Fragen und Antworten zur Krise Was eine Eskalation in Transnistrien bedeuten würde


Dieses Denkmal in der Region Transnistrien erinnert an den Krieg mit Moldau Anfang der 1990er Jahre.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der kleine Landstreifen Transnistrien, der zur Republik Moldau gehört, sorgt wieder für Schlagzeilen. Die dortigen Separatisten senden eine Hilferuf nach Moskau. Das könnte auch den Krieg in der Ukraine eskalieren lassen und Moldau mit hineinziehen. Fragen und Antworten zum Konflikt:
Was ist passiert?
Die pro-russischen Separatisten, die das Gebiet an der Grenze zur Ukraine seit rund drei Jahrzehnten kontrollieren, haben Moskau bei einem Sonderkongress um "Schutz" gegen Moldau gebeten. Der Kreml solle "Maßnahmen einleiten, um Transnistrien angesichts des zunehmenden Drucks durch Moldau zu verteidigen". Die Republik habe einen "Wirtschaftskrieg" gegen Transnistrien gestartet und blockiere lebenswichtige Importe, um die Region in ein "Ghetto" zu verwandeln. Um eine Aufnahme in die Russische Föderation bitten sie nicht.
Wie hat der Kreml reagiert?
Russland bezeichnet den "Schutz" der Bewohner Transnistriens als eine "Priorität". Russische Nachrichtenagenturen zitierten das Außenministerium in Moskau mit den Worten, "der Schutz der Interessen der Bewohner Transnistriens, unserer Landsleute, ist eine der Prioritäten". Ohnehin sieht sich Russland als Schutzmacht für russische und russischsprachige Menschen in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Die angebliche Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine nutzte Moskau auch für den Krieg gegen das Nachbarland seit 2014.
Spannend dürfte werden, ob der russische Machthaber Wladimir Putin die Bitte aus Transnistrien in seiner Rede zur Lage der Nation am Donnerstag erwähnt - und vielleicht sogar Maßnahmen ankündigt.
Was sagt Moldau zu den Vorwürfen?
Die Regierung in Chisinau wies die Vorwürfe aus Transnistrien über "Druck" als "Propaganda" zurück. Die Region profitiere von "der Politik des Friedens, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Integration mit der Europäischen Union", die "allen Bürgern" zugute komme, schrieb der stellvertretende Ministerpräsident Oleg Serebian bei Telegram.
Wie ist der Wunsch der Separatisten einzuschätzen?
Brigitta Triebel, die das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Moldau leitet, relativiert den Hilferuf im Gespräch mit ntv.de: Es sei nichts Neues, dass die Führung in Transnistrien Russland um Schutz bittet. Das Abschlusskommuniqué der Separatisten habe zudem keine neue Qualität. "Ich sehe nicht, dass Russland derzeit zu einer Invasion in der Lage wäre", sagt sie weiter, denn dazu müsste Russland Truppen per Flugzeug transportieren, die abgeschossen werden könnten.
Seit wann gibt es den Konflikt um Transnistrien?
Die überwiegend russischsprachige Region zwischen dem Fluss Dnister und der ukrainischen Grenze spaltete sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von der gerade erst unabhängig gewordenen Republik Moldau ab. 1992 lieferten sich die Separatisten mit Unterstützung der russischen Armee einen Krieg mit der pro-westlichen Regierung Moldaus. Hunderte Menschen wurden getötet. Seit damals sind russische Truppen in dem schmalen Landstreifen von kaum mehr als 20 Kilometern Breite stationiert.
2006 beschloss der bisher letzte Sonderkongress der Separatisten die Ausrufung eines Referendums über einen Anschluss an Russland. 97,1 Prozent der Wähler votierten bei der international nicht anerkannten Abstimmung für den Anschluss. Das Ergebnis bedeutete einen Rückschlag für die Bestrebungen Moldaus, wie sein Nachbarland Rumänien Teil der Europäischen Union zu werden. Im Juni 2022 erhielt Moldau dennoch den Status eines EU-Beitrittskandidaten.
Wie war die Lage zuletzt?
Laut Triebel war es in den vergangenen Jahren eher ruhig. Allerdings gab es zuletzt immer wieder Anzeichen wachsender Spannungen. 2022 erschütterten mehrere Explosionen mit ungeklärter Ursache das Gebiet. Im Februar 2023 sorgte ein Spiel der UEFA Conference League zwischen Sheriff Tiraspol und Partizan Belgrad für Aufsehen: Weil die Regierung von Moldau einen Staatsstreich mit Unterstützung der serbischen Fans fürchtete, ordnete sie ein Geisterspiel an und verbot die Einreise der Partizan-Anhänger. Einen Monat später erklärte die Separatisten-Führung, die Ukraine habe einen gescheiterten Mordanschlag gegen ihren Anführer verübt. Im September 2023 wurden Raketenüberreste in der Region gefunden. In der vergangenen Woche erklärte das russische Verteidigungsministerium, die Ukraine plane einen militärischen Angriff auf Transnistrien, legte hierfür jedoch keinerlei Beweise vor.
Welche Folgen hätte eine Eskalation des Konflikt?
Seit Beginn der großangelegten russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 befürchten westliche Beobachter, dass Moskau von Transnistrien aus eine weitere Front eröffnen könnte. Transnistrien, wo seit der Intervention in den 1990er Jahren 1500 russische Soldaten stationiert sind, liegt nur wenige Kilometer von der südwestukrainischen Hafenstadt Odessa entfernt. Diese konnten russische Truppen aber nach Kriegsbeginn nicht einnehmen.
KAS-Expertin Triebel sieht zwar eine "potenzielle Gefahr für die Ukraine", relativiert aber, dass die Truppen "nur als Schutzmacht für das Regime" in Transnistrien dienten. Von dieser Truppe gehe keine erhöhte Gefahr aus. "Es handelt sich auch gar nicht mehr ausschließlich um Soldaten aus Russland, da Moskau gar nicht mehr in der Lage ist, die Soldaten auszutauschen. Mittlerweile sind das Transnistrier mit russischem Pass."
Wie sieht das Leben in Transnistrien aus?
Der Landstrich verwendet eine eigene Währung - den transnistrischen Rubel -, hat eigene Sicherheitskräfte und eigene Pässe. Die meisten der schätzungsweise 465.000 Einwohner haben weitere Staatsangehörigkeiten: die moldauische, die russische oder die ukrainische. Die Mehrheit der Bevölkerung spricht Russisch, während im Rest der Republik Moldau das Rumänische dominiert. In der abtrünnigen Region wird weiterhin das kyrillische Alphabet genutzt.
Transnistrien ist aber auch dafür bekannt, dass dort sowjetische Symbole allgegenwärtig sind. Auf der Flagge prangen Hammer und Sichel, in Tiraspol steht eine riesige Lenin-Statue, eine Büste des Sowjetführers steht vor dem Rathaus, das auch Haus der Sowjets genannt wird.
Und die Wirtschaft?
Kriminelle Oligarchen stellen die Elite, wie Triebel sagt. Demnach wurde das Gebiet lange "das schwarze Loch Europas" genannt, weil dort das organisierte Verbrechen blühte. Jahrelang wurden vom nahen Hafen in Odessa aus Zigaretten, Alkohol und andere Waren geschmuggelt. Inzwischen ist die Grenze geschlossen. Russland, das etwa kostenloses Gas nach Transnistrien leitet, fällt es ebenfalls schwerer, Hilfslieferungen aufrecht zu erhalten.
Die mächtigste Organisation ist die Sheriff-Gruppe, eine riesige Holding, die von zwei ehemaligen sowjetischen Polizisten gegründet wurde und das Gebiet fest im Griff hat. Sie besitzt Supermärkte, Tankstellen, eine Cognac-Destillerie und eine Kaviarfarm in Transnistrien. Ein Drittel des transnistrischen Haushalts lande in den Kassen von Sheriff, berichtete 2015 die investigative Nachrichtengruppe RISE Moldova. Zur Sheriff-Gruppe gehört auch der Männer-Profifußballklub FC Sheriff aus Tiraspol.
Laut Triebel müssen die Eliten allerdings befürchten, "dass sie schnell ihre Macht verlieren, wenn die Russen das Kommando führen. Salopp formuliert: Ihnen drohen Autounfälle und Stürze aus dem Fenster." Ähnliches habe man auch im Osten der Ukraine gesehen, wo mittlerweile russische Kräfte das Kommando führen.
Quelle: ntv.de, mit AFP