Politik

Jugend wählt nicht mehr grün "Jungwähler unterschätzen die Konsequenzen"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Feierstimmung bei der AfD nach der Europawahl. Die Rechtspopulisten werden zweitstärkste Kraft.

Feierstimmung bei der AfD nach der Europawahl. Die Rechtspopulisten werden zweitstärkste Kraft.

(Foto: picture alliance/dpa)

Auftrieb für die Rechtspopulisten bei der Europawahl: Die AfD steht bei den Jungwählern hoch im Kurs, sie liegt gemeinsam mit der Union ganz vorn. Die Grünen haben bei den jungen Leuten massiv eingebüßt. Grüne Themen wurden längst von anderen abgelöst, analysiert Politikwissenschaftler Thomas König, Professor für Politikwissenschaft und europäische Politik an der Universität Mannheim im Gespräch mit ntv.

ntv.de: Was sind für Sie die überraschendsten Erkenntnisse dieser Europawahl?

Thomas König: Was mir bei der ganzen Berichterstattung etwas zu kurz kommt, ist der Erfolg einer Partei wie Volt, die, ausgenommen Sahra Wagenknecht und AfD mit ihren antieuropäischen Wahlprogrammen, ein proeuropäisches, grünes Wahlprogramm hat und damit fast genauso erfolgreich war wie die antieuropäischen Parteien. Während bei Volt konkrete Themen genannt werden, wie zum Beispiel, dass das Europäische Parlament Vorschlagsrecht haben soll, ist die antieuropäische Haltung von Sahra Wagenknecht und der AfD wenig konkret und sagt am Ende des Tages gar nicht genau aus, wohin der Zug in Europa fahren soll. Volt zeigt, dass man mit konkreten Aussagen viele Wähler gewinnen kann, wohingegen die Ampel-Regierungsparteien, aber auch CDU und CSU, mit Bundes-Themen und Personen, die keinen europäischen Bezug aufweisen, keinen Erfolg gehabt haben. Wahrscheinlich haben sie mal wieder den Wähler unterschätzt, der dann doch mehr über Europa wissen wollte und wie es dort weitergeht.

In der Altersgruppe zwischen 16 und 24 Jahren liegen die AfD sowie die CDU/CSU in Deutschland ganz vorn. Dass die AfD so viele Stimmen abgreift, haben Sie ja bei ntv vorhergesagt.

Nicht nur vorhergesagt, sondern wir haben in einer Ursache-Wirkungs-Analyse auch evidenzbasierte Gründe aufgezeigt. Grüne, SPD und FDP hatten gehofft, durch die Absenkung des Wahlalters junge WählerInnen gewinnen zu können. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Untersuchung zeigt, dass junge WählerInnen aus drei Gründen anders votieren, als es etablierte oder erfahrene Wähler tun. Da ist zum einen die geringere Parteibindung junger Wähler, die dazu führt, auch andere extreme Parteien zu wählen. Dann spielt sicherlich Enttäuschung über die Ampelregierung eine große Rolle, die in Krisenzeiten wenig Hoffnung für die Zukunft verspricht. Zurzeit haben viele junge Menschen nicht einmal mehr die Hoffnung, eine bessere berufliche Zukunft als ihre Eltern zu haben. Drittens werden die Social-Media-Plattformen sehr stark von rechtspopulistischen Parteien bedient, die es verstehen, eine größere Wirkung über emotionale Botschaften zu entfalten.

Wie genau?

Um auf die konkrete Wahl zurückzukommen: es ist erstaunlich, dass die Wähler unbeirrt der AfD die Treue halten, obwohl die Partei viele Skandale um die Ohren hat. Das erinnert an Donald Trump, der mit Skandalen vor Gericht steht und den trotzdem viele amerikanische Wähler wählen wollen. Dieses Verhalten macht deutlich, dass es in der politischen Auseinandersetzung mittlerweile weniger um Sachthemen wie Rente, Mindestlohn und Steuersätze geht, sondern um emotionale Bindungen auf der Grundlage von Angst, Hoffnung, Liebe und Hass. Und wenn ich die anderen hasse, wie es anscheinend die AfD-Wähler gegenüber der Ampelregierung tun, vergleichbar zum Hass der Republikaner auf die Demokraten in den USA, dann verzeihe ich meinen eigenen Kandidaten beziehungsweise Partei selbst Vergehen wie Betrug, Spionage oder Vaterlandsverrat. Das Ausmaß dieser Emotionalität in der politischen Auseinandersetzung scheinen die etablierten Parteien hierzulande noch nicht begriffen zu haben.

Sie sagen, die jungen Leute sehen Ihre Zukunft eher schwarz. Glauben Jungwähler, dass die AfD ihre Lage verbessern kann? Oder ist ihnen schon alles egal?

Dazu haben wir wenige Erkenntnisse, worauf man das im Einzelnen zurückführen kann. Es kann schon gut sein, dass die jungen Leute die Konsequenzen, die daraus entstehen können, unterschätzen. Ansonsten erscheint ihnen die Zukunft angesichts von Inflation, Migration, Kriegsgefahr oder Klimawandel wenig rosig.

Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ordnen sich die Jugendlichen politisch in der Mitte ein, warum dann dieser rechte Ausschlag?

In Befragungen sind "mittige" Aussagen ein methodisches Problem, die Zweifel an der Validität der Ergebnisse aufkommen lassen. Selten ordnen sich Befragte als extrem ein. Aus unserer Studie geht zudem hervor, dass kein Zusammenhang zwischen populistischen Einstellungen und der Wahl von populistischen Parteien bei Jungwählern besteht.

Kann man die vielen Stimmen der Jungwähler für die AfD noch als Protestwahl bezeichnen?

Der Begriff Protestwahl wird oftmals verwendet, um den Eindruck zu erwecken, dass das nicht die "wahren" Gründe sind. Nach unseren Erkenntnissen ist es eher eine Unzufriedenheitswahl, nicht nur mit dem Status Quo, sondern auch mit den schlechten Zukunftsaussichten.

Die Grünen haben bei den jungen Wählern 18 Prozent verloren: Warum zieht die Partei bei der Jugend nicht mehr?

Die Klima-fokussierten Grünen sitzen in der Ampelkoalition in der Zwickmühle. Einerseits geht es etwa der Fridays-for-Future-Bewegung beim Thema Klimawandel nicht weit genug. Weil man eben mit der Wohlfahrtsstaat-fokussierten SPD und der wirtschaftsfokussierten FDP zusammen regiert. Andererseits werden klimapolitische Maßnahmen wie das Heizungsgesetz als ausufernde Bevormundung empfunden. Gleichzeitig ändern sich Generationen-Präferenzen, wenn sich die nachkommende Generation der 16- bis 18-Jährigen von der vorherigen Generation wie der Fridays-for-Future-Bewegung absetzen möchte. Die haben andere Präferenzen, zum Beispiel das Thema Migration. Das hat mittlerweile eine ganz andere Bedeutung in den Schulen als noch vor 10 oder 20 Jahren. Mädchen und Frauen fragen sich: Was ist mit unseren modernen Werten, wenn der Islam an Bedeutung gewinnt? Das Thema Religion, mit Blick auf den Islam, trägt mittlerweile in demselben Ausmaß zur Gruppenbildung in unserer Gesellschaft bei wie die Identifikation mit Parteien.

Die Union hat bei den 16- bis 24-Jährigen 17 Prozent geholt. Wie erklären Sie sich das Vertrauen in CDU und CSU?

Bei den Jungen fehlt die Reflexion der Älteren. Die machen nicht unbedingt Angela Merkel oder Helmut Kohl mitverantwortlich für heute. Das ist für junge Leute Zeitgeschichte, das ist nicht unbedingt ihre Lebensrealität. Allerdings sind 17 Prozent CDU/CSU-Unterstützung für eine Volkspartei auch nicht berauschend.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BWS) ist bei den Jungwählern aus dem Stand auf 6 Prozent gekommen. Was macht die Partei für die jungen Leute so attraktiv?

Sahra Wagenknecht hat sehr viele Überschneidungen mit der AfD zu Themen wie Migration, Russland und auch EU. Diese Themen werden nicht inhaltlich konkret, sondern eher allgemein ablehnend und zur emotionalen Abgrenzung unter dem populistischen Motto "Es wird gegen den Volkswillen regiert" bedient. Auf diese Weise hat es Frau Wagenknecht zum Medienstar gebracht, der medial sehr gut ankommt, permanent eingeladen wird und das populistische Motto bedient. Ich denke, dass das in Krisenzeiten attraktiv für viele ist, nicht nur für Jugendliche, sondern offensichtlich haben sich davon auch viele ältere Wähler begeistern lassen.

Glauben Sie, dass die jungen Leute von der Performance der rechtspopulistischen Parteien in Europa am Ende so enttäuscht sein werden, dass sie sich wieder von ihr abwenden?

Mehr zum Thema

Das Problem ist, dass sich weder AfD noch Sahra Wagenknecht in Europa beweisen müssen. Wenn das Europäische Parlament Vorschlagsrecht hätte, dann müssten sie Mehrheiten suchen, um ihre Vorstellungen umsetzen zu können. Momentan hat aber die Europäische Kommission mit ihren 27 Kommissaren ein Monopol beim Vorschlagsrecht. Und was wir schon länger beobachten, ist, dass antieuropäische Parteien immer die Vorschläge der Europäischen Kommission ablehnen und die anderen, die sogenannten proeuropäischen Parteien - ob Grüne, ob Liberale, ob Sozialdemokraten, ob Christdemokraten - immer annehmen. Es findet im Europäischen Parlament überhaupt kein Wettbewerb über Vorschläge und deren Inhalte statt. Mit zwei Lagern, das eine immer dafür, das andere immer dagegen, manifestiert sich sogar die Spaltung. Insofern ist die Forderung von Volt richtig, dem Europäischen Parlament Vorschlagsrecht einzuräumen. Wichtig wäre darüber hinaus, die Europäische Kommission auf zehn bis zwölf Kommissare zu reduzieren, um die Bürokratie abzubauen, die von Brüssel aus in den Mitgliedstaaten produziert wird. Aber auch eine Auseinandersetzung über die Anzahl an Kommissaren hat man im Europawahlkampf vermisst.

Mit Thomas König sprach Caroline Amme.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen