
"Ich trauerte um all die Energie, die mich auf dem Rad mühelos durch Berlin getragen hatte."
(Foto: L. Wessling)
Nach einer Corona-Infektion 2022 schleppt sich unser Autor monatelang zur Arbeit. Er wird einfach nicht gesund. Schließlich muss er sich eingestehen: Es ist Long Covid. Fünf Jahre nach dem ersten Corona-Fall in Deutschland blickt er zurück auf einen Kampf gegen einen nicht greifbaren Gegner.
Im dritten Pandemiesommer legt ein doppelter Strich mein Leben lahm. Ich bin in Frankreich Rennrad fahren. Den ganzen Tag über fühle ich mich nicht wohl im Sattel, am Abend setzt das Fieber ein. Also gehe ich auf mein Zimmer und teste mich. Ungläubige Ohnmacht überkommt mich, als langsam die Flüssigkeit über den Teststreifen kriecht, erst einen deutlichen roten Strich auf das Papier malt und dann einen blassen zweiten.
Damals dachte ich: nicht jetzt. In den Monaten danach immer öfter: bitte nicht ich. Über Long und Post Covid wurde schon viel geredet und meine Symptome passten leider nur zu gut. Doch ich klammerte mich an die Hoffnung, die Kopfschmerzen und die unendliche Müdigkeit würden bald verfliegen: Post-Covid-Patient? Will ich nicht sein. Einige Tage blieb ich krank zu Hause, ging dann aber wieder ins Büro und machte damit alles nur noch schlimmer. Ich hielt zwei, drei Tage durch, bis die Buchstaben auf dem Bildschirm verschwammen. Mir wurde schlecht vor Schwindel. Danach war ich eine Woche lang kaum fähig, das Bett zu verlassen.
So ging das mehrere Monate. Meine Hausärztin überwies mich in die Post-Covid-Ambulanz der Berliner Charité. Aber ich gab nicht auf: Nächste Woche bin ich zurück in der Redaktion, sagte ich mir. Doch Sonntagnacht bekam ich Schweißausbrüche, aus Angst vor dem Montag, an dem ich mich entweder kraftlos ins Büro schleppte oder mir die nächste Krankschreibung holte. Bis meine Ärztin mich schließlich für einen ganzen Monat krankschrieb. Da dämmerte mir: Es ist ernst.
Auslöser: weiter unbekannt
Der Begriff Long Covid tauchte erstmals im Mai 2020 auf Twitter auf. Eine Forscherin nutzte ihn, um Symptome zu benennen, die auch Wochen nach einer Corona-Infektion andauern. Drei Monate später war der Begriff etabliert, auch bei der WHO. Im Sommer 2021 stellte das deutsche Gesundheitsministerium eine Long-Covid-Initiative vor, die über das Krankheitsbild informieren und Betroffene unterstützen sollte.
Mittlerweile sprechen Ärztinnen und Ärzte von Long Covid, wenn die Beschwerden auch vier Wochen nach einer Covid-Infektion nicht abgeklungen sind. Nach zwölf Wochen von Post Covid. Die Bundesregierung geht für Deutschland in beiden Fällen von einer "sechsstelligen Zahl" Betroffener aus. Im Jahr 2023 litten in Europa geschätzte 36 Millionen Menschen an länger anhaltenden gesundheitlichen Folgen einer Covid-Infektion.
- Abwehrsystem greift körpereigene Zellen an (Autoimmunreaktion)
- Anhaltende Entzündung, da das Coronavirus das Abwehrsystem langfristig aktiviert
Reste des Coronavirus im Körper sorgen fortlaufend für Beschwerden
- Aktivierung anderer, im Körper schlummernder Viren durch das Coronavirus
- Gestörte Durchblutung durch winzige Gerinnsel (Microclots)
- Beeinträchtigter Energiestoffwechsel in den Zellen
- Gestörte Darmflora durch Veränderungen der Zusammensetzung der Bakterien im Darm
- Fehlfunktion des Hirnstamms oder des Vagus-Nervs
Was genau Long und Post Covid auslöst, ist bislang unklar. Die Forschung hat jedoch verschiedene mögliche Mechanismen identifiziert (siehe Infobox). Gut zehn Prozent der an Long Covid Erkrankten erholen sich auch nach Jahren nicht - warum, ist noch ein Rätsel.
Stromtherapie in der Badewanne
Wie schwer es ist, einen Gegner zu bekämpfen, den man nicht kennt, erlebte ich in der Post-Covid-Ambulanz. Niemand weckte dort falsche Hoffnungen: "Wir probieren es mal aus, manchen Patienten hilft das", hieß es. Ich bekam Zwerchfellmassagen und Lymphdrainagen. Ein paar Mal durfte ich mich in eine Badewanne legen, an deren Seiten handtellergroße Metallplatten geschraubt waren. Ich legte mich ins warme Wasser, ein Physiotherapeut stellte den Strom an. Es kribbelte. Nach einer halben Stunde in der Wanne war ich noch schlapper als zuvor.
In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Behandlung von Post Covid verändert: Medikamente werden testweise eingesetzt, die für andere Krankheiten bereits zugelassen sind und gegen Erschöpfung und Konzentrationsstörungen helfen sollen. Forschende experimentierten damit, das Blut von Betroffenen zu reinigen. Einigen Patienten wird reiner Sauerstoff verabreicht. Ob all diese Therapien aber wirklich helfen, ist bisher nicht ausreichend belegt. Die meisten Menschen werden weiter symptomorientiert behandelt: Bei Herzproblemen geht es zum Kardiologen, bei Atemnot kümmert sich eine Lungenärztin.
Was die Behandlung erschwert: Es gibt viele Symptome, aber noch keinen einheitlichen Weg, Long oder Post Covid zu diagnostizieren. Es gibt keine Messwerte, die bei Betroffenen besonders auffällig sind. Ich nahm an einer Studie teil, bei der solche Biomarker für die Krankheit gefunden werden sollten. Dafür wurde ich verdrahtet, bekam einen Sauerstoffsensor an den Zeigefinger, Gel auf die Kopfhaut und darüber eine Haube, in die Dutzende Kabel gesteckt wurden. Zehn Minuten musste ich im Raum auf und ab gehen. Danach schlängelten sich Kurven über den Bildschirm. Die Forscher wollten meine Werte mit denen anderer Menschen vergleichen: mit gesunden und solchen, die an Burn-out leiden.
Der Neid tat mir gut
Gut ein Jahr nach meiner Infektion hatte ich gelernt, mit der Krankheit umzugehen: Ich zwang mich zur Ruhe, damit mein Körper mich nicht zwang. Und die schlimmen Rückschläge blieben tatsächlich aus. Zu dieser Zeit bewilligte mir die Rentenkasse zwei Wochen in einer Reha-Klinik im brandenburgischen Sommerfeld. Das Ziel: Sie wollte mich wieder arbeitsfähig machen, damit ich wieder einzahle - und ich wollte das auch.
Meine Station war auf Lungenkranke spezialisiert. Nachts brummten auf dem Gang die Sauerstoffgeräte. Ich war der Fitteste dort. Plötzlich wurde ich nicht mehr als jemand wahrgenommen, der den ganzen Tag zu Hause saß, sondern als vergleichsweise sportlicher, junger Mann. Ich wurde beneidet. Das tat mir gut.
Denn auch das ist schrecklich an Post Covid: die Unsicherheit, die Angst, der Verlust. Bei den Betroffenen, die ich in den vergangenen Jahren kennengelernt habe, ist es ähnlich. Schwere Krankheiten bringen immer große mentale Belastungen mit sich. Doch bei Post Covid kommt hinzu, dass niemand dir sagen kann, wie schwer du erkrankt bist. Niemand weiß, wie lange du leiden wirst oder ob es Hoffnung auf Heilung gibt. Viele Betroffene finden den Weg zurück ins Leben - aber nicht alle.
Trauer um meine Zukunft
Betroffene berichten zudem, mit ihrer Krankheit nicht ernst genommen zu werden. Mir ist das glücklicherweise nur selten passiert. Mein Umfeld hat mich immer unterstützt, meine Chefs sagten immer wieder, ich solle mir so viel Zeit nehmen wie nötig. Und dennoch habe ich manchmal gezweifelt, ob ich mir das nicht doch alles einbilde; so unwirklich erschien es mir, dass ausgerechnet ich mittags reglos auf dem Sofa lag: Ich, ein 27-Jähriger, der gerne kurz vor 5 Uhr für eine Frühschicht in der Redaktion aufstand, weil er dann den ganzen Nachmittag hatte, um Basketball zu spielen.
Oft trieb mich die Krankheit in Abgründe, ließ mich verzweifeln. Manchmal saß ich apathisch im Park und schaute anderen traurig beim Joggen zu. Manchmal machte mich mein Schicksal so wütend, dass ich weinend auf mein Kopfkissen eindrosch, bis ich keine Kraft mehr dafür hatte. Was meist nicht allzu lange dauerte.
Ich hatte mir schon Monate vor der Reha eine Therapeutin gesucht, um mit der psychischen Belastung fertig zu werden. Zu schwer wog der Verlust so vieler Dinge, aus denen ich mein Leben lang großen Selbstwert gezogen hatte: die Denkarbeit, das Schreiben, der Sport. Ich trauerte um all die Energie, die mich auf dem Rad mühelos durch Berlin getragen hatte, Tag für Tag. Ich trauerte um meine Zukunft als Journalist. Für diese Trauerarbeit benötigte ich professionelle Hilfe.
Trotzdem war ich geschockt, als die Psychiaterin der Reha-Klinik mir vorschlug, Antidepressiva zu nehmen, um wieder arbeitsfähig zu werden. Mich fröstelte: Gerade eben hatte sie mir noch so verständnisvoll zugehört, nun wollte sie mich auf Medikamente setzen?
"Die Angst wird nicht helfen"
"Sie haben Angst", erklärte die Psychiaterin, "zu Recht". Meine Angst davor, wieder ins Büro zu gehen, sei begründet: Die ersten Monate nach der Erkrankung, in denen ich immer wieder versucht hatte, zu arbeiten und immer wieder gescheitert war, hätten Spuren hinterlassen. "Aber Ihre Angst wird Ihnen nicht helfen", warnte die Psychiaterin. Sie hatte einen Punkt: Meine Angst, meine Vorsicht waren lange ein nötiger Selbstschutz gewesen. Doch jetzt blockierten sie meinen Weg zurück in die Redaktion.
Ich stimmte zu, das Antidepressivum zu testen. Mit dem medizinischen Personal entwickelte ich einen Wiedereinstiegsplan: Ich würde erst zwei Stunden am Tag arbeiten, dann drei, dann vier. Nach zwei Monaten sollte ich wieder normale Arbeitstage schaffen.
Long und Post Covid hemmen ganze Volkswirtschaften: In Deutschland fehlen Betroffene wissenschaftlichen Berechnungen zufolge im Schnitt 84 Tage bei der Arbeit. Pro Jahr gehen 3,4 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung verloren. Auch Gesundheitssystem und Rentenkasse werden belastet: mit 1,7 Milliarden Euro zusätzlicher Kosten.
Der Körper streikt wieder öfter
Mein erster Arbeitstag naht. Die Infektion liegt mehr als ein Jahr zurück. Ich mache mir Sorgen, aber nicht um den Beginn. Respekt habe ich vor der Aussicht, bald wieder Vollzeit arbeiten zu sollen. Doch schon der erste Tag überfordert mich völlig. Nach zwei Stunden fahre ich verzweifelt nach Hause. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder acht Stunden am Stück zu arbeiten.
Mit der Zeit aber gewöhne ich mich an die Belastung. Ich entwickele Strategien, zwinge mich zu Pausen, arbeite morgens aus dem Büro und nachmittags von zu Hause. Ich bin so glücklich, wieder schreiben zu können, dass mir erst nach einem Monat auffällt: Ich habe den Wiedereinstiegsplan falsch gelesen und bin schneller als vereinbart bei sechs Stunden Arbeitszeit angekommen.
In der Folge gewinne ich all das zurück, was ich so vermisst habe: Ich schreibe Reportagen, führe Interviews, düse durch Berlin und mache Fahrradurlaub am Fuß der italienischen Alpen, trinke Kaffee mit Freunden und liege nicht mehr auf dem Sofa, sondern im Park. Doch bin ich geheilt? Seit dem vergangenen Herbst streikt mein Körper wieder öfter. Trotzdem bleibe ich zuversichtlich. Ich will das sein. Ich darf das sein. Viele andere Menschen mit Post Covid aber leiden weiter.
Quelle: ntv.de