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Straftäter abschieben, aber wie? Ein Polizist ist tot und der Bundestag zofft sich

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Tränen im Blumenmeer: Polizisten trauern auf dem Marktplatz von Mannheim um ihren dort ermordeten Kollegen Rouven L.

Tränen im Blumenmeer: Polizisten trauern auf dem Marktplatz von Mannheim um ihren dort ermordeten Kollegen Rouven L.

(Foto: picture alliance/dpa)

Einen Tag vor der Beisetzung des von einem Islamisten ermordeten Polizisten Rouven L. debattiert der Bundestag über notwendige Konsequenzen aus dem Attentat. Über gegenseitige Schuldzuweisungen kommen die Redner dabei selten hinaus.

Zumindest im Grundsatz herrscht Einigkeit zwischen allen Fraktionen im Bundestag: Wer nicht Staatsbürger dieses Landes ist und schwere Straftaten begeht, soll nach Verbüßung seiner Strafe abgeschoben werden - auch nach Afghanistan und Syrien. Es folgen Aber-Sätze: Aber darum kümmern wir uns doch schon, sagt die SPD. Aber dann handeln Sie auch, statt nur anzukündigen, sagt die Union. Aber nicht um jeden Preis, sagen die Grünen. Aber wenn wieder in diese Länder abgeschoben wird, dann gleich alle Afghanen und Syrer ohne dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, sagt die AfD.

Am Freitag wird der von einem islamistisch motivierten Afghanen ermordete Polizist Rouven L. in Mannheim beigesetzt. Die Debatte über die Konsequenzen aus diesem Verbrechen wurde im Parlament zu einer Arie an Schuldzuweisungen. Alle wollten immer schon gewarnt und Abwehrmaßnahmen vorgeschlagen haben. Verständlicherweise will niemand die politische Verantwortung für ein so abscheuliches Verbrechen tragen. Und tatsächlich scheint der Messermord von Mannheim nur begrenzt geeignet, um über sinnvolle Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit Zuwanderern zu diskutieren.

Der Attentäter war vor der massiven Zunahme der Einwanderungszahlen im Jahr 2015 als minderjähriger Kriegsflüchtling ins Land gekommen. Er war bis zum Tag des Anschlags keiner Sicherheitsbehörde negativ aufgefallen. Anders als von der AfD und anderen interessierten Kreisen dargestellt, war er auch nie ausreisepflichtig, sondern genoss einen immer wieder verlängerten Schutzstatus.

Dennoch stellt sich zumindest die Frage nach Suleiman A.s künftigem Verbleib in der Bundesrepublik: Deutschland schiebt wegen der dortigen Sicherheitslage prinzipiell niemanden nach Afghanistan ab. Zudem fehlen zur Abwicklung von Abschiebungen Ansprechpartner in Kabul. Kontakte zum herrschenden Regime hat die Bundesregierung auf das Allernötigste reduziert, wie alle anderen westlichen Staaten auch. Keinesfalls sollen die Taliban durch Gespräche auf Augenhöhe diplomatische Aufwertung zu einer ganz normalen Regierung erfahren.

Ein Gefängnis nach drei Seiten

In der von CDU und CSU beantragten Debatte verwies die Union auf 14 von ihr vorgeschlagene Maßnahmen zur Abwehr von islamistischem Terrorismus. Nicht alle Punkte beziehen sich auf die Frage von Abschiebungen. Es geht etwa auch um die Frage der präventiven Speicherung von IP-Adressen. Diese dienen zur Identifikation von internetfähigen Endgeräten. Die Ampel hat sich wegen grundrechtlicher Bedenken insbesondere aus der FDP bisher nicht auf eine Regelung verständigen können.

"Wir wollen den unbefristeten Ausreise-Arrest, selbstverständlich nach Verbüßung der Strafe. Und zwar so lange, bis der Straftäter freiwillig ausreist nach Afghanistan oder Syrien", sagte Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Er sprach von einem nach drei Seiten geschlossenen Gefängnis für ausländische Straftäter. Einziger Ausweg: die Rückkehr ins Herkunftsland. "Den Rückweg in die deutsche Gesellschaft, die hat er sich selbst verwirkt", sagte Throm.

Eine potenziell unbefristete Inhaftierung erscheint aber kaum vereinbar mit dem Grundgesetz, dem EU-Recht sowie etwaigen internationalen Konventionen. Die Union habe schon vor eineinhalb Jahren Abschiebungen auch nach Afghanistan gefordert, betonte Throm. Bundeskanzler Olaf Scholz habe inzwischen ein Einsehen - "aber dafür musste erst ein Polizist sterben".

Es sind heftige Anwürfe, die die Union vorträgt. Throm spricht von "Überheblichkeit und Arroganz" bei den Grünen. Seine Fraktionskollegin Andrea Lindholz attestiert der Ampel eine "Politik der leeren Phrasen und der Nebelkerzen", welche die Menschen satthätten. Lindholz nahm das laufende Aufnahmeprogramm für ehemalige Helfer der Bundeswehr in Afghanistan in den Blick. Die Bundesregierung unterhalte offensichtlich technische Kontakte nach Kabul, um Afghanen nach Deutschland zu bringen. "Dann nutzen Sie Ihre Kontakte endlich auch, um Menschen aus dem Land zu bringen."

SPD wirft Union Instrumentalisierung vor

SPD-Innenpolitiker Daniel Baldy antwortete Lindholz: "Das ist billigster Populismus und wenn Sie das fordern, dann hätten Sie das auch schon mal vor drei Jahren anstoßen können." Damals hatte die Union noch die Bundesregierung angeführt. Auch der Sozialdemokrat Sebastian Hartmann unterstellte CDU und CSU eine politische Inszenierung. "Wir beklagen den Tod eines Polizisten und Sie führen eine weiteren innenpolitischen Kotau auf." Das sei "angesichts der bevorstehenden Beerdigung wirklich unangemessen", sagte Hartmann.

Er und Baldy verwiesen darauf, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser bereits Möglichkeiten zur Abschiebung von Straftätern auch nach Syrien und Afghanistan prüfe. Zudem habe die Ampel die Bundespolizei mit einem deutlichen jährlichen Stellenaufwuchs gestärkt, die Vergütung der Bundespolizisten verbessert, Grenzkontrollen eingeführt und die Liste für Abschiebungsgründe erweitert und verschärft.

Grüne fragen nach praktischer Umsetzung

Die Grünen verwahrten sich in der Debatte gegen den von der Union erhobenen Vorwurf, sie würden die Abschiebung von Straftätern aus ideologischen Gründen ausbremsen. Ihre Partei habe "schon 2020 gefordert, Straftäter und Gefährder abzuschieben", sagte die Innenpolitikerin und Parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic. Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU habe Abschiebungen nach Afghanistan im August 2021 gestoppt, weil nach der Machtübernahme durch die Taliban die Abwicklung zu riskant geworden sei für die beteiligten Beamten. "Sie wollen jetzt unsere Bundespolizistinnen und Bundespolizei dieser Gefahr aussetzen? Das kann doch nicht ihr Ernst sein", sagte Mihalic.

Die langjährige Polizistin Mihalic warnte ferner vor den praktischen Folgen einer Abschiebung islamistischer Straftäter: "Die kommen in Kabul an, die werden von den Taliban gefeiert wie Helden (...) und am besten mit falscher Identität wieder zurückgeschickt, damit sie den nächsten Anschlag verüben können."

Ihre Fraktionskollegin Lamya Kaddor versicherte ebenfalls, dass die Grünen "klipp und klar hinter der Abschiebung von Straftätern" stünden. Aber: "Politik sollte nichts versprechen, was sie so nicht halten kann." Die Unionsabgeordneten sollten erklären, "wie Sie solche Rückführungen rechtsstaatlich durchführen wollen". Die Taliban nähmen afghanische Staatsbürger nicht einfach so zurück, sondern forderten im Gegenzug Geld und diplomatische Anerkennung.

Immer wieder kursiert in der Debatte um Abschiebungen nach Afghanistan das Beispiel Schweden. Doch das EU-Land ist so gerade einmal fünf Menschen an das Taliban-Reich losgeworden und niemand weiß genau, wie.

AfD will das Original bleiben

Fragen der praktischen Umsetzung adressieren die Redner der AfD nicht. Gottfried Curio nennt ebenfalls das Beispiel Schweden sowie die Türkei, die aber nicht dieselben Berührungsängste zu den Taliban hat. Wenn Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien möglich seien, sagte Curio, "dann muss man es natürlich mit allen abgelehnten Asylbewerbern tun". Die AfD suggeriert, dass Afghanen und Syrer grundsätzlich abschiebungspflichtig seien. Nur die allerwenigsten von ihnen haben einen individuellen Asylstatus zugesprochen bekommen. Die meisten sind dagegen nur temporär vor Abschiebung geschützt wegen des anhaltenden Krieges und staatlichen Terrors in ihren Heimatländern.

Curio und sein AfD-Fraktionskollege Steffen Janich war in der Debatte sehr daran gelegen, die AfD als das Original in Sachen harter Migrationspolitik zu markieren. Mit Blick auf die Kriminalitätsentwicklung sage sich die Union: "Wir müssen noch mehr von der AfD abschreiben." Doch dem sei nicht zu trauen: Solange die Union lieber mit den anderen Parteien kooperiere als mit der AfD, wolle sie nur "blenden und verhindern", sagte Curio.

Bemerkenswerter noch als die Abgrenzung der AfD von der Union, war die Kritik von Sozialdemokrat Hartmann am eigenen Koalitionspartner FDP: In der Frage der Speicherung von IP-Adressen erwarte er sich "Tat statt Wort". Die SPD ist offen für deutlich längere Speicherungsfristen als die mit ihr regierenden Freidemokraten. Und: Ein "Sparhaushalt" könne nicht die Antwort auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen Deutschlands sein. So wurde der denkbar brutale Tod eines jungen Polizisten sogar zum Argument im Haushaltsstreit der Bundesregierung. Die Debatte erzählte mehr von Spannungen in Berlin als von den dramatischen Ereignissen im fernen Mannheim.

Quelle: ntv.de

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