Politik

Moskau zerrt an Moldau "Die Präsenz russischer Truppen auf unserem Territorium ist illegal"

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Die russische Ehrengarde marschiert während einer Gedenkveranstaltung durch Tiraspol in Transnistrien - die Regierung in Chișinău fordert den Abzug der russischen Truppen.

Die russische Ehrengarde marschiert während einer Gedenkveranstaltung durch Tiraspol in Transnistrien - die Regierung in Chișinău fordert den Abzug der russischen Truppen.

(Foto: IMAGO/SNA)

Moskau will Moldau nicht nur durch hybride Attacken destabilisieren. Warum die Regierung in Chișinău trotzdem keine Angst hat und auch die pro-russische Region Transnistrien von einem EU-Beitritt profitieren würde, erklärt Moldaus Vize-Ministerpräsidentin für EU-Integration, Cristina Gherasimov.

ntv.de: Die Republik Moldau ist seit Juni 2022 ein EU-Beitrittskandidat, und im Dezember 2023 beschloss die Europäische Union, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Sollte sich Russland durch die EU-Perspektive der Republik Moldau bedroht fühlen?

Cristina Gherasimov: Es ist schwer vorstellbar, wie ein Land mit weniger als drei Millionen Einwohnern eine Bedrohung für eine Atommacht mit 144 Millionen Einwohnern sein kann. Die EU ist ein Friedensprojekt. Sie wurde geschaffen, um die Unterschiede zwischen den Ländern beiseitezulegen und gemeinsam am kollektiven Wohlstand der Bürger zu arbeiten. Wie kann also ein Friedens- und Wohlstandsprojekt für Russland bedrohlich sein? Das ist für mich nur schwer vorstellbar.

Cristina Gherasimov ist Chefunterhändlerin für den Beitritt der Republik Moldau zur EU.

Cristina Gherasimov ist Chefunterhändlerin für den Beitritt der Republik Moldau zur EU.

(Foto: Igor Turcan)

Die Region Transnistrien an der Grenze zur Ukraine löste sich Anfang der 1990er-Jahre von der Republik Moldau und wird von einer pro-russischen Regierung verwaltet, die international nicht anerkannt ist. Inwiefern behindert der Konflikt mit Transnistrien Ihre Bemühungen um einen EU-Beitritt?

Der Transnistrien-Konflikt wird in Brüssel nicht als Problem für unseren europäischen Integrationspfad gesehen. Die transnistrische Region ist bereits in den europäischen Markt integriert. Wir sehen, dass die Region Transnistrien etwa 70 Prozent ihrer Waren und Dienstleistungen auf den europäischen Markt exportiert, und zudem kommen 56 Prozent ihrer Importe aus den EU-Mitgliedstaaten.

Die Anhänger der pro-russischen Separatisten, die in Transnistrien leben, werden also nicht gegen den EU-Beitritt protestieren, wenn er vollzogen wird?

Jeder will Frieden. Niemand will, dass Moldau in einen Krieg hineingezogen wird. Unsere Gesellschaft hat diese Einheit bewiesen, als wir die ukrainischen Flüchtlinge willkommen hießen. Moldau bewegt sich in die EU. Die Mehrheit unserer Bürger unterstützt diesen Weg. Ein Referendum über den pro-europäischen Kurs der Regierung ist für Ende dieses Jahres geplant, um dies zu belegen. Aber Russland arbeitet aber daran, diesen Weg mit verschiedenen Instrumenten zu behindern, auch durch Desinformation.

Die pro-russischen Separatisten in Transnistrien baten Moskau kürzlich auf einem Sonderkongress um "Schutz" vor der Republik Moldau. Es war nicht die erste Bitte dieser Art. Was wollen die Separatisten damit erreichen?

Russland nutzt die transnistrische Region, um Druck auf Moldau auszuüben. Aber wir werden nicht in die russische Falle tappen. Die Republik Moldau unternimmt Schritte zur friedlichen Wiedereingliederung des Landes. Das bedeutet auch, die transnistrische Region in den konstitutionellen, fiskalischen und finanziellen Raum des Landes zu bringen. Die sogenannten Behörden in der transnistrischen Region hingegen wollen den Status quo erhalten. Moskau war aber nicht der einzige Adressat dieses Dokuments der pro-russischen Separatisten in dem sogenannten Sonderkongress. Es war an mehrere Organisationen gerichtet, darunter die UN, die OSZE, die EU und das Rote Kreuz.

Der Konflikt mit Transnistrien ist auch deshalb wieder aufgeflammt, weil die Republik Moldau angekündigt hat, dass sie Zölle auf Produkte erheben wird, die Transnistrien in die EU exportiert. Wird die Republik Moldau an der Steuer festhalten?

Es gibt eine gewisse Unzufriedenheit mit dem neuen Zollkodex, der Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist. Dieser Zollkodex ist jedoch vollständig an die EU-Anforderungen angepasst. Was er von den Unternehmen in der transnistrischen Region verlangt, ist, Zölle zu zahlen, wie jedes andere Unternehmen auf dem Territorium der Republik Moldau. Der Zollkodex entfernt das diskriminierende Element, das es vorher gab. Zuvor mussten Unternehmen in der transnistrischen Region im Gegensatz zu anderen Unternehmen in Moldau diese Zölle nicht zahlen. Der Kodex wurde 2021 verabschiedet. Es gab also drei Jahre, um sich auf sein Inkrafttreten vorzubereiten.

In Transnistrien sind immer noch rund 1500 russische Soldaten stationiert. Sehen Sie in der Präsenz russischer Truppen eine Bedrohung für Moldau?

Die Präsenz russischer Truppen auf unserem Territorium ist illegal. Es handelt sich um eine Verletzung der in unserer Verfassung verankerten Neutralität des Landes, die die Präsenz von Truppen anderer Staaten auf unserem Territorium verbietet. Außerdem haben wir das russische Munitionsdepot Cobasna, in dem bis jetzt etwa 20.000 Tonnen Munition gelagert werden. Der Großteil der Munition ist abgelaufen oder wird unter miserablen Bedingungen aufbewahrt. Wir fordern die Evakuierung der Munition. Wir fordern auch den Abzug der russischen Truppen. Wir haben die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für unsere Forderungen.

Sie fühlen sich von den russischen Truppen also nicht bedroht?

Die Stationierung der russischen Truppen ist eine Respektlosigkeit gegenüber unserer Unabhängigkeit und Souveränität. Wir haben mehrfach um ihren Rückzug gebeten. Wir hoffen, dass dies zum frühestmöglichen Zeitpunkt geschieht.

Sie sind die Chefunterhändlerin für den Beitritt der Republik Moldau zur EU. Eine wichtige Bedingung für den Beitritt ist die Bekämpfung der Korruption. Welche konkreten Maßnahmen setzen Sie dafür um?

Frühere Regierungen der Republik Moldau haben seinerzeit existierende Korruptionsschemata der sogenannten Behörden in Transnistrien unterstützt, sei es im Zusammenhang mit Energie oder Schmuggel. Aber dies wurde gestoppt, als die pro-europäische Regierung 2021 ihre Arbeit aufnahm. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die wir ergreifen. Wir haben zum Beispiel die Kapazitäten der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft erhöht. Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane von Richtern und von Staatsanwälten bis hin zu Richtern am Obersten Gerichtshof müssen sich jetzt einem unabhängigen Überprüfungsverfahren unterziehen. Außerdem haben wir einen Aktionsplan zur Deoligarchisierung und wir haben ein Gesetz verabschiedet, das Barzahlungen einschränkt, um zu verhindern, dass schmutziges Geld für unzulässige politische und wirtschaftliche Einflussnahme verwendet wird. Wir engagieren uns auch in der Korruptionsprävention. So helfen durch die Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen, dass unsere Bürger und Unternehmen effizienter mit dem Staat interagieren und reduzieren dabei auch das Korruptionsrisiko.

Nachdem ein Land EU-Beitrittskandidat geworden ist, können Jahrzehnte vergehen, bevor es Mitglied werden kann. Ist das manchmal frustrierend?

Das letzte Mal, dass ein Land der EU beigetreten ist, war 2013 in Kroatien. Die Umstände haben sich seitdem dramatisch verändert. Weder Moldau noch die EU haben den Luxus, weitere zehn Jahre zu warten. Bisher haben sich die Dinge für uns beispiellos schnell entwickelt. Wir konzentrieren uns jetzt auf unsere Hausaufgaben. Es hängt von uns ab, wie schnell wir bei der Umsetzung der Reformen vorankommen. Die Ukraine ist heute unser Schild. Sie schützt auch den gesamten europäischen Kontinent. Deshalb sollten die Verbündeten der Ukraine ohne zu zögern handeln, um die Ukraine weiter zu unterstützen, nicht morgen, sondern heute.

Wie versucht Russland, die Republik Moldau zu destabilisieren?

Russland setzt ein ganzes Arsenal an Instrumenten ein, um zu versuchen, unseren pro-europäischen Kurs zu ändern. Russland hat verstanden, dass die Moldauer Europäer sind. Also nutzt Russland jede erdenkliche Methode, um uns vom pro-europäischen Kurs abzubringen. Aber wir haben als Gesellschaft in diesem Prozess Widerstand gezeigt. Diese Resilienz beruht auch auf der Unterstützung, die wir in den letzten Jahren von unseren Partnern erhalten haben. Ein Beispiel hierfür ist die Unterstützungsplattform für die Republik Moldau.

Sie meinen die Initiative Deutschlands, Frankreichs und Rumäniens, um Moldau zu stabilisieren.

Ich meine die von Deutschland gemeinsam mit Frankreich und Rumänien ins Leben gerufene Moldau-Unterstützungsplattform, um unsere unmittelbaren Bedürfnisse zu unterstützen, als Russland im Februar 2022 die Ukraine angriff. Dafür bin ich den deutschen Behörden sehr dankbar, insbesondere Ihrer Außenministerin, Annalena Baerbock. Über diese Plattform haben wir Zugang zu Mitteln, die nicht nur unsere wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen, sondern die uns auch stärker zu machen, um uns gegen die hybriden Bedrohungen aus Russland zur Wehr zu setzen.

Mit Cristina Gherasimov sprach Lea Verstl

Quelle: ntv.de

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