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16-Jährige an der Europawahlurne Warum Jungwähler zu extremen Parteien neigen

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Darüber, wen die Generation Z wählen könnte, hat es in den vergangenen Monaten Diskussionen gegeben.

Darüber, wen die Generation Z wählen könnte, hat es in den vergangenen Monaten Diskussionen gegeben.

(Foto: IMAGO/Rolf Poss)

Bei der Europawahl am Sonntag dürfen in Deutschland zum ersten Mal auch junge Leute ab 16 Jahren wählen. Das könnte rechtspopulistischen Parteien in die Hände spielen. Auch, wenn die Jugendlichen gar nicht populistisch eingestellt sind.

Mit 16 darf man Alkohol kaufen, sich die Pille verschreiben lassen und wählen gehen. In den meisten Bundesländern dürfen 16-Jährige an Kommunalwahlen teilnehmen, in einigen auch bei Landtagswahlen. Und am Sonntag dürfen zum ersten Mal deutsche Jugendliche an der Europawahl teilnehmen.

Ende 2022 hat der Bundestag auf Initiative der Ampel-Koalition das Gesetz zur Absenkung des Wahlalters bei Europawahlen verabschiedet, gegen die Stimmen von CDU und AfD. Das Ziel: die Jugend soll sich politisch mehr beteiligen, mehr Verantwortung übernehmen können. Auch in ein paar anderen europäischen Ländern gilt diese Regelung: in Österreich, Belgien und Malta dürfen ebenfalls schon 16-Jährige an die Wahlurne, in Griechenland ist die Teilnahme an der Europawahl ab 17 Jahren möglich.

Oft hört man das Argument, dass Jugendliche noch nicht reif genug sind, um zu wählen. Der Deutsche Lehrerverband sieht das zum Beispiel so. Thomas König widerspricht: "Warum sollten sie nicht wählen gehen?", fragt der Professor für Politikwissenschaft und europäische Politik an der Universität Mannheim im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Die Frage, ob man reif genug für etwas sei, könne man auch für Erwachsene stellen. "Es hat etwas damit zu tun, ob man ein gewisses Maß an Hintergrundwissen hat, um überhaupt eine Wahl treffen zu können. Und das haben die Jugendlichen sicherlich genauso wie manch ältere."

Umstrittene Umfragen zu Rechtsruck bei Jugend

16- und 17-Jährige sind in der Lage, gute Wahlentscheidungen zu treffen, ist bei einer Studie der Entwicklungspsychologin Anna Lang von der Universität Erfurt herausgekommen. Auch politisch sind Jugendliche in diesem Alter reif genug, wählen zu gehen: Beim politischen Interesse oder Wissen gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen volljährigen und nicht-volljährigen jungen Menschen, hat der Politikwissenschaftler Arndt Leininger von der Technischen Universität Chemnitz festgestellt.

Darüber, wen die Generation Z wählen könnte, hat es in den vergangenen Monaten Diskussionen gegeben. In der viel diskutierten Jugendstudie 2024 ist von einem deutlichen Rechtsruck in der jungen Bevölkerung die Rede. Demnach tendieren mehr junge Menschen als bisher zur AfD. Die großen Verlierer sind die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP. Die Studienergebnisse sind allerdings höchst umstritten, weil die Daten per Online-Panel gesammelt wurden.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zeigt sich ein völlig anderes Bild: Dort liegen die Grünen und die Union bei den Jugendlichen vorn. Die AfD kommt nur auf 14 Prozent. König ordnet sämtliche Meinungsumfragen dieser Art aus wissenschaftlicher Sicht als oberflächlich ein. "Meinungsumfragen sind zwar sehr gut im Explorieren von Meinungen. Aber sie können eigentlich nicht wirklich sagen, dass hier ein Ursache-Wirkung-Zusammenhang besteht. Das ist so eine Art Unfall-Reportage. Das ist Unterhaltung, aber keine Wissenschaft."

Jungwähler unterstützen populistische Parteien

Wie rechts oder links sind die Jugendlichen also wirklich? Bei Jungwählern mit Wahlerfahrung ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie eine populistische Partei wählen, hat der Politikwissenschaftler in einer europaweiten Studie herausgefunden. "Da zeigt sich, dass Jungwähler, die schon mal gewählt haben, extremer wählen, das heißt, mehr populistische Parteien unterstützen als Erstwähler", erläutert König. "Junge Wähler haben noch kein gefestigtes politisches Bild. Im Vergleich zu älteren Wählern sind sie flexibler und manchmal extremer in ihren Wahlen. Sie haben ein größeres emotionales Spektrum."

Das Fazit der Studie: Die Absenkung des Wahlalters hilft nicht gegen den Aufstieg rechts­populistischer Parteien. Anders als es sich die Politik vorgestellt hat, als sie das Gesetz zur Absenkung des Wahlalters beschlossen hat.

Dabei sind die Jugendlichen nicht unbedingt populistisch eingestellt, wenn sie solche Parteien wählen. Trotzdem neigen sie dazu, populistische Parteien mehr zu unterstützen, sagt König. Dafür gebe es mehrere Gründe. Einmal, weil sich junge Menschen zu extremen emotionalen Handlungen verleiten lassen. Auch wenn sie enttäuscht sind von der aktuellen politischen Situation in Deutschland, "neigen sie dazu, extreme Parteien, sei es Bündnis Sahra Wagenknecht oder die AfD zu wählen. Das ist bei älteren Wählern weniger der Fall."

Als dritten Grund führt König einen verwirrenden Wahlkampf an. "In Deutschland wird mit den Plakaten von Kanzler Scholz geworben, der gar nicht zur Wahl steht."

Rechtspopulisten bei Tiktok weit vorn

Auch die sozialen Medien spielen eine große Rolle: Die AfD ist dort viel präsenter als die anderen Parteien. Bei Instagram, Tiktok, Youtube und Co. haben die Rechtspopulisten im Vergleich mit den anderen Parteien im Bundestag die meisten Follower, zusammengerechnet knapp 2,7 Millionen - so der Stand vom Februar. Die Grünen kommen auf rund 1,4 Millionen Fans, die SPD auf rund 1,3 Millionen.

Eine besonders große Reichweite hat die AfD auf Tiktok. Die Partei hat die Kurzvideo-Plattform viel früher genutzt, um Menschen zu erreichen, als die anderen Parteien und ihre Politiker. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat erst seit Kurzem einen Account, auch Kanzler Olaf Scholz oder FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sind noch nicht lange dabei.

Das Problem für die Tiktok-Neulinge: Sie können kaum etwas dagegenhalten, weil sie das Spiel noch nicht verstanden haben. Bei Tiktok gehe es um Aufmerksamkeit, diese erhalte man über Emotionen: Angst, Liebe oder Hass, weiß der Experte. "Katarina Barley oder Olaf Scholz versuchen über Tiktok eine Art Sachthemen-Aufklärung zu betreiben. Sie müssten sich eine ganz andere Sprache zulegen und andere Beschreibungen wählen, um dagegenhalten zu können, um eine andere Emotionalität aufbauen zu können."

Junge Themen fehlen

Mit emotionalisierenden Botschaften arbeitet die AfD erfolgreich auf Tiktok. Die Partei spricht direkt junge Männer an, so wie Spitzenkandidat Maximilian Krah mit seinem Tiktok-Video "Echte Männer sind rechts". Die europäische Politik spricht junge Menschen in Europa wenig an, hat die Jugendstudie der TUI Stiftung ergeben. Dafür hatte das Meinungsforschungsinstitut Yougov 16- bis 26-Jährige in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen befragt. Nicht einmal jeder Fünfte fühlt sich demnach durch das Europaparlament stark oder sehr stark vertreten.

Der Bundesjugendring warnt davor, dass die AfD die Enttäuschungen und Unsicherheiten der jungen Leute für sich nutzen könnte. Und findet, die demokratischen Parteien müssten die 16- und 17-Jährigen besser ansprechen.

Politikwissenschaftler König vermisst die europäischen Themen vor der Europawahl. "Es gibt so viele vernünftige Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, die alle nicht diskutiert werden. Das macht mir Sorge, weil man unterschätzt, dass der Wähler und auch die jungen Leute das nicht merken. Solche plakativen Sachen wie Frieden, Wohlstand oder Gerechtigkeit sind doch selbstverständlich. Dafür muss ich doch nicht wählen gehen."

Rechte liegen in Umfragen vorn

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Allerdings ist die junge Generation in Deutschland proeuropäischer eingestellt als die ältere. Das ist vor Kurzem bei einer Bertelsmann-Studie herausgekommen. Die Wahlbereitschaft dagegen ist eher niedrig: Gerade einmal knapp 60 Prozent der Unter-25-Jährigen wollen am Sonntag wählen gehen.

Umfragen lassen auf einen Rechtsruck bei der Europawahl schließen. In Frankreich, Italien und Österreich liegen die Rechtsaußenparteien vorn, in deutschen Umfragen kommt die AfD gleichauf mit den Grünen auf den zweiten Platz.

Womöglich wird das niedrigere Wahlalter in Deutschland ausgerechnet für diejenigen zum Problem, die sich davon viel versprochen haben. Die Ampel stärkt damit möglicherweise die Parteien, die dagegen gestimmt haben - darunter die AfD.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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