeben, um aufgenommene Giftstoffe wieder loszuwerden, bevor sie im Körper Schaden anrichten. Ein weithin bekannter Spruch zur Existenz von extrem Unwahrscheinlichem lautet zum Beispiel "Ich hab schon Pferde kotzen sehen". Tatsächlich ist das Verdauungssystem der Tiere so aufgebaut, dass sie sich in der Regel nicht übergeben. In Ausnahmefällen kommt der Mageninhalt allerdings durchaus wieder hoch, zum Beispiel, wenn der Magen überfüllt ist.
Wölfe wiederum würgen gefressenes Fleisch für ihre Welpen wieder hoch, auch Störche, Rabenvögel und Pinguine geben vorverdaute Nahrung so an ihre Brut weiter. Katzen und Greifvögel werden über Erbrechen Haarballen, Knochen und Federn ihrer Beute los, Aasgeier wehren mit säurehaltiger Kotze Raubtiere ab. Und, nicht zu vergessen: Honig ist letztlich eine Art Bienenkotze - im Honigmagen durch Zusatz bestimmter Enzyme bearbeiteter und wieder ausgespuckter Blütennektar.
Quelle: ntv.de, Annett Stein, dpa