"Die Allee", Frauen und Politik Wie Architekt Hermann Henselmann an der DDR mitbaute


Architekt Hermann Henselmann (l.) im August 1954 im "Café Warschau" in der Stalinallee, die ein paar Jahre später in Karl-Marx-Allee umbenannt wurde. Einige Bauten der Magistrale hatte er entworfen.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Stalinallee, Fernsehturm und Kongresshalle in Berlin oder Leipziger Uni-Hochhaus: Die Entwürfe von Hermann Henselmann prägen das Bild der DDR entscheidend mit. Seine Ideen von Bauhaus, Avantgarde und Moderne kann er dabei aber kaum durchsetzen. In "Die Allee" führt seine Enkelin durch sein Leben - und das seiner Familie. Hochspannend.
DDR-Architektur - das sind doch diese Plattenbauten? Wie in Berlin-Marzahn oder Leipzig-Grünau? Ja, schon - aber auch Bauwerke der Moderne wie die Kongresshalle, das Haus des Lehrers und der Fernsehturm in Berlin oder das Uni-Hochhaus in Leipzig, das an ein aufgeschlagenes Buch erinnert. Oder der sozialistische Prachtboulevard Stalinallee, später Karl-Marx-Allee, in Berlin. Die Entwürfe dazu oder zumindest Teile davon stammen von Hermann Henselmann, Mitbegründer der Ostmoderne, lange Zeit Chefarchitekt der DDR. In ihrem Roman "Die Allee" führt seine Enkelin Florentine Anders durch sein Leben.
Sie tut das zum großen Teil aus der Sicht zweier Frauen in seinem Leben - seiner Ehefrau Irene von Bamberg, genannt Isi, und seiner Tochter Isa. Und doch ist Hermann Henselmann immer das Machtzentrum - cholerisch, charismatisch. Genialer Visionär, strenger, hart strafender Familienvater. Als 26-jähriger Architekt lernt er 1931 die zehn Jahre jüngere Isi kennen, erobert sie gegen alle Widerstände, sie wird schnell schwanger von ihm, treibt ab, später wird geheiratet, sie bekommen schließlich acht Kinder zusammen.
Die Handlung des Romans beginnt in eben jenem Jahr, 1931, und endet mit Henselmanns Tod 1995. Sie berührt also eine Vielzahl historischer Epochen und Ereignisse - die Weimarer Republik, die NS-Zeit, die Kriegs- und Nachkriegszeit, Stalinismus und Tauwetter, Ost-West-Annäherung, Hochrüstung, Mauerfall. Durch all diese Phasen laviert sich Henselmann durch, "Hakenschlagen" nennt er es selbst, um unter den sich ständig verändernden Bedingungen zu bestehen, ja zu überleben.
"Bessere Scheiße als alle anderen"
Als seine Entwürfe zur Stalinallee als zu westlich-dekadent-modernistisch kritisiert und verworfen werden, ändert er sie in die gewünschte Richtung - und kommentiert das mit "Wenn sie Scheiße wollen, baue ich ihnen bessere Scheiße als alle anderen". So gehen schließlich das Hochhaus an der Weberwiese, die Turmbauten am Frankfurter Tor und die Häuser am Strausberger Platz (wo die Familie schließlich selbst einzog) auf seine Entwürfe zurück, die er aber eher nach den Ideen des Bauhauses und der Neuen Moderne gestaltet hätte.
Und als er ein Regierungsgebäude für die neue sozialistische Bebauung in der Mitte der Hauptstadt der DDR entwerfen soll, brüskiert er die SED-Oberen, die ja schließlich seine Auftraggeber sind, mit dem Plan eines "Turms der Signale", etwa 300 Meter hoch, mit einer Kugel aus rotem Rubinglas. "Eine radikale Provokation", die in der Schublade verschwindet (und Jahre später so ähnlich doch aufgegriffen wird, mit dem Bau des Fernsehturms).
Billig statt Baukunst
Henselmann ist daraufhin seinen Chefposten los - nicht das einzige Mal in seinem Leben. Zwischenzeitlich wird er in die "Typisierung" verbannt, wo es weniger um Baukunst als vielmehr um schnelles und billiges Bauen geht - doch auch hier versucht er seine Ideen der Wohnungen, in denen sich Menschen wohlfühlen, umzusetzen. So entstehen etwa die schlangenförmig geschwungenen Wohnbauten am Leninplatz (heute Platz der Vereinten Nationen). Sein kühner Bibliotheksentwurf für den Platz hingegen wird verworfen, dafür die (von Henselmann verabscheute) neun Meter hohe Lenin-Statue dort aufgestellt.
Er bewährt sich, wie es im DDR-Jargon heißt, wird rehabilitiert, bekommt wieder größere Aufträge und wichtigere Posten - dieses Ausprobieren, vor und zurück, wie weit kann ich gehen?, das zieht sich durch Henselmanns gesamtes Leben. Auch durch das Privatleben, seine Ehe mit Isi. Die er abgöttisch liebt, mit zärtlichen Briefen und Liebesbotschaften überhäuft - und schamlos betrügt, offen, vor aller Augen. Seine Frau, eigentlich selbst Architektin, aber als Mutter von acht Kindern immer wieder aus dem Berufsleben gerissen, schwankt zwischen Abhängigkeit, Eifersucht und dem Drang nach Selbstbehauptung.
Auch die Beziehung zu den Kindern (und Enkeln): ohne Übertreibung problematisch zu nennen. Henselmann ist streng und fordernd, aber auch fördernd - in seinem Sinne. Er will die Kinder nach seinem Bild formen, drängt ihnen etwa Bücher zum Lesen auf, die er für wichtig hält. So schwanken auch die Kinder zwischen Respekt und Angst; manche fliehen geradezu aus dem Elternhaus, ziehen früh aus. Aus dem Elternhaus, das am Strausberger Platz geteilt war in einen Erwachsenen- und einen Kindertrakt. Mit Haushälterin, Salons, vielen illustren Gästen, Cognac, Zigarren, auch die Künstlerwelt kehrt hier ein. Große Namen tauchen auf - Bert Brecht, mit dem er befreundet ist; Wolf Biermann, den er nicht leiden kann, weil der seine Nichte Sibylle geschwängert hat; Brigitte Reimann, auch eine Freundin. Und natürlich die Havemanns - der Regimekritiker Robert Havemann war verheiratet mit Isis Schwester Karin; auch sie lebten im "Haus des Kindes" am Strausberger Platz.
Historisches und Privates
So ist in "Die Allee" alles drin: Glamour, Kunst, Theater, freie Liebe, Drama, die große weite Welt - aber auch DDR-Tristesse, die Stasi, staatliche Willkür, der Einfluss der SED-Führung und der Sowjetunion, alles eingebettet in die Zeitläufe. Es sollte ursprünglich ein Sachbuch werden, und das merkt man ihm auch noch an - der mit Anders befreundete Autor Volker Kutscher schlug ihr nach dem Lesen des Entwurfs vor, es doch als Roman zu verfassen, so käme man den Figuren näher. So wirkt "Die Allee" eher wie ein Sachbuch in Romanform; Florentine Anders geht chronologisch vor und verwebt in den einzelnen kurzen Kapiteln Historisches mit Privatem. Das Private speist sich aus Erinnerungen ihrer Großmutter und Mutter und ihrer eigenen Sicht und Vorstellung, wie es gewesen sein könnte.
Das ist viel Stoff, fast zu viel - aber die Verknüpfung ist gut gelungen. Die Lebensgeschichten der Henselmanns und Co sind auch einfach fesselnd, schillernd, fast unglaublich - eine hochspannende Lektüre mit gleichzeitigem Geschichtsunterricht.
Quelle: ntv.de